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Schwarzer Mittwoch - Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein Bd.3

Nicci French

 

Verlag C. Bertelsmann, 2014

ISBN 9783641117658 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2

Das Haus lag in Chalk Farm, ein paar Straßen entfernt vom Lärm von Camden Lock. Vor dem Eingang parkten ein Krankenwagen und mehrere Streifenwagen. Der Tatort war bereits mit Absperrband gesichert, und ein paar Schaulustige hatten sich auch schon eingefunden.

Detective Constable Yvette Long schob sich unter dem Band hindurch und betrachtete zuerst einmal das Gebäude, ein spätviktorianisches Reihenhaus mit kleinem Vorgarten und Erkerfenster. Als sie gerade hineingehen wollte, sah sie ihren Chef, Detective Chief Inspector Malcolm Karlsson, aus einem Wagen steigen und wartete auf ihn. Er wirkte ernst und in Gedanken versunken, bis er sie schließlich entdeckte und mit einem Nicken begrüßte.

»Waren Sie schon drin?«

»Ich bin auch eben erst gekommen«, antwortete Yvette. Nach kurzem Zögern platzte sie heraus: »Es ist komisch, Sie ohne Frieda zu sehen.«

Karlssons Ausdruck wurde hart.

»Sie meinen, Sie sind froh, dass sie nicht mehr für uns arbeitet.«

»Nein … nein, so habe ich das nicht gemeint«, stammelte Yvette.

»Ich weiß doch, wie sehr es Sie gestört hat, dass sie immer mit von der Partie war«, entgegnete Karlsson, »aber das ist inzwischen ja geklärt. Der Chef hat entschieden, dass sie raus ist aus dem Team, und im Verlauf dieser ganzen Aktion wäre sie fast ermordet worden. Ist das der Teil, den Sie so lustig finden?«

Yvette lief rot an, gab ihm aber keine Antwort.

»Haben Sie sie besucht?«, fragte Karlsson.

»Ja, im Krankenhaus.«

»Das reicht nicht. Sie sollten mit ihr reden. Aber vorher …«

Er deutete auf das Gebäude, woraufhin sie sich beide in Bewegung setzten. Drinnen wimmelte es bereits von Leuten, die alle Überschuhe, Overalls und Handschuhe trugen. Es wurde nur wenig gesprochen, und wenn, dann in gedämpftem Ton. Karlsson und Yvette zogen ihrerseits Überschuhe und Handschuhe an. Als sie schließlich den Flur entlanggingen, kamen sie zunächst an einer Handtasche vorbei, die auf dem Holzboden lag, dann an einem Foto in einem zerbrochenen Rahmen und schließlich an einem Mann, der die Umgebung auf Fingerabdrücke untersuchte. Im Wohnzimmer waren bereits Scheinwerfer installiert.

In dem gleißenden Licht wirkte die Frau, als befände sie sich auf einer Bühne. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm ausgestreckt, den anderen nah am Körper, die Hand zur Faust geballt. Ihr braunes Haar war schon leicht ergraut. Der zerschlagene Mund erinnerte an die gefletschten Lefzen eines vor Angst halb wahnsinnigen Tiers, auch wenn Karlsson von dort, wo er stand, eine Füllung zwischen den zerborstenen Zähnen schimmern sehen konnte. An der einen Gesichtshälfte wirkte die Haut recht glatt – aber manchmal glättet der Tod die Spuren des Lebens, um stattdessen seine eigenen zu hinterlassen, ging Karlsson durch den Kopf. Die Falten am Hals wiesen auf eine Frau mittleren Alters hin.

Das rechte, weit aufgerissene Auge starrte blicklos in den Raum. Die linke Gesichtshälfte war eingedrückt, eine klebrige, mit Knochenstücken durchsetzte Masse. Rundherum war der beigefarbene Teppich blutgetränkt, der ganze restliche Boden mit angetrockneten Flecken übersät und auch die nächstgelegene Wand von oben bis unten mit Blut gesprenkelt. Das konventionell eingerichtete Wohnzimmer hatte sich in einen Schlachthof verwandelt.

»Da hat jemand heftig zugeschlagen«, murmelte Karlsson, während er sich aufrichtete.

»Einbruch«, verkündete eine Stimme in seinem Rücken. Karlsson blickte sich um. Hinter ihm stand, eine Spur zu nahe, ein noch sehr jung und pickelig aussehender Detective, der leicht verlegen lächelte.

»Was?«, blaffte Karlsson. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Riley«, stellte der Beamte sich vor.

»Sie hatten etwas gesagt.«

»Einbruch«, wiederholte Riley. »Der Täter wurde überrascht und schlug zu.«

Als er Karlssons Gesichtsausdruck sah, erstarb Rileys Lächeln.

»Ich habe nur laut gedacht«, erklärte er. »Ich versuche, positiv an den Fall heranzugehen. Proaktiv.«

»Proaktiv«, wiederholte Karlsson. »Und ich war der Meinung, wir sollten vielleicht erst mal den Tatort auf Fingerabdrücke, Haare und Fasern untersuchen und ein paar Zeugenaussagen aufnehmen, bevor wir Schlüsse daraus ziehen, was passiert ist. Falls Sie damit einverstanden sind.«

»Natürlich, Sir.«

»Gut.«

»Chef …«

Chris Munster hatte den Raum betreten. Er blieb einen Moment stehen und betrachtete die Leiche.

»Was gibt es, Chris? Wissen wir schon Genaueres?«

Es kostete Munster sichtlich Mühe, seine Aufmerksamkeit wieder auf Karlsson zu richten.

»Ich werde mich nie daran gewöhnen«, erklärte er.

»Versuchen Sie es«, sagte Karlsson. »Die Angehörigen haben nichts davon, wenn Sie auch noch leiden.«

»Stimmt«, gab Munster ihm recht, während er gleichzeitig einen Blick in sein Notizbuch warf. »Ihr Name ist Ruth Lennox. Sie hat als Gesundheitsschwester für die örtlichen Behörden gearbeitet. Sie wissen schon, Besuche bei alten Leuten und jungen Müttern, solche Sachen. Vierundvierzig Jahre alt, verheiratet, drei Kinder. Die jüngste Tochter hat sie gefunden, als sie gegen halb sechs von der Schule nach Hause kam.«

»Ist das Mädchen da?«

»Oben, mit dem Vater und den anderen beiden Kindern.«

»Geschätzter Todeszeitpunkt?«

»Nach Mittag, vor achtzehn Uhr.«

»Das bringt uns aber nicht viel weiter.«

»Ich gebe nur wieder, was Doktor Heath mir gesagt hat. Er meinte, es sei zu bedenken, dass das Haus geheizt war und heute außerdem ein warmer Tag, so dass zusätzlich Sonne durchs Fenster hereinfiel. Und dass es sich bei seiner Arbeit nicht um eine exakte Wissenschaft handelt.«

»Na, wunderbar. Mordwaffe?«

Munster zuckte mit den Achseln.

»Etwas Schweres, hat Doktor Heath gemeint, mit scharfer Kante. Aber keine Klinge.«

»Nimmt jemand die Fingerabdrücke der Angehörigen?«

»Ich kümmere mich darum.«

»Wurde etwas gestohlen?«, meldete Yvette sich zu Wort.

Karlsson wandte sich ihr zu. Es war das Erste, was sie sagte, seit sie das Haus betreten hatten. Trotzdem klang ihre Stimme immer noch zittrig. Wahrscheinlich war er zu hart mit ihr umgesprungen.

»Der Ehemann steht unter Schock«, antwortete Munster. »Aber wie es aussieht, wurde ihre Brieftasche geleert.«

»Ich rede besser mal mit der Familie«, erklärte Karlsson. »Oben, sagen Sie?«

»In seinem Arbeitszimmer. Es ist gleich der erste Raum, wenn man die Treppe hochkommt, neben dem Bad. Melanie Hackett ist bei ihnen.«

»Gut.« Karlsson überlegte einen Moment. »Hier in der Gegend hat lange Zeit ein Detective namens Harry Curzon gearbeitet. Ich glaube, inzwischen ist er pensioniert. Könnten Sie mir seine Nummer beschaffen? Die örtliche Polizei kennt ihn bestimmt noch.«

»Wozu brauchen Sie ihn?«

»Er weiß über das Viertel Bescheid. Vielleicht kann er uns ein bisschen Mühe und Arbeit ersparen.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Und reden Sie mal ein Wort mit unserem jungen Riley hier. Er weiß nämlich bereits, was passiert ist.« Mit diesen Worten wandte Karlsson sich an Yvette und forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihn nach oben zu begleiten. An der Tür zum Arbeitszimmer blieb er stehen und lauschte, doch es waren keinerlei Geräusche zu hören. Er hasste diesen Teil seiner Arbeit. Oft waren die Leute böse auf ihn, weil er ihnen die schlimme Nachricht überbrachte, und gleichzeitig klammerten sie sich an ihn, weil sie sich von ihm eine Art Lösung erwarteten. In diesem Fall hatte er es noch dazu mit einer ganzen Familie zu tun. Drei Kinder, hatte Munster gesagt. Die Ärmsten. Dem Aussehen nach war ihre Mutter eine nette Frau gewesen, ging ihm durch den Kopf.

»Bereit?«

Yvette nickte, woraufhin er dreimal kurz klopfte, ehe er die Tür öffnete.

Der Vater saß auf einem Bürostuhl und drehte sich abwechselnd in die eine und die andere Richtung. Er trug noch seine dicke Winterjacke und hatte einen Baumwollschal um den Hals gebunden. Sein pausbäckiges Gesicht war rot gefleckt, als wäre er gerade erst aus der Kälte hereingekommen, und ständig blinzelte er, als hätte er Staub in den Augen, leckte sich dabei immer wieder über die Lippen und zupfte gleichzeitig am linken Ohrläppchen herum. Auf dem Boden zu seinen Füßen hatte sich die jüngere Tochter – diejenige, die Ruth Lennox gefunden hatte – in Fötushaltung zusammengerollt. Halb schluchzend, halb würgend rang sie nach Luft. Karlsson fand, dass sie sich anhörte wie ein verwundetes Tier. Viel sehen konnte er von ihr nicht, nur dass sie recht dünn war und braune Zöpfe hatte, die sich allmählich auflösten. Der Vater legte ihr hilflos eine Hand auf die Schulter, zog sie aber gleich wieder zurück. Die andere Tochter, die Karlsson auf fünfzehn oder sechzehn schätzte, saß ihnen gegenüber, die Beine unter den Körper gezogen und beide Arme um sich geschlungen, als versuchte sie sich zu wärmen und gleichzeitig so klein wie möglich zu machen. Sie hatte kastanienbraune Locken und das runde Gesicht ihres Vaters, mit vollen roten Lippen, blauen Augen und Sommersprossen. Ihre Wimperntusche war auf einer Seite verschmiert, wodurch sie auf eine theatralische Weise angemalt wirkte, fast wie ein Clown. Trotzdem erkannte Karlsson sofort, dass sie eine sinnliche Anziehungskraft besaß, der nicht einmal ihr ruiniertes Make-up und ihre extreme Blässe etwas anhaben konnten. Sie trug rötlich braune Shorts...