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Das orthodoxe Christentum

Martin Tamcke

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2011

ISBN 9783406623158 , 112 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,49 EUR

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III. Glaubenspraxis


1. Kirchenbau


Da ein Gläubiger einen möglichst bedeutenden Teil seines Lebens im Gotteshaus verbringen soll, dient das gesamte Gotteshaus in seiner Ausmalung der Vermittlung der Heilsgeschichte, von deren Dramatik der Gläubige erfaßt werden soll.

Die orthodoxen Kirchen sind geostet, was heißt, daß der Altar im Osten steht. Der Altarraum ist durch eine Bilderwand vom Kirchenschiff getrennt. Bei den Armeniern und den Syrisch-Orthodoxen findet sich anstelle der Bilderwand ein Vorhang. Der Altarraum ist das Allerheiligste. Dort dürfen sich nur Priester und Diakone aufhalten. Vor der Königstür befindet sich eine stufenförmige Ausbuchtung (Ambon), vor der das Ikonen- und Lesepult steht. In der Hauptkuppel ist der Pantokrator (Christus, der alles beherrscht) zu sehen. Christusikonen schauen aus den Nebenkuppeln und Maria in der Halbkuppel über der Apsis herab. Tieferliegend folgen Darstellungen zum Festkreis. Auch die übrigen Ikonen in der Kirche folgen einem festen Schema und verkünden die Fülle orthodoxen Glaubenslebens.

Grundriß einer orthodoxen Kirche:
1. Altarraum – 2. Kirchenschiff – 3. Narthex, Vorhalle – 4. Ikonostase, Bilderwand, in der Mitte die «Königstür» – 5. Altar – 6. Rüsttisch – 7. «erhöhter Platz» mit Bischofsthron – 8. Sakristei, Aufbewahrungsort für die lithurgischen Gewänder – 9. Erhöhung vor der Ikonostase – 10. Ambon – 11. Sängerchöre – 12. Kanun

2. Riten


«Die Wirkung der göttlichen Liturgie auf die Seele ist ungeheuer: sichtbar vor den Augen, vor der ganzen Welt vollzieht sie sich, zugleich aber im verborgenen. Wenn der Andächtige nur mit Eifer und Frömmigkeit jeder Handlung folgt und sich an die Aufrufe des Diakons hält, so erwirbt er sich schon dadurch ein hochgemutes Herz, Christi Gebote werden erfüllbar, Christi Joch wird sanft und Seine Last leicht. Verläßt er das Gotteshaus, wo er am göttlichen Liebesmahl teilgenommen hat, so erblickt er in allen seine Brüder.» Diese Worte aus Gogols Betrachtungen über die göttliche Liturgie stellen gewiß eine Idealisierung der Wirkungen der Liturgie auf den Menschen dar, aber zugleich auch das Ideal dessen, was ein in die Liturgie seiner Kirche eingebetteter orthodoxer Christ bei der Feier der Liturgie empfindet.

Wer an der Liturgie teilgenommen hat, werde im alltäglichen Leben «unwillkürlich in seiner Seele das hohe Beispiel eines liebevollen Umgangs mit Menschen vorgezeichnet finden und bewahren, so wie es der Gottmensch vom Himmel gebracht hat». Er werde durch das Erleben der Liturgie «gütiger und liebevoller» und «williger». «Darum ist es für jeden erforderlich, der den Wunsch hat, vorwärtszuschreiten und besser zu werden, sooft als möglich an der göttlichen Liturgie teilzunehmen und ihr aufmerksam beizuwohnen: unmerklich ‹erbaut› und erschafft sie den Menschen.» Die Liturgie als Erbauung der Liebe und die Kommunion als Mahl der Liebe waren Gogol Garanten dafür, daß die Welt nicht zerfällt. «Wer also in der Liebe gefestigt sein will, soll, sooft er nur kann, voll Ehrfurcht, Glauben und Liebe dem heiligen Mahl der Liebe beiwohnen. Fühlt er aber, daß er unwürdig ist, Gott selber, der ganz die Liebe ist, in seinen Mund zu nehmen, so möge er doch wenigstens als Zuschauer daran teilhaben, wie andere kommunizieren, um unmerklich, ohne daß er es spürt, von einer Woche zur andern an Vollkommenheit zuzunehmen.» (Gogol, S. 68f.) So entscheidend schien Gogol die Wirkung der Liturgie zu sein, und er lag da ganz bei dem, was auch sonst orthodoxes Gedankengut hinsichtlich der Liturgie nach der Liturgie ist. Hier gehe es darum, «das Vernommene ins Leben» zu tragen.

Was aber geschieht in der Liturgie?

Die «Göttliche Liturgie» wird nur einmal täglich an einem Altar gefeiert. Eines der beiden dafür genutzten Liturgieformulare geht auf den Patriarchen Johannes Chrysostomus zurück, das andere, das seltener Verwendung findet, auf Basilius den Großen von Cäsarea. Ein drittes Formular, die Jakobus-Liturgie, wird heute nur noch in Jerusalem am Fest des Apostels Jakobus und am Sonntag nach Weihnachten verwandt.

Die Liturgie der byzantinischen und griechischen Tradition

Die folgende Darstellung orientiert knapp über den Ablauf der auf Johannes Chrysostomus zurückgehenden Liturgie und kann helfen, sich in einer orthodoxen Liturgiefeier zurechtzufinden.

Die Liturgie beginnt mit einem Akt der Zurüstung (Proskomidie), nachdem das liturgische Anlegen der Gewänder vollzogen worden ist. In der Zurüstung wird das Abendmahlsbrot (Prosphoren) vorbereitet. Die Prosphoren werden aus gesäuertem Teig hergestellt. Dem liegt die Bibelstelle Matthäus 13,33 zugrunde, daß das Himmelreich einem Sauerteig gleich sei. Entsprechend der Trinität enthält der Teig drei Bestandteile: Sauerteig als Ausdruck des Lebendigen und der Seele, Wasser zur Erinnerung an die Taufe, Salz als Qualifikation und Zeichen der Lehre Christi. Aus den Prosphoren schneidet der Priester Teile. Dazu dient ihm ein «Lanze» genanntes Schneideinstrument. Die Teilchen werden auf dem Diskos so geordnet, daß um das «Lamm» (ein quadratisches Stück Brot) Teile für die Gottesmutter, für Propheten und Heilige, für den Patriarchen und für Lebende und Tote gelegt werden.

Liturgische Geräte:
1. Lanze – 2. Phosphore, Lamm, Siegel – 3. Leuchter – 4. Ikone der Geburt Christi – 5. Stern – 6. Patene – 7. Schwamm – 8. Kelch – 9. Löffel – 10. Antimension – 11. Reinigungstücher – 12. Tablett – 13. Kännchen – 14. Handtuch – 15. Liturgische Decken

Auf dem Diskos ist symbolisch die Kirche um Christus versammelt. Nachdem Wein und Wasser in den Kelch gegossen und Diskos und Kelch mit einem Tuch bedeckt wurden, beginnt die Liturgie der Katechumenen. Der Vorhang hinter der Königstür wird aufgezogen. Der Altarraum, die Ikonen und die Gemeinde werden vom Diakon beräuchert. Wenn er am Ende vor der Königstür stehen bleibt, spricht er «Segne, Gebieter». Der Priester aber schlägt über dem Antimension (ein Seidentuch mit Darstellung der Grablegung Christi, auf dem die Wandlung beim Abendmahl vollzogen wird) mit dem Evangelienbuch ein Kreuzeszeichen mit dem Ruf: «Gebenedeit sei das Reich des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit.» Nach einem Lobpreis (Doxologie) betet der Diakon das Bittgebet (Große Ektenie oder Friedensgebet): «Um den Frieden, der von oben kommt, und das Heil unserer Seelen, lasset uns zum Herrn beten…» Drei Psalmgebete folgen (Antiphonen; Psalm 103, Psalm 145, Matthäus 5,3-12). Dabei öffnet sich die Königstür zum «Kleinen Einzug», bei dem der Diakon das Evangelienbuch vom Altar nimmt, durch die nördliche Tür der Ikonostase vor die Königstür geht und dann wieder das Buch auf dem Altar ablegt, wobei der Ruf erschallt: «Weisheit! Stehet aufrecht!» und der Chor singt: «Kommt, lasset uns anbeten und niederfallen vor Christus…» Der vorangetragene Leuchter symbolisiert bei dieser Prozession von Priestern und Diakonen Johannes den Täufer. Die Hymnen des Tages (Troparien/Kontakien) folgen. Sie schließen mit einem Hymnus auf die Gottesmutter Maria, dem das Trishagion (Dreimalheilig) folgt. «Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser.» Das folgende Prokeimenon (das Vorangestellte) enthält zumeist einen Psalmvers. Und nachdem der Diakon erneut «Weisheit» gerufen hat, folgt die Epistellesung (Abschnitte aus der Apostelgeschichte oder aus einem neutestamentlichen Brief). Bei den Halleluja-Versen wechseln Lektor und Chor einander ab. Altar, Altarraum und Zelebranten werden dabei vom Diakon beräuchert. Erneut ruft der Priester sodann «Weisheit!» und «Lasset uns aufrecht stehend das heilige Evangelium anhören!» und leitet damit nach einem Lobpreis des Chores zur Evangelienlesung über. Dann trägt der Diakon das Evangelienbuch zum Altarraum zurück, und der Chor singt dabei «Ehre sei dir Herr, Ehre sei dir». Es folgt erneut ein Gebetsteil (die «inständige Ektenie»), deren Teile der Chor mit je dreimaligem «Herr, erbarme dich!» bekräftigt. Indem nun der Priester das Antimension zu entfalten beginnt, bereitet er das Abendmahl vor. Die Königstür in der Mitte der Ikonostase wird geschlossen. Nach dem Gebet für die Katechumenen ruft der Diakon: «So ihr Katechumenen seid: geht hinaus! Ihr Katechumenen! Geht hinaus! Alle Katechumenen! Geht hinaus. Daß keiner der Katechumenen (bleibe)! Die ihr Gläubige seid, wieder und wieder laßt uns beten in Frieden zu dem Herrn.» Mit diesen Rufen endet die Katechumenenliturgie.

Nichtgetaufte mußten hier einst den Gottesdienst verlassen. Nur Getaufte konnten an der «Gläubigenliturgie» teilnehmen. Heute darf jeder bleiben, der den weiteren Verlauf miterleben möchte.

Mit einem erneuten Ruf «Weisheit!» lädt der Diakon die Gläubigen zum Gebet ein. Der Priester spricht zwei Gebete für...