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Max Weber

Dirk Kaesler

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2011

ISBN 9783406622502 , 128 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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I Einleitung.
Das Leben eines Nachgeborenen


Max Weber (1864–1920) zählt heute sicher zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Aber in welcher Beziehung steht das Denkmal zum historisch konkreten Weber? Nicht selten dient sein Werk nur noch als Steinbruch für Zitate und Stichworte. Max Weber wird als ein «Klassiker» der Soziologie gesehen, wenn nicht sogar als DER Klassiker schlechthin. Doch: Er war kein Soziologe im heutigen Verständnis dieser wissenschaftlichen Disziplin. Weder sein eigentliches Anliegen einer «Sozialökonomik» in komparativ-universalhistorischer Absicht noch sein Entwurf einer «Verstehenden Soziologie» wurden konsensfähige Programme der modernen Fachsoziologie. Sein Selbstverständnis als das eines universalgebildeten Gelehrten, der sich politisch beratend und publizistisch kommentierend zu engagieren suchte, wird heute als anachronistisch belächelt. Sein Verständnis von Wissenschaft und Universität als den letzten, schon zu seiner Zeit massiv bedrohten Revieren bürgerlicher Freiheiten und individueller Selbsterziehung wird heute als Relikt vergangener Zeiten verächtlich gemacht. Max Weber war nicht unser Zeitgenosse. Wer sich Leben und Werk dieses Menschen annähert, muss sich klar darüber werden, wie viel uns von diesem deutschen Bürger trennt, der den Übergang des 19. Jahrhunderts in das 20. Jahrhundert erlebte, bedachte und ein klein wenig mitgestaltete. Sein Leben und Schaffen stand unter dem Diktat seiner Selbst- und Geschichtsinterpretation als eines Epigonen, eines Nachgeborenen, den vier Rahmungen bestimmten: das Königreich Preußen, das deutsche Bürgertum, der allmählich fortschreitende Kapitalismus, die alles zunehmend beherrschende Bürokratie.

Der Aufstieg des Königreichs Preußen an die Spitze des von ihm selbst herbeigezwungenen Deutschen Kaiserreichs (1871–1918) und beider Sturz in die (relative) Bedeutungslosigkeit prägten nicht nur den Verlauf des Lebens von Max Weber. Das immer leicht Überanstrengte, das sich bei der Ausdehnung preußischer Herrschaft zeigte, im verbissenen Bestreben, als «Großmacht» respektiert zu werden, spiegelte sich auch wider bei dieser – wenn auch zuweilen ein wenig stotternden – Ein-Mann-Wissenschaftsmaschine, zu der Max Weber sich selbst machte. Die Themen Preußens sind auch die Themen Webers: die ewig schwärende Diskrepanz der übermächtigen herrschaftlichen Stellung des preußischen Adels, dem der Fürstenstaat zwar die Autonomie nimmt, der sich aber weder auf dem flachen Land noch aus den Schaltstellen der politisch-administrativen und militärischen Herrschaft verdrängen lässt. Und dem es vor allem gelingt, seine spezifischen Wertvorstellungen zum allgemeinen Ethos und zu den Pflichtvorstellungen der Militärmaschine, des gesamten Staatsapparates und der bürgerlichen Gesellschaft werden zu lassen. Der Mythos der preußischen Bürokratie, die als unparteiisch und überlegen effizient verklärt wird, ist einer, in dessen Bann Weber aufwächst und an dessen Perpetuierung und Dämonisierung durch soziologische Begriffs- und Theoriebildung er mitwirkt. Die spezifisch preußische Amalgamierung von Thron und Altar in Form des staatskirchlichen Protestantismus zu einer Kirche, die durch ihre Heilsfunktionäre die gottgegebene Obrigkeit überhöht, steckte den Rahmen ab für die religiöse Erziehung Webers, ungeachtet aller Versuche seitens seiner Mutter, diese in eine reformierte, innerliche Richtung zu lenken. Die wissenschaftliche Erforschung ebensolcher Rahmungen des Lebens von Menschen durch als religiös definierte Ordnungsvorstellungen sollte eines der großen Lebensthemen des forschenden Individuums Weber werden.

Mit dem doppelten Gesicht Preußens eng verflochten sind auch die politischen Positionen Max Webers. Das Königreich Preußen seiner Zeit war ein Rechtsstaat, aber keine Demokratie, und Weber wollte beides, zumindest einen größeren politischen Einfluss des Parlaments. Er träumte von einer Synthese des rechtsstaatlichen Preußen mit dem demokratischen, oder besser: republikanischen England. Was ihm dabei nicht vorstellbar sein konnte, war die Tatsache, dass ein Rechtsstaat nur dann funktioniert, wenn es eine soziale Ordnung gibt, in der die moralische Integrität seiner Träger intakt ist: der aufgeklärte König, die selbstlosen Generäle, das dienende Beamtentum, alles auf der Grundlage aristokratischer Werte. Wenn diese Ordnung in die Hände moralloser Führer fällt, dann gibt es keine institutionellen Barrieren gegen die Pervertierung des Rechtsstaats. Und auch die Demokratie funktioniert nur, wenn es ein dafür reifes Bürgertum gibt, und genau das war Webers ewige Sorge, dass dieses weder in Preußen noch im übrigen Deutschen Reich vorhanden sei.

Die Namen zweier Orte außerhalb Preußens chiffrieren Anfang und Ende dieses Lebens: Die Entscheidungsschlacht im Deutsch-Dänischen Krieg um die Düppeler Schanzen markieren symbolisch das Geburtsjahr 1864, das Inkrafttreten des Versailler Friedensvertrags das Todesjahr 1920. Über dem Beginn liegt der machtvolle Schatten Otto von Bismarcks, am Ende wissen wir Heutigen um den fahlen Schatten Adolf Hitlers. Begrenzt von diesen beiden Schattenbildern lebte und arbeitete Weber, als zu spät Geborener im Verhältnis zu Bismarck und als gerade noch «rechtzeitig» Gestorbener, der die Saat seiner eigenen Zeit nicht mehr aufgehen sehen musste.

Die vielfältigen Bilder vom Menschen Weber verbinden vor allem zwei Motive: das des Genies und das des Propheten. Die Wahrnehmung einer genialen Dämonie Webers finden wir in zahlreichen Berichten seiner Zeitgenossen, von denen manche das Kämpferische und zugleich das Zerrissene an diesem preußischen Deutschen notierten. Der Philosoph Karl Jaspers, der Weber zeit seines Lebens so rückhaltlos bewunderte, sah in ihm die «Tragödie eines modernen Menschen». «Seine Zerrissenheit war unaufhebbar: ein Mann, den man auf keinen Nenner bringen kann, bei dem mir ganz unheimlich zumute wird […].»

Die vor allem in seiner Zeit als Mitglied der Heidelberger Burschenschaft Allemannia und während seiner Zeit als Einjährig-Freiwilliger beim Militär errungene «Schneidigkeit» machte sich vor allem auch bemerkbar in seiner ständigen Bereitschaft zum Kampf gegen alle und jeden, was der scharfe Beobachter und Wiener Bankier Felix Somary leicht ironisch einzuordnen versuchte: «Max Weber war ein nervöser Stürmer […] Er kämpfte immerfort, auch wenn es sich um kleinste lokale Dinge handelte. Das Eruptive in seinem Wesen war so stark, daß es zur Intoleranz werden konnte. Wer ihn nicht näher kannte, konnte leicht bei der ersten Berührung abgestoßen oder gar erschreckt werden.» Weber gehörte zu jenen Menschen, die als systemisch Denkende die Welt gedanklich zu ordnen suchen. Solche Menschen mögen die bedeutendsten Denker werden, ihren Mitmenschen sind sie zeit ihres Lebens eine Plage. Aber auch sich selbst sind sie oft eine Mühsal, denn sie merken, dass sie mit anderen im Grunde nichts anzufangen wissen.

Einzig zwei Frauen in seinem Leben – Helene Weber, seiner Mutter, und Marianne Weber, seiner Ehefrau – konnte Weber gefühlsmäßig einigermaßen treu bleiben, ungeachtet aller Turbulenzen auch in diesen beiden jahrzehntelangen Beziehungen. Mit Männern gelang ihm das in keinem Fall, alle seine Freundschaften wie etwa diejenigen mit Edgar Jaffé, Robert Michels, Friedrich Naumann, Ernst Troeltsch zerbrachen zumeist an seiner brüsken Beendigung der Beziehung. Vor allem die wichtigste Frau in seinem Leben – seine Mutter – bot ihm jenen Halt und jene gefühlsmäßige Zuflucht, den das ängstliche Kind in diesem körperlichen Hünen so lebensnotwendig brauchte. Dass Weber fünf Monate nach dem Tod seiner Mutter stirbt, muss man nicht für Zufall halten.

Wodurch auch immer man einen Menschen «geprägt» sehen möchte, ob durch die Geburt im Sternzeichen des Stiers oder durch den Hormonhaushalt, ob nun beeinflusst durch genetische Dispositionen in seinen Herkunftsfamilien oder durch frühkindliche Erlebnisse, ob durch die Erziehungstraditionen im Elternhaus oder jeweils aktuelle Auslöser: Alles dies untrennbar miteinander verbunden, führte bei Weber zu einem ausgeprägten Maß an Realismus und Ordnungsbewusstsein. Indem er sich der ihn umgebenden sozialen Realität weitgehend anpasste, strebte er doch danach, seine gefühlsmäßige Sicherheit eher in geistigen Gesetzmäßigkeiten, im Gefühl des Eingebettetsein ins große Ganze zu begründen als bei anderen Menschen.

Viele Menschen, die in seinen unmittelbaren Bann gerieten, berichten, dass ihn die Details der Dinge oft schnell zu langweilen begannen, sobald er die vermeintlich ganz großen Zusammenhänge zu verstehen glaubte. Webers vorsichtige, rationale und ordnende Seiten führten dazu, sich stark für Gesetze, Vorschriften, Prinzipien und Normen sowohl der eigenen sozialen Gruppe als auch der anderer Ausprägungen von Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung zu interessieren. Weber nahm seinen «Beruf» sehr ernst und setzte sich für ihn bis an das Ende seines Lebens mit viel Ausdauer ein. Nur, was war sein «Beruf»?...