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Das Phantom im Opernhaus (eBook) - Paul Flemmings sechster Fall - Frankenkrimi

Jan Beinßen

 

Verlag ars vivendi, 2013

ISBN 9783869134314 , 244 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

 

2

Er hielt die kleine Schatulle zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte sie langsam um ihre eigene Achse und begutachtete das Geschenkpapier, das sie umhüllte. Das Papier war hellgrün. Denn Grün ist die Farbe der Hoffnung.

Er saß an einem schattigen Plätzchen im Biergarten des Goldenen Ritters und war vom Scheitel bis zur Sohle erfüllt von einer prickelnden Nervosität. Seine Blicke glitten von dem Schmuckkästchen zum Eingang des Biergartens und dann wieder zurück auf die Schatulle. Hin und wieder sah er auch auf die Uhr. Seine Verabredung war spät dran.

Paul wurde unruhiger, je länger er warten musste. Um sich abzulenken, nahm er eine Tageszeitung zur Hand, die jemand auf der Bierbank liegen gelassen hatte. Er blätterte durch den überregionalen Teil, überflog den Sport und die Lokalnachrichten. Bei den Familienanzeigen hielt er inne: Die Trauermeldungen wurden heute von einem Namen dominiert. Nicht weniger als sieben Nachrufe in verschiedenen Größen und mit unterschiedlichen Unterzeichnern widmeten sich ein und demselben Verstorbenen. Sein Name: Wolfram Schillinger. Der Nürnberger Großindustrielle war bei einem Flugzeugabsturz in Südamerika ums Leben gekommen. Paul gingen seine eigenen, sehr schmerzlichen Erfahrungen mit diesem Mann durch den Sinn, und er fragte sich, ob es verwerflich war, dass er in diesem Moment so etwas wie Genugtuung empfand.

Dann schlug er die nächste Seite auf und gelangte zu den Geburten. Unter den Neuzugängen zu Nürnbergs Bevölkerung war ein kleines Mädchen, das von seinen stolzen Eltern mit liebevollen Worten und einer Teddybärzeichnung begrüßt wurde. Der Teddybär hatte einen Löffel in den winzigen Pfoten und eine Kochmütze auf dem runden Kopf. Mama und Papa hatten mit ihren Vornamen Jan-Patrick und Marlen unterzeichnet.

Das Leben ist ein Kommen und Gehen, dachte sich Paul und legte die Zeitung versonnen beiseite.

Wieder sah er auf die Uhr und dann in Richtung des Eingangs. Er wollte gerade eine zweite Apfelschorle bestellen, als er eine wohlbekannte, aber heute ganz und gar unwillkommene Gestalt erspähte. Schnell sah er weg und rückte tiefer in den Schatten. Doch es war bereits zu spät.

»Ja, wen haben wir denn da? Ganz versteckt im hintersten Winkel. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze? Ich verbringe meine Mittagspause so ungern allein.«

Paul hatte eine ganze Menge dagegen. Wenn es einen Menschen gab, den er hier nicht treffen wollte, dann war es Victor Blohfeld. Doch der Reporter rutschte unaufgefordert neben ihn auf die Bank und musterte ihn aus seinem blassen, unrasierten Gesicht. Paul schnappte sich blitzschnell die Zeitung und warf sie über das Schmuckkästchen.

Diese Bewegung machte den Reporter erst recht aufmerksam. Er schob die Zeitung beiseite und tippte auf das kleine Geschenk: »Ich habe heute nicht Geburtstag, freue mich aber trotzdem«, sagte er und grinste Paul breit an.

»Das ist nicht für Sie«, sagte Paul knapp und ließ das Kästchen in seiner Hosentasche verschwinden.

»Ach … – nicht?« Blohfeld rückte noch näher an Paul heran. »Spaß beiseite, alter Junge: Sie haben nicht ernsthaft vor, das zu überreichen?«

»Und ob ich das vorhabe!«, sagte Paul entschieden.

Blohfeld sah ihn über seine Himmelfahrtsnase hinweg besorgt an. »Sie wissen, dass das Ihr Ende bedeutet?«

»Reden Sie keinen Stuss, Blohfeld«, entgegnete Paul verärgert. »Sie haben doch keine Ahnung von Anstand und wahrer Liebe.«

»Wahre Liebe.« Der Reporter kicherte. Dann sagte er mit klingender Stimme: »Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie es wirklich durchziehen, wenn Sie Ihr hässliches grünes Päckchen übergeben und sich dabei schmachtend vor ihr auf die Knie werfen, ist Ihr Leben als aufrechter freier Mann verwirkt.«

»Blohfeld!« In Paul begann es zu sieden. »Ich bin 42 und habe genug vom Leben als aufrechter freier Mann – was doch in Wahrheit nichts anderes heißt als frustrierter einsamer Single. Ich habe dem Kind im Manne lange freien Lauf gelassen. Jetzt ist es Zeit, endlich erwachsen zu werden.«

Blohfeld sah ihn eindringlich an. »Das bedeutet?«, fragte er misstrauisch.

»Dass ich mein Leben in geordnete Bahnen lenken will. Ich will klare Verhältnisse schaffen. Privat – und übrigens auch sonst: Das Kriminalisieren gehört ab jetzt der Vergangenheit an!«

»Große Worte«, kommentierte der Reporter spöttisch. »Na gut, wenn Sie sich so entschieden haben, will ich Ihrem Glück nicht im Wege stehen. Aber sagen Sie später nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.« Er reckte seinen dürren Hals und sah sich im Biergarten um. »Apropos Glück: Wo bleibt Ihre Holde eigentlich?«

»Sie hätte vor einer halben Stunde hier sein sollen«, gab Paul widerwillig zu.

Blohfeld feixte. »Vielleicht ahnt sie, was auf sie zukommt, und ist getürmt. In dem Fall hätten Sie doch noch eine Überlebenschance.«

»Sie sind ein Idiot, Blohfeld, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie verschwinden würden.«

»Ich habe ja noch gar nichts bestellt!«

»Es gibt genügend andere Biergärten in der Stadt!« Schon während Paul diese Worte aussprach, wusste er, dass er zu weit gegangen war. Versöhnlich fügte er hinzu: »Nehmen Sie es mir nicht krumm, aber es gibt ein paar Dinge in meinem Leben, die sind privat. Rein privat.«

Der Reporter nickte, und unter seiner aufgesetzten Lässigkeit wirkte er mit einem Mal betrübt. »Ehrensache. Ich werde Sie allein lassen, sobald die Dame Ihres Herzens eintrifft. Aber schlagen Sie meine Warnungen nicht komplett in den Wind. Sie werden nie wieder eigenständig sein, nie wieder nur sich selbst verantwortlich.«

»Alter Schwarzmaler«, schalt ihn Paul freundlich. »Ist es nicht vielleicht so, dass Sie ein bisschen neidisch auf mich sind?«

Blohfeld plusterte sich auf und nahm eine Haltung an, als wollte er diese Frage – diesen ungeheuerlichen Vorwurf! – mit großer Geste von sich weisen. Doch dann sank er wieder in sich zusammen und sagte recht leise: »Neidisch … – na, vielleicht ein winziges bisschen. Aber das haben Sie jetzt nicht gehört!«

Paul freute sich über die seltene Aufrichtigkeit des Reporters. Deshalb protestierte er auch nicht, als Blohfeld sich ein leichtes Hefeweizen bestellte und damit zu verstehen gab, dass er nicht die Absicht hatte, früher als unbedingt nötig das Feld zu räumen. Bald entwickelte sich ein ungewöhnlich offenes Gespräch zwischen den beiden. Es ging um Beziehungen, um Frauen, um die Liebe an sich. Blohfeld plauderte und taute mit jeder neuen Offenbarung aus seinem sonst so sorgsam gehüteten Privatleben merklich auf. Allerdings kündigte sich ein Ende seiner mitteilsamen Phase an, als er merkte, dass sein raubeiniges Image zu bröckeln begann: »Beinahe, Flemming, beinahe hätte ich sie zum Traualtar geführt«, berichtete er über eine junge Frau namens Katrin, mit der er in den 80ern liiert gewesen war.

»Dann wären Sie jetzt seit einem Vierteljahrhundert verheiratet. Was ist denn aus ihr geworden? Sehnen Sie sich noch nach ihr?«, erkundigte sich Paul.

Blohfeld war es sich und seinem Ansehen schuldig, die Notbremse zu ziehen: »Wo denken Sie hin? Darüber bin ich längst hinweg. Allein die Vorstellung, mit einer Frau verheiratet zu sein, die fast so alt ist wie ich, ist entsetzlich. 25, allerhöchstens 30 Jahre, das ist für mich heute die Schmerzgrenze.«

Paul lachte herzhaft auf. »Und Sie meinen, dass sich so junge Dinger für Sie interessieren?«

»Aber sicher!«, bekräftigte der Reporter und fand zu seiner schützenden Arroganz zurück. Mit einem einzigen Schluck leerte er den großen Rest in seinem Weizenglas und sah auf die Uhr. »Mittlerweile können wir sicher sein, dass Sie versetzt wurden. Hören Sie auf meinen Rat und halten Sie sich künftig an Jüngere. Das ist zwar nichts Nachhaltiges, aber der Spaßfaktor ist enorm.«

»Sie sind ein Gefühlstrampel, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?« Paul fixierte den Reporter und hielt ihm vor: »Irgendwann werden Sie auch noch lernen, zu Ihren wahren Gefühlen zu stehen und die alberne Fassade abzulegen. Den Schwerenöter nimmt Ihnen sowieso niemand mehr ab.«

Blohfeld wollte zu einer weiteren Widerrede ansetzen, als sich sein Handy bemerkbar machte. »Wer stört?«, raunzte er in den Apparat. Seine Brauen zogen sich zusammen, während er lauschte und dann ein paar knappe Worte mit dem Anrufer wechselte. Schließlich steckte er das Handy wieder ein. Schweigend mahlte er mit den Zähnen.

»Und?«, fragte Paul. »War es was Wichtiges?«

»Wie man es nimmt«, sagte der Reporter und sah Paul mit einer Mischung aus Häme und Mitleid an. »Ich habe gerade die Absage für Ihre Verabredung entgegengenommen.«

»Wie? Was?« Paul richtete sich auf.

»Wie ich geahnt hatte: Sie wird nicht kommen«, meinte der Reporter und rückte zur Seite.

»Woher wollen Sie das wissen? Mit wem haben Sie gesprochen?« Paul wusste nicht, wie ihm geschah.

»Es gab einen Mord«, ließ Blohfeld die Katze aus dem Sack. »Ich nehme an, dass Ihre Angebetete jetzt Besseres zu tun hat, als sich Ihren Heiratsantrag anzutun.«

Ein Mord? Dann war es tatsächlich kein Wunder, dass die Verabredung geplatzt war. Auch Paul stand jetzt auf. »Warten Sie, Blohfeld! Wo ist das passiert? Kann ich mitkommen?«, fragte er in der Hoffnung, Katinka noch am Tatort anzutreffen. Es behagte ihm zwar wenig, entgegen seiner jüngsten Vorsätze den Schauplatz eines Verbrechens aufzusuchen, doch das Verlangen nach seiner Liebsten überwog.

Der Reporter zwinkerte ihm zu. »Gern. Ich...