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Nicht vom Brot allein (eBook) - Sailer und Schatz: ihr dritter Fall - Frankenkrimi

Sigrun Arenz

 

Verlag ars vivendi, 2012

ISBN 9783869133393 , 310 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

 

2. Glückliche Hühner

Eva Schatz von der Ansbacher Kriminalpolizei ließ den Blick über den engen, gepflasterten Hinterhof gleiten, in dem sie stand, dann über die Häuserfronten ringsum. Das Backsteingebäude vor ihr, zu dem der Hof gehörte, war heruntergekommen und seit Langem unbewohnt, die Fenster mit Holz verbarrikadiert, doch dahinter und daneben erhoben sich modernere Bauten mit mehreren Stockwerken und viel Glas, die hauptsächlich Büros beherbergten.

Das einzige Grüne in diesem Teil der Stadt, den die moderne Stadtplanung bislang völlig ignoriert hatte, waren ein paar Grashalme in den Ritzen zwischen den Gehsteigplatten.

»Sieht mir nicht so aus, als ob die glücklichen Hühner hier leben«, bemerkte ihr Begleiter, POK Huber, trocken.

Eva nickte grimmig. »War ja auch kaum zu erwarten. Finden Sie heraus, ob die Firma hier überhaupt einen Sitz hat. Wenn nicht, halten wir uns an die andere Adresse und informieren die Kollegen in Nürnberg.«

»Haben wir genügend Verdachtsmomente, um einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken?«, erkundigte sich Hu­-
ber skeptisch. »Dass hier keine Bioeier von freilaufenden Hühnern erzeugt werden, ist klar, und die bescheißen ihre Kunden ganz offensichtlich. Aber genügt das für uns? Ich meine, dass nicht überall Bio drin ist, wo es draufsteht, weiß jeder.«

»Schon deshalb gehört die Sache weiterverfolgt. Wozu haben wir schließlich Kennzeichnungspflichten und Verbraucherschutzgesetze, wenn sie nicht eingehalten werden? Aber Sie vergessen die zwei Nudelproben, die man uns geschickt hat. Wenn diese angebliche Biolandfarm bewusst Gammeleier an Nudelhersteller verhökert, dann könnte das ähnlich dramatisch sein wie 2006 in Oberbayern.« Eva verzog das Gesicht. So gerne sie einen Fahndungserfolg in dieser Sache hätte – ein Lebensmittelskandal war eine unerfreuliche Sache. Vielleicht wäre es das Beste, wenn sie sich irrten und die beiden Nudelproben mit verdorbenen Eiern bloßer Zufall und auf Nachlässigkeit statt auf kriminelle Geschäfte mit Nahrungsmitteln zurückzuführen wären.

Ihr Handy klingelte, während Huber die umliegenden Häuser nach dem Büro der Firma Bioleben absuchte und sie selbst um das verlassene Backsteingebäude herumging, als ob sie dort etwas Lohnenswertes zu finden hoffte. Die Kollegen konnten mit einer weiteren Probe aufwarten, die verdorbene Eier enthielt, diesmal in den Produkten einer Großbäckerei. »Gerade reingekommen«, erklärte ihr Gesprächspartner. »Wieder Eier von dieser Tochterfirma von Bioleben. Der Durchsuchungsbefehl ist durch, Sie können heute noch zuschlagen.«

»Okay«, erwiderte Eva. »Das sind gute Neuigkeiten.« Nur, dass es schlechte waren. Drei Lebensmittelproben mit Gammeleiern. Sollten Ansbach und Nürnberg am Ende auch in die Annalen der großen Lebensmittelskandale dieses Jahrzehnts eingehen? Es wäre ein zweifelhafter Ruhm.

 

Ihre Füße taten weh, als sie am Abend nach Hause fuhr. Die Beamten hatten am Nachmittag die Büroräume der Firmen Bioleben und Bioeggs durchsucht und Computer herausgetragen, während ein paar bemitleidenswerte Angestellte fassungslos und offenbar völlig überrascht dabeigestanden waren. Eine von ihnen, ein altes, mageres Geschöpf in dickem Angorapullover, war in Tränen ausgebrochen, als Eva mit einem Kollegen ihr Büro betreten und ihr Anliegen vorgebracht hatte.

Ihre Wohnung war dunkel, als Eva aufsperrte; die Märzabende waren noch immer kurz, und die Dämmerung brach früh herein. Der Kater strich ihr miauend ums Bein, aber das war auch alles. Sie ertappte sich bei dem Gedanken an frühere Abende. Wie die Wohnung in einladendes Licht gebadet war, wenn Irene auf dem Sofa saß, die Beine angewinkelt, einen ihrer stark riechenden ayurvedischen Kräutertees vor sich, die Eva gehasst hatte. Der Kater hatte sich meist auf ihrem Schoß zusammengerollt, und beide, Frau und Katze, hatten sie mit der gleichen Unerschütterlichkeit und Ruhe begrüßt. Irene! Sie dachte den Namen wie eine Krankheit, selbst nach all diesen Monaten, aber an Abenden wie diesem haftete ihm auch noch die Enttäuschung an und die Sehnsucht.

Verärgert über sich selbst schaltete Eva alle Lampen ein, bis Wohnzimmer und Küche in kaltem Licht dalagen und sich in den Scheiben spiegelten, deren Vorhänge sie noch nicht zugezogen hatte. Ihr Magen knurrte; sie hatte seit Stunden nichts mehr gegessen.

Im Kühlschrank fand sie eine Schachtel Eier, die sie nachdenklich betrachtete. Es waren keine Bioeier – nicht einmal als solche etikettierte. Mit dem Rest ihrer Vorräte war es noch schlechter bestellt – das meiste stammte aus einem billigen Supermarkt, und das Fleisch sah aus, als hätte es auch schon einmal eine tragende Rolle bei einem Gammelfleischskandal gespielt. Irene hatte gerne frische Lebensmittel auf dem Markt eingekauft, und wann immer sie Zeit gehabt hatte zu kochen, hatte sie sie genutzt. Aber Irene war fort, und mit ihr der ganze Bio-Fanatismus, der, wie der heutige Tag wieder einmal gezeigt hatte, ohnehin nur ein fauler Zauber war. Trotzig warf Eva das verdorbene Fleisch in den Müll und briet sich Eier mit Speck. In der Nacht träumte sie dann, dass sie auf einem verlassenen Hof zwischen mehreren Dutzend scharrender Hühner stand, die weinten, als ihre Computer aus den umliegenden Büros an ihnen vorbeigetragen wurden.

Der Traum bestärkte sie zwar in ihrer Überzeugung, dass sie dringend Urlaub brauchte, aber ihre Laune hob sich, als sie beim Frühstück (drei Tassen Kaffee und etwas Toast) telefonisch die Nachricht erhielt, dass die Firma Bioleben ersten Auswertungen zufolge tatsächlich mit Gammeleiern gehandelt hatte. Sie waren auf der richtigen Spur gewesen.

 

Christopher Köhler hatte sich das Rauchen beinahe abgewöhnt – außer gelegentlich in geselliger Runde. Und hin und wieder, wenn er im Stress war, zündete er sich doch eine an, obwohl es ihn eigentlich ärgerte. In den letzten Wochen war das ein wenig zu häufig vorgekommen, und er wusste genau, weshalb. Das bevorstehende Doppelabitur forderte seinen Tribut an Nervenkraft, vor allem, wenn man, wie er, drei Oberstufenkurse unterrichtete, eine K13 (die Abschlussklasse des neunjährigen Gymnasiums) und in der O12 einen Biokurs und ein Projektseminar in Wirtschaft. O12 – mittlerweile hatte er sich an die neue Bezeichnung für die Oberstufe des G8 gewöhnt, die allen zu Anfang so sperrig vorgekommen war. Kollegstufe – daran war man gewöhnt gewesen, das hatte den richtigen Klang gehabt, aber Oberstufe 12 … na ja! Immerhin hatten sie sich schulintern gegen die ursprünglich angedachte Wortschöpfung und offizielle Bezeichnung »Qualifikationsphase 11 und 12« entschieden. Was für ein Unwort das gewesen wäre!

Köhler streifte etwas Asche von seiner Zigarette und schüttelte den Kopf. Was Wortungetüme und zweifelhafte Phrasen anging, so hatte das G8 wirklich keinen Mangel daran. Bei einem Elterngespräch vor einigen Wochen hatte sich eine Mutter beschwert, weil er im Unterricht einen englischen Text verwendet und darüber dann auch noch abgefragt hatte, was doch wirklich unzumutbar sei. Er hatte verbindlich gelächelt und sich dann selbst etwas vom »Geist des neuen Lehrplans«, »vernetzendem Denken« und »dem Ende des alten Schubladendenkens und dem Beginn fächerübergreifender Kompetenzorientierung« sagen hören. Er war auch eigentlich fest davon überzeugt, dass man in Biologie und seinetwegen auch in Religion oder Mathe englische Texte verwenden sollte – wofür lernte man die Sprache schließlich? Doch in die gängigen Phrasen verpackt klang das Ganze sofort nach bloßer Schwafelei. Immerhin hatte es die verärgerte Mutter beeindruckt, die seine Sprechstunde verlassen hatte, ohne sich weiter zu beschweren. Vielleicht war sie aber auch bloß von seinem Wortschwall erdrückt worden.

Wieder stippte er die Asche von seiner Zigarettenspitze. Ihm fiel auf, dass die Zigarette schon zur Hälfte heruntergebrannt war, er aber höchstens zweimal daran gezogen hatte. Im Grunde schmeckte ihm das Zeug gar nicht mehr. Sein Blick glitt über die fensterlose Wand vor sich – dahinter lag die Teeküche, deren Fenster in Richtung Mensabaustelle blickten. Vielleicht rauchte er nur deshalb wieder mehr, weil ihm das eine Gelegenheit bot, dem Lehrerzimmer zu entkommen. Jeden Tag die gleichen Gespräche und die niemals endenden Klagen: über die Schüler, über das Kultusministerium, über das G8, über die Kollegen, über die Korrekturen, die Durchsagen, die Konferenzen. Wer wollte das alles ständig hören? Das letzte verbleibende Rauchereck der Schule war zwar alles andere als schön, eingezwängt in den Winkel zwischen Turnhallenwand und Hauptgebäude, aber wenigstens lagen einem nicht ständig Leute mit ihren Anliegen in den Ohren. Wenn er das Rauchen endgültig aufgab, blieb als einziger stiller Ort die Lehrertoilette, und ganz so verzweifelt war er nun doch wieder nicht. Zumal das Herrenklo im Erdgeschoss unter einem offensichtlich nicht behebbaren Geruchsproblem litt: Es stank dort so erbärmlich, dass ein Referendar darauf bestanden hatte, mit dem Hausmeister den darüberliegenden Raum unter der abgehängten Decke zu inspizieren, weil er dort eine verwesende Katzenleiche vermutete. Leider waren sie nicht fündig geworden, sodass es vielleicht doch am Abfluss lag. Das benachbarte Damenklo hatte dieses Problem nicht, was Köhler nicht ganz fair fand, aber andererseits verbrachten Frauen auch viel mehr Zeit in den Toilettenräumen.

»Ach, da bist du!«, posaunte ihm eine unverkennbare Stimme entgegen. Amalia Rosenberg, die schwierigere, aber auch...