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Schwarzes Unheil

Evelyn Waugh

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257604221 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[56] 2

»Liebchen, Täubchen, Katzenaug’.«

»Das hast du aus einem Buch.«

»Nun ja. Woher weißt du das?«

»Ich habe es auch gelesen. Es ging in der ganzen Gesandtschaft rum.«

»Ich habe es ja auch nur zitiert. Man muss doch manchmal irgendwie etwas Neues sagen, nicht wahr?«

William und Prudence rollten auseinander und lagen nun auf dem Rücken. Ihre Sonnenhüte hatten sie über die Nase gestülpt, um ihre Augen vor der Äquatorsonne zu schützen. Sie lagen auf einem Hügel oberhalb von Debra Dowa. Hier – achttausend Fuß hoch – war es kühl. Hinter ihnen, umgeben von einer Euphorbienhecke, stand eine strohgedeckte nestorianische Kapelle. Vor ihrer Tür lag das jüngste Kind des Priesters, sonnte seinen nackten Bauch und blickte heiter in den Himmel, gleichgültig gegen die Fliegen, die sich an seinen Mundwinkeln niederließen und über seine Augäpfel wanderten. Unten im Tal sah man die Blechdächer von Debra Dowa und ein paar dünne Rauchsäulen zwischen blauen Eukalyptusbäumen. Etwas abseits saß der Gesandtschaftsstallknecht bei den Ponys.

»William, Liebling, auf deinem Hals sitzt etwas Seltsames. Ich glaube, es sind sogar zwei.«

[57] »Na, ich finde, du könntest sie verjagen.«

»Ich glaube, es ist die Art, die am bösesten sticht.«

»Biest.«

»Ach, nun ist es fort. Es waren doch zwei.«

»Ich kann aber fühlen, wie es herumkriecht.«

»Nein, Liebling, das bin ich. Ich finde, du könntest wenigstens hinsehen, wenn ich so süß zu dir bin. Ich habe eine neue Art Kuss erfunden. Man macht es mit den Wimpern.«

»Das kenne ich seit Jahren. Man nennt es Schmetterlingskuss.«

»Ach, du brauchst damit gar nicht so anzugeben. Ich tue das alles nur zu deinem Besten.«

»Es war sehr hübsch, Liebling. Ich sagte bloß, es ist nichts Neues.«

»Ich glaube, du hast es nicht einmal gemocht.«

»Es war dem stechenden Biest so sehr ähnlich.«

»Ach, es ist zum Rasendwerden, dass außer dir niemand da ist, mit dem man flirten könnte.«

»Die Dame-von-Welt-Stimme.«

»Das ist nicht Dame-von-Welt. Das ist meine Grammophonplattenstimme. Meine Dame-von-Welt-Stimme ist ganz anders. Die ist so.«

»Das nenne ich amerikanisch.«

»Soll ich mal Bebend-vor-Leidenschaft reden?«

»Nein.«

»Meine Güte, Männer sind schwer zu amüsieren.« Prudence setzte sich auf und steckte eine Zigarette an. »Ich finde dich zu feminin und nicht besonders sexy«, erklärte sie, »und ich kann dich nicht ausstehen.«

[58] »Das ist nur, weil du zu jung bist, um echte Gefühle aufkommen zu lassen. Du könntest mir eine Zigarette geben.«

»Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest. Zufällig ist dies die letzte. Nicht nur die letzte in meiner Tasche, sondern die letzte in Debra Dowa. Ich habe sie mir heut früh im Schlafzimmer des Außerordentlichen Gesandten genommen.«

»O Gott, wann ist dieser idiotische Krieg vorbei! Seit sechs Wochen ist kein Postsack mehr gekommen. Mir fehlen Haarwasser, Detektivromane, und jetzt gibt’s keine Zigaretten mehr. Ich finde, du könntest mir ein bisschen von der da abgeben.«

»Ich hoffe, du kriegst eine Glatze. Aber ich überlasse dir die Zigarette.«

»Pru, wie süß von dir! Ich hätte nicht gedacht, dass du es tun würdest.«

»So bin ich nun mal.«

»Ich glaube, ich werde dir einen Kuss geben.«

»Nein, versuche die neue Art mit den Wimpern.«

»Ist das so richtig?«

»Bezaubernd. Noch ein bisschen.«

Bald darauf stiegen sie wieder auf und ritten zur Gesandtschaft zurück. Auf dem Weg sagte William: »Hoffentlich kriegt man davon nicht einen Tick.«

»Wovon, Liebling?«

»Das mit den Wimpern. Ich habe Leute mit Ticks gesehen. Wahrscheinlich haben sie sie auf diese Weise bekommen. Es gab mal einen Mann, der festgenommen wurde, weil er den Mädchen auf der Straße zuzwinkerte. Da behauptete er, es sei ein chronisches Leiden, und zwinkerte [59] die ganze Untersuchung hindurch und kam frei. Aber das Traurige ist, dass er jetzt nicht aufhören kann und seitdem immer zwinkert.«

»Eines muss ich dir lassen«, sagte Prudence, »du hast eine entzückende Sammlung von Geschichten. Wahrscheinlich habe ich dich deswegen so gern.«

Drei Mächte – Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten – hatten in Debra Dowa ständig diplomatische Vertreter. Es war kein wichtiger Posten. Mr Schonbaum, der Doyen, war erst spät im Leben Diplomat geworden. Die Jahre des Aufbaus seiner Karriere waren eigentlich vorüber, als er sich – im Hinblick auf die Unsicherheit europäischer Währungen – entschloss, ein Bürger der Republik, die er jetzt vertrat, zu werden. Vom zehnten bis zum vierzigsten Jahr hatte er ein tätiges Leben geführt, abwechselnd beschäftigt mit Journalismus, Elektrotechnik, Grundbesitz, Baumwollhandel, Hotelwesen, Schifffahrt und Theaterangelegenheiten. Bei Ausbruch des europäischen Krieges hatte er sich in die Vereinigten Staaten zurückgezogen und dann, als diese in den Krieg eintraten, nach Mexiko. Bald nach der Friedenserklärung war er amerikanischer Bürger geworden und hatte sich in der Politik vergnügt. Er steckte große Summen in den Wahlkampf für eine neue Präsidentschaft; nach dessen erfolgreichem Abschluss wurden ihm verschiedene öffentliche Ämter zur Auswahl angeboten, von denen die Gesandtschaft in Debra Dowa bei weitem das am wenigsten glanzvolle und einträgliche war. Durch seine europäische Erziehung jedoch hatte die Diplomatie für ihn einen Glanz, den selbst seine spätere [60] Bekanntschaft mit der großen Welt nie gänzlich trüben konnte. Alles Geld, das er brauchte, hatte er bereits verdient. Das Klima von Debra Dowa galt als gesund und die Umgebung als romantisch. Infolgedessen hatte er diesen Posten gewählt und es nie bereut, da er während der letzten acht Jahre eine Beliebtheit und ein Ansehen genoss, wie er sie bei seinen Landsleuten kaum je erlangt haben würde.

Der französische Gesandte, Monsieur Ballon, war Freimaurer.

Der Gesandte Seiner Britannischen Majestät, Sir Samson Courteney, war ein Mann von ganz besonderem persönlichem Charme und weitreichender Bildung, dessen relativer Misserfolg im diplomatischen Leben eher seiner Zerstreutheit als mangelnden Fähigkeiten zuzuschreiben war. In seiner Jugend hatte man große Dinge für ihn vorausgesagt. Seine Examina hatte er mit einer Reihe ganz hervorragender Arbeiten glänzend bestanden. Er hatte einflussreiche familiäre Beziehungen im Auswärtigen Amt, und doch wurde es von Beginn seiner Laufbahn an deutlich, dass er diese Erwartungen enttäuschen würde. Als dritter Sekretär in Peking hatte er sich für nichts anderes interessiert als für die Anfertigung eines Pappmodells des Sommerpalastes. Nach Washington versetzt, erfasste ihn eine plötzliche Begeisterung für den Radsport: Er verschwand manchmal tagelang und kehrte schließlich staubbedeckt, doch triumphierend heim mit Berichten, wie er Rekorde für Schnelligkeit und Ausdauer gebrochen hatte. Der durch diese Liebhaberei erregte Skandal erreichte den Gipfel, als er seine Teilnahme an einer internationalen Langstreckenmeisterschaft anmeldete. Seine Onkel im Auswärtigen Amt [61] verschoben ihn eiligst nach Kopenhagen und verheirateten ihn bei der Durchreise durch London mit der überaus erstrebenswerten Tochter eines liberalen Kabinettministers. In Schweden empfing seine Laufbahn den Todesstoß. Seit einiger Zeit war er bei Tisch auffallend still gewesen, sobald fremde Sprachen gesprochen wurden. Jetzt kam die fürchterliche Wahrheit zutage: nämlich, dass er sogar die französische Sprache nicht mehr beherrschte. Manch ein alternder Diplomat kann, fehlt ihm ein Wort, das Gespräch drehen und seine Ansichten seinem Wortschatz anpassen: Sir Samson improvisierte kühn oder verfiel in eine Art Pidgin-Englisch. Die Onkel waren treu. Er wurde nach London zurückgerufen und in einer Abteilung des Auswärtigen Amtes untergebracht. Schließlich, im Alter von fünfzig Jahren, als seine Tochter Prudence dreizehn war, wurde er Ritter des Ordens von St. Michael und St. Georg und nach Azania abgeschoben. Diese Ernennung entzückte ihn außerordentlich. Es hätte ihn erstaunt zu erfahren, irgendjemand sei der Ansicht, er habe in seiner Laufbahn versagt, wie er auch nicht ahnte, dass er im ganzen Dienst nur als der »Außerordentliche Gesandte« bekannt war.

Das Botschaftsgelände lag sieben Meilen vor der Stadt: eine Miniaturgartenstadt, von einer Art Palisade umgeben und bewacht von einer Truppe der indischen Kavallerie. Es gab eine drahtlose Verbindung mit Aden und einen unzuverlässigen Telefondienst innerhalb der Stadt. Die Straße jedoch war fürchterlich. Einen großen Teil des Jahres war sie von Wasserläufen zerfurcht, von Felsbrocken, rutschenden Erdmassen und gestürzten Bäumen versperrt, außerdem machten Wegelagerer sie unsicher. Der letzteren [62] Tatsache wegen war Sir Samsons Vorgänger bei der azanischen Regierung vorstellig geworden, worauf mehrere Fußreisende unter dem Verdacht der Räuberei gehängt worden waren. Nichts jedoch geschah für die Straße selbst. Die Korrespondenz wurde fortgesetzt, und ihr Abschluss war die erfolgreichste Tat in Sir Samsons Laufbahn. Durch seine Ernennung aufgemuntert und voll Eifer für die eigene Bequemlichkeit hatte sich der Außerordentliche Gesandte – zum...