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Kitchen

Banana Yoshimoto

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257604252 , 208 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[9] Der liebste Platz auf dieser Welt ist mir die Küche.

Ganz gleich, was sonst geschieht – in einer Küche, an einem Ort, an dem man kochen kann, da geht’s mir gut. Wenn diese Küche auch noch praktisch ist und alles darin seinen festen Platz hat, wenn überall saubere Tücher hängen und die weißen Fliesen funkeln und blitzen, dann ist’s perfekt.

Doch auch für wahnsinnig schmuddelige Küchen kann ich mich begeistern.

Für Küchen etwa, deren Boden mit Gemüseresten übersät ist und so schmutzig, dass die Sohlen meiner Schlappen schwarz werden, und deren Boden eine Riesenfläche hat; so was finde ich toll. Vielleicht ragt darin ein riesiger Kühlschrank auf, vollgestopft mit Lebensmitteln, so vielen, dass man leicht über den ganzen Winter kommt. Vor dem stehe ich, gelehnt an seine metallene Tür. Wenn ich den Blick vom fettbespritzten Gasherd und den angerosteten Messern hebe, leuchten draußen vor dem Fenster einsam die Sterne.

Übrig geblieben bin dann ich und die Küche. Ein tröstlicher Gedanke, wenn ich mir vorstelle, nur ich allein wäre noch da.

Manchmal, wenn ich total am Ende bin, denke ich mir: Wenn ich einmal sterben muss, dann will ich meinen letzten Atemzug in einer Küche tun. Ganz gleich, ob ich allein bin und es kalt ist, ob jemand bei mir sitzt und es warm ist: [10] Furchtlos will ich da den Dingen entgegensehen. Wenn es nur in einer Küche wäre, denke ich – wie schön!

Bevor mich die Tanabes aufgelesen haben, schlief ich nachts immer in der Küche.

Da ich anfangs, wo ich mich auch hinlegte, nur schwer einschlafen konnte, bewegte ich mich auf der Suche nach einem angenehmeren Schlafplatz immer weiter von meinem Zimmer weg. Bis ich eines frühen Morgens herausfand, dass ich neben dem Kühlschrank am besten schlief.

Ich, Mikage Sakurai, habe Vater und Mutter verloren, als sie noch jung waren. Meine Großeltern haben mich aufgezogen. Als ich in die Mittelschule kam, starb auch Großvater. Seitdem schlug ich mich allein mit Großmutter durchs Leben.

Und nun, vor kurzem erst, ist auch Großmutter gestorben. Ein echter Schock für mich.

Wenn ich mir so vorstellte, wie meine Familie – und ich habe ja tatsächlich eine gehabt – im Lauf der Zeit immer kleiner geworden war, bis zuletzt nur noch ich übrig blieb, schien es mir, als könne ich an nichts mehr glauben. Wie konnte in dieser Wohnung, in der ich geboren und aufgewachsen bin, ich allein übrig geblieben sein, während die Zeit so gleichmäßig dahinfloss? Ich war total erschrocken.

Reinste Science-Fiction. Das Dunkel des Weltraums.

Nach der Beerdigung war ich erst mal drei Tage völlig weg.

Leise schleppte ich eine sanfte Müdigkeit hinter mir her, die die übergroße, tränenlose Traurigkeit hervorgerufen hatte. Abends legte ich im stillen Licht der Küche meinen [11] Futon aus. In eine Wolldecke gekuschelt, wie Linus aus dem Comicstrip, schlief ich ein. Das gleichmäßige Summen des Kühlschranks hielt alle Gedanken der Einsamkeit von mir fern. Eine ruhige, lange Nacht ging vorüber, der Morgen kam.

Unter den Sternen wollte ich schlafen.

Im Morgenlicht wollte ich erwachen.

Alles andere war, ohne eine Spur zu hinterlassen, an mir vorübergegangen.

Doch halt! So konnte es nicht weitergehen. Schließlich ist das Leben ernst!

Auch wenn Großmutter genügend Geld hinterlassen hatte, war die Wohnung für mich allein zu groß. Und zu teuer. Ich musste eine neue Bleibe finden.

So kaufte ich mir ein Anzeigenmagazin und blätterte darin herum. Als ich die vielen Wohnungsangebote sah, von denen, wie mir schien, eines dem anderen glich, wurde mir ganz schwindlig. Umziehen ist mühsam. Wer umzieht, braucht Power!

Und die fehlte mir. Da ich Tag und Nacht in der Küche herumgelegen hatte, taten mir außerdem sämtliche Knochen weh. Als ich versuchte, meinen Kopf, dem alles egal war, wieder zum Ticken zu bringen, packte mich bei dem Gedanken, ich müsse nun eine Wohnung suchen! den ganzen Kram transportieren! ein Telefon beantragen! mich um andere, mindestens ebenso lästige Dinge kümmern! ein Gefühl der Verzweiflung. Und dann, ich erinnere mich genau, als ich eines Nachmittags wieder in der Küche lag, geschah plötzlich ein Wunder.

[12] Ding-dong, klingelte es an der Tür.

Es war ein leicht bewölkter Frühlingsnachmittag. Ich hatte gerade überlegt, ob ich das Anzeigenmagazin, das durchzublättern mir zu dumm geworden war, mit anderen Zeitschriften zu einem Bündel verschnüren sollte. Mit dem Gedanken, umziehen zu müssen, hatte ich mich allerdings inzwischen abgefunden. Rasch sprang ich auf, rannte zum Eingang, halb angezogen, löste, ohne etwas dabei zu denken, das Schloss und öffnete die Tür. (Wie gut, dass es kein Raubüberfall war.) Vor mir stand Yūichi Tanabe.

»Vielen Dank nochmals für deine Hilfe«, sagte ich. Yūichi war ein wirklich netter Kerl, ein Jahr jünger als ich, und er hatte mir bei der Beerdigung meiner Großmutter viel geholfen. Er studierte an derselben Uni wie ich. Ich selbst ging damals kaum mehr in eine Vorlesung.

»Keine Ursache«, antwortete er. »Hast du inzwischen eine Wohnung gefunden?«

»Nicht dass ich wüsste«, sagte ich und lachte.

»Hab mir’s doch gedacht.«

»Willst du nicht reinkommen und was trinken?«

»Danke, ich hab’s eilig. Muss was erledigen«, sagte er fröhlich. »Eigentlich wollte ich dir nur was ausrichten: Ich hab mit meiner Mutter gesprochen. Willst du nicht für einige Zeit zu uns kommen?«

»Zu euch?«, sagte ich.

»Ja, schau doch auf jeden Fall heute Abend um sieben mal vorbei. Hier hab ich dir den Weg aufgezeichnet.«

»Oh«, sagte ich etwas verwirrt, als ich den Zettel entgegennahm.

[13] »Meine Mutter und ich freuen uns sehr, wenn du kommst, Mikage.«

Er lachte. Und da sein Lachen so fröhlich war, wirkten seine Augen an der mir so vertrauten Tür plötzlich wahnsinnig nah; ich konnte meinen Blick gar nicht mehr von ihnen abwenden. Vielleicht war es aber auch, weil er mich bei meinem Vornamen genannt hatte.

»Also gut, ich komme vorbei.«

Ehrlich gesagt war es ziemlich verrückt, was ich da tat. Aber da er so richtig »cool« gewirkt hatte, vertraute ich ihm. Es war eigentlich immer so: Wenn ich mich spontan zu einer Verrücktheit entschlossen hatte, tat sich in dem Dunkel vor meinen Augen mit einem Mal ein Weg auf, der in helles Licht getaucht war und absolut sicher schien. Deswegen hatte ich wohl zugesagt.

Yūichi sagte: »Tja, also bis später«, und ging fröhlich lachend weg.

Bis zur Beerdigung meiner Großmutter hatte ich Yūichi Tanabe nur flüchtig gekannt. Als er am Tag des Begräbnisses plötzlich erschienen war, dachte ich einen Moment lang ernsthaft, er sei Großmutters Geliebter gewesen. Nachdem er nämlich etwas Räucherwerk geopfert hatte und, seinen Blick auf Großmutters Bild gerichtet, die zitternden Hände faltete, liefen ihm richtige Tränenbäche über die Wangen.

Da musste ich unvermittelt denken, ob seine Liebe zu Großmutter nicht etwa stärker war als meine. So traurig erschien er mir.

Und dann sagte er, ein Taschentuch vors Gesicht gepresst:

[14] »Lass mich bitte wissen, wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann.«

Und weil er das gesagt hatte, ließ ich mir in allen möglichen Dingen von ihm helfen.

Yūichi Tanabe.

Erst nach längerem Nachdenken war mir eingefallen, dass ich seinen Namen von Großmutter schon einmal gehört hatte. Das zeigte, wie durcheinander ich damals war.

Er war der junge Mann, der in dem Laden jobbte, wo Großmutter immer ihre Blumen kaufte. Was für ein reizender Junge er ist, stell dir vor, auch heute hat er wieder… so oder ähnlich hatte sie des Öfteren von ihm geschwärmt. Sie, die Blumen über alles liebte und nie vergaß, auch in der Küche welche aufzustellen, war ein- bis zweimal in der Woche zu diesem Laden gegangen. Und ja, einmal war Yūichi sogar zu uns nach Hause gekommen, er hatte Großmutter begleitet, mit einem großen Blumentopf in der Hand.

Yūichi war ein großer, schlanker Junge mit einem schön geformten Gesicht. Über seine Familie wusste ich so gut wie nichts, aber ich hatte den Eindruck, als ginge er ganz in seiner Arbeit im Blumenladen auf. Doch auch nachdem ich ihn etwas näher kennengelernt hatte, veränderte sich nichts an dem seltsam kühlen Eindruck, den er auf mich machte. Wie sanft er sich auch bewegte und sprach, man hatte immer das Gefühl, als lebe er ganz für sich allein. Unsere Bekanntschaft war immer ziemlich oberflächlich geblieben, und so war er für mich letztlich ein Fremder.

Am Abend begann es zu regnen. Die Wegbeschreibung in der Hand, trat ich in die Frühlingsnacht hinaus, deren sanfter, warmer Regen die Stadt wie in Rauch einhüllte.

[15] Die Wohnung der Tanabes lag von meinem Haus aus genau auf der anderen Seite des Stadtparks. Während ich den Park durchquerte, war mir, als schnürte mir der Geruch des nächtlichen Grüns den Atem ab. Pitsch, patsch lief ich an den regenbogenfarbenen Lichtern vorbei, die sich in dem nassen Weg spiegelten.

Ehrlich gesagt ging ich zu den Tanabes eigentlich nur, weil sie mich gerufen hatten. Mehr hatte ich mir dabei nicht gedacht.

Als das Gebäude vor mir auftauchte, in dessen zehnter Etage ihre Wohnung war, bemerkte ich, wie wahnsinnig hoch es war. Dort oben, dachte ich mir, musste man einen herrlichen Blick auf die nächtliche Stadt haben.

Im zehnten Stock angekommen, trat ich aus dem Aufzug. Langsam, das Geräusch meiner Schritte unterdrückend, ging ich den Gang entlang. Ich drückte auf die Klingel, und...