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Pfade im Nebel

Nalini Singh

 

Verlag LYX, 2014

ISBN 9783802594885 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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1


Wer der Pfeilgarde dient, wählt die Isolation und verzichtet auf jede Bindung, die verletzbar machen könnte.

Erster Kodex der Pfeilgarde

Der Mann, der er einmal gewesen war, existierte nicht mehr.

Vasic starrte aus dem Panoramafenster, während der computergesteuerte Handschuh, der mittels Zellfusion Teil seines linken Unterarms geworden war, leise im Diagnosemodus summte. Die Ärzte und Techniker feilten unablässig an der Optimierung ihrer Erfindung, und doch funktionierte das Gerät weiterhin unzuverlässig. Aber Vasic war nicht in Sorge um sein Leben.

Er sorgte sich schon seit Langem um nichts mehr. Die seiner Konditionierung geschuldete frostige Kälte im Herzen war mit dem Fall von Silentium und dem Anbeginn eines neuen Jahres einer tiefen inneren Taubheit gewichen, einem grauen Nebel, der alles erstickte.

Der einzige Grund, warum er morgens noch aufwachte, waren die anderen Pfeilgardisten – seine Weggefährten, die noch auf ein normales Leben hoffen durften. Für ihn war es längst zu spät, seine Hände waren besudelt mit dem Blut Unschuldiger, welche im Namen einer Doktrin, die sich als katastrophal falsch erwiesen hatte, durch ihn den Tod gefunden hatten.

»Was gibt es?«, fragte er den Mann in schwarzer Kampfmontur, der gerade den Gemeinschaftsraum der Kommandozentrale betreten hatte. Die Pfeilgardisten waren alles andere als gesellig, doch wussten sie aus bitterer Erfahrung, dass auch sie nicht immer allein zurechtkamen.

»Krychek hat da eine Theorie.« Aden stellte sich neben Vasic und spähte hinaus auf die Grünanlage hinter dem Glas. Sie gehörte nicht zur äußeren Welt. Die Mitglieder der Truppe waren Schattenwesen, sie operierten im Dunkeln und hatten sich ihr Hauptquartier tief unter der Erde eingerichtet, unerreichbar für jeden, der die entsprechenden Zugänge und Codes nicht kannte.

Sogar ein Teleporter benötigte ein halbwegs klares Bild als Ortsangabe, jedoch existierte von ihrer Kommandozentrale ein solches in keiner Datenbank, weder in der physischen Welt noch im Medialnet. Umso beachtlicher, dass Kaleb Krychek imstande gewesen war, nach der Kontaktaufnahme durch die Garde mitten in deren Hauptquartier zu teleportieren.

Obgleich unterirdisch gelegen, wies die Glasfront der Operationsbasis auf einen weitläufigen, mit Bäumen und Farnen bepflanzten und von einem natürlich wirkenden Teich unterbrochenen Park hinaus. Tagsüber in das warme Licht einer künstlichen Sonne getaucht, wurde die Anlage nachts vom silbrigen Schein eines simulierten Mondes erhellt.

An diese Technologie heranzukommen war eine große Herausforderung gewesen, denn die SnowDancer-Wölfe wachten eifersüchtig über ihre technischen Errungenschaften und nutzten sie vorzugsweise selbst. Doch dieses Licht war für die geistige und körperliche Gesundheit der Pfeilgarde ebenso wichtig wie das kleine Refugium nachgeahmter Außenwelt, auf das es schien.

»Krycheks Theorie dürfte mit der Krankheit zusammenhängen, die das Medialnet befallen hat«, mutmaßte Vasic. Verglichen mit den verstreuten Resten Makelloser Medialer, die, angetrieben von ihrem Fanatismus, weiterhin zu Gewaltbereitschaft neigten, stellte das Virus die weit größere Bedrohung für ihre Gattung dar.

»Dann bist du also auf dem neuesten Stand?«

»Selbstverständlich.« Niemand hatte vorhersehen können, mit welch gefräßiger Rasanz das Virus um sich greifen würde. Es hatte sich schon tief in dem geistigen Netzwerk eingenistet, das, mit Ausnahme der Abtrünnigen, sämtliche Medialen auf dem Planeten miteinander verband und ihre Gattung auszulöschen drohte. Jedes mediale Gehirn benötigte das Biofeedback, das das geistige Netzwerk zur Verfügung stellte, doch bestand nun die Gefahr, dass über denselben Kanal Gift in dieses Gehirn hineingepumpt wurde.

Manche munkelten, dass der Fall von Silentium der Grund für die rapide Ausbreitung war, aber Vasic glaubte nicht daran. Die Fäulnis war zu tief in das Medialnet eingedrungen. Sie hatte mehr als ein Jahrhundert Zeit gehabt, um zu reifen, genährt von den dunklen, verdrehten Gefühlen, die ihre Gattung zu unterdrücken versuchte. »Was besagt Krycheks Theorie?«

Aden verschränkte die Hände locker hinter dem Rücken. »Er denkt, dass die Empathen der Schlüssel sind.«

Die Empathen.

Eine unerwartete Hypothese seitens des doppelten Kardinalmedialen, den viele für den Inbegriff von Silentium hielten – eine Scheinwahrheit, wie ersichtlich geworden war, als er die Schilde um das eisenharte Band zwischen ihm und Sahara Kyriakus gesenkt hatte. Auch seine Konditionierung war defekt, wenn auch nur insofern, als es seine Gefährtin betraf. Ein kritischer Umstand, vor dem viele die Augen verschlossen.

Von Kaleb Krychek ging weiterhin eine tödliche Bedrohung aus.

»Ihm zufolge«, fuhr Aden fort, »deutet die hohe Anzahl von Empathen in der Bevölkerung darauf hin, dass sie auf subtile und von uns unterschätzte Weise unabdingbar für das Gesamtgefüge sind. Das Eindämmen ihrer Fähigkeiten muss sich demzufolge destruktiv auf das Gleichgewicht im Medialnet auswirken.«

Vasic begriff die Logik dahinter. Die Empathen mochten offiziell aus dem geistigen Netzwerk getilgt sein, trotzdem wusste jeder Pfeilgardist, dass diese Kategorie nie Seltenheitswert gehabt hatte. Mit einer Ausnahme. Da die auf Gefühlen beruhenden Kräfte der Empathen im völligen Widerspruch zu den Richtlinien von Silentium standen, war ihre genetische Linie in den Jahren nach Einführung des Programms systematisch ausgerottet worden, ehe der Rat in allerletzter Sekunde begriffen hatte, dass er damit ein lebenswichtiges Organ zerstörte.

Niemand wusste genau, wofür das Netzwerk die Empathen brauchte, aber dass es so war, daran bestand kein Zweifel. Der Rat hatte diese Wahrheit noch vor allen anderen begriffen und sie das »Korrelationskonzept« getauft – sprich, je geringer der Bevölkerungsanteil der E-Medialen, desto mehr häuften sich die Fälle von Psychopathie und anderen Geisteskrankheiten. Doch obwohl man nach dieser Erkenntnis den Empathen gestattet hatte, geboren zu werden, war es ihnen unmöglich gemacht worden, sie selbst zu sein, indem man ihre Fähigkeiten von frühester Kindheit an wegkonditioniert hatte. »Hat Krychek in Betracht gezogen, dass es nicht ausreichen könnte, die Empathen aus ihrem Schlummer zu wecken?«

»Ja, das hat er. Du begreifst also, wo das Problem liegt?«

Es war nicht zu übersehen. Sollten die Empathen aktiv dazu beitragen müssen, die Infektion zu bekämpfen, könnte dies gleichbedeutend mit dem Untergang der medialen Gattung sein, denn es gab niemanden mehr, der die E-Kategorie lehren konnte, was zu tun war. Bis der damals herrschende Rat schließlich eingesehen hatte, dass es ein Fehler war, die E-Medialen aus dem Genpool zu eliminieren, waren deren Alte längst gestorben und die Informationen über ihre Fähigkeiten aus den Archiven gelöscht.

»Wie viele?«, fragte Vasic, dem klar war, dass sie nicht alle Empathen gleichzeitig aus ihrem Dämmerschlaf holen konnten. Die vielen Todesfälle unter ihnen hatten fast zum Kollaps des Medialnet geführt. Es gab keine Prognose, was passieren würde, wenn sie alle auf einmal erwachten, orientierungslos und ohne Kontrolle über ihre Fähigkeiten.

»Eine Testgruppe von zehn.« Aden telepathierte ihm die Liste.

Vasic überflog sie. Jeder der Empathen verfügte über einen hohen Skalenwert, von kardinal bis acht Komma sieben. »Nein«, beschied er seinem Partner, bevor dieser die Bitte äußern konnte. »Ich werde sie nicht holen.«

»Nicht alle. Einer genügt.«

»Nein«, wiederholte er. »Wenn Krychek Empathen entführen will, kann er das selbst tun.« Vasic würde sich von niemandem mehr vor den Karren spannen lassen.

»Glaubst du wirklich, ich würde so etwas von dir verlangen?«

Nun endlich wandte Vasic sich dem Telepathen zu, der zugleich sein einziger Freund war. Sie kannten sich schon seit ihrer Kindheit, als man sie zu gemeinsamen Trainingseinheiten eingeteilt hatte, die darauf abzielten, Vasic in einen kaltblütigen Killer zu verwandeln. Ihre Ausbilder hatten in Aden nicht mehr gesehen als einen nützlichen Sparringpartner, ein folgsames Gegenstück zu Vasics damals noch hitzigem Temperament, einen Jungen, der nur deshalb zum Nachwuchs der Pfeilgarde zählte, weil seine Eltern ihr angehörten und sie ihn von der Wiege an darauf getrimmt hatten, in ihre Fußstapfen zu treten.

Aden hatte seine Ausbildung mit der Qualifikation zum Truppenarzt abgeschlossen. Er hatte dasselbe harte Training durchlaufen wie die anderen Rekruten, war darüber hinaus jedoch keiner besonderen Beachtung für würdig befunden worden – es sei denn, um ihn abzuhärten, weil er zu klein für sein Alter war. Die Personen, die die Dienste der Pfeilgarde in Anspruch nahmen, hatten Aden schon immer unterschätzt und der Truppe dadurch einen Führer gegeben, der zahllose Leben gerettet hatte und dem sie bis ins Fegefeuer folgen würden.

»Nein«, räumte Vasic ein. »Das würdest du nicht.«

Aden wusste genau, wie nah Vasic am Abgrund stand, dass die Ermordung oder Verletzung eines weiteren unschuldigen Individuums den hauchdünnen Faden, der ihn noch ans Leben band, durchtrennen konnte.

»Krychek glaubt, dass der von ihm vorgeschlagene Versuch, die Infektion mithilfe der Empathen in den Griff zu bekommen, nicht funktionieren wird, wenn man sie zur Teilnahme zwingt«, sagte Aden in die Stille hinein. »Keine Ahnung, ob das seine persönliche Einschätzung oder die von Sahara ist, jedenfalls sollen die...