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Entweder - Oder - Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita

Søren Kierkegaard

 

Verlag e-artnow, 2014

ISBN 9788026805366 , 1040 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

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1,99 EUR


 

Entweder - Oder


Ein ekstatischer Vortrag

Verheirate dich, du wirst es bereuen; verheirate dich nicht, du wirst es auch bereuen. Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen. Verlache die Thorheiten der Welt, du wirst es bereuen; beweine sie, beides wirst du bereuen. Traue einem Mädchen, du wirst es bereuen; traue ihm nicht, du wirst auch dies bereuen. Fange es an, wie du willst, es wird dich verdrießen. Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, beides wird dich gereuen. Dieses, meine Herren, ist der Inbegriff aller Lebensweisheit. Es sind nicht nur einzelne Augenblicke, in denen ich, wie Spinoza sagt, alles aeterno modo (aus dem Gesichtspunkt der Ewigkeit) betrachte; vielmehr bin ich beständig aeterno modo. Manche meinen dies gleichfalls zu sein, wenn sie das eine oder das andre gethan haben und danach denn diese Gegensätze verbinden oder vermitteln. Das ist indes ein Mißverstand: denn die wahre Ewigkeit liegt nicht hinter einem Entweder-Oder, sondern vor demselben. Ihre Ewigkeit wird daher auch eine schmerzliche Zeitsuccession sein, da sie an einem zwiefachen Verdruß oder zwiefacher Reue werden zu zehren haben. Meine Weisheit ist demnach leicht zu verstehen; denn ich habe nur einen Grundsatz, von welchem ich auch nicht immer ausgehe. Man hat zu unterscheiden zwischen der erst nachfolgenden Dialektik eines Entweder-Oder, und der hier angedeuteten ewigen. Sage ich z.B. hier: ich gehe nicht von meinem Grundsatze aus, so ist dies nur der negative Ausdruck für meinen Grundsatz, oder das, wodurch er sich selbst in dem Gegensatze faßt zwischen einem Ausgehen davon oder einem Nichtausgehen. Für die Zuhörer, die im stande sind mir zu folgen, ungeachtet ich im Grunde keine Bewegung mache, werde ich jetzt die ewige Wahrheit entwickeln, wobei das philosophische Denken in sich selbst bleibt und keine höhere gelten läßt. Ginge ich von meinem Grundsatze aus, so würde ich nicht wieder aufhören können; denn hörte ich nicht auf, so würde es mich verdrießen; hörte ich auf, so würde es mich gleichfalls verdrießen. Jetzt hingegen, da ich niemals davon ausgehe, kann ich immer aufhören; denn mein ewiges Ausgehen ist mein ewiges Aufhören. Die Erfahrung hat bewiesen, daß es der Philosophie keineswegs so schwer ist, anzufangen. Weit entfernt: sie fängt ja an mit nichts, und kann also immer anfangen. Was dagegen der Philosophie und den Philosophen schwer fällt, ist aufzuhören. Auch dieser Schwierigkeit bin ich entgangen; denn sollte jemand glauben, daß, indem ich jetzt aufhöre, ich wirklich aufhöre, so beweist er, daß er keinen spekulativen Begriff hat. Ich höre nämlich nicht in diesem Augenblicke auf; sondern ich hörte damals auf, als ich anfing. Meine Philosophie hat daher die vorzügliche Eigenschaft, daß sie kurz ist, und daß sie unwidersprechlich ist; denn wenn jemand mir widerspricht, so dürfte ich wohl berechtigt sein, ihn für toll zu erklären. Der Philosoph ist also beständig aeterno modo (außer der Zeit) und hat nicht, wie der selige Dessauer Sintenis, nur einzelne »Stunden für die Ewigkeit gelebt.«

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Warum wurde ich nicht in Nyboden geboren? warum starb ich nicht als kleines Kind? Dann hätte mein Vater mich in einen kleinen Sarg gelegt, mich selbst unter den Arm genommen, an einem Sonntag-Vormittag mich nach dem Grabe hinausgetragen, selber Erde darauf geworfen, halblaut ein paar, nur ihm selbst verständliche Worte gesprochen. Nur das glückliche Altertum konnte den Einfall haben, daß die kleinen Kinder im Elysium weinten, weil sie so frühe gestorben seien.

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Niemals bin ich fröhlich gewesen; und doch hat es immer so ausgesehen, als wäre in meinem Gefolge die Freude, als tanzten rings um mich her die leichten Genien der Freude, für andre immerhin unsichtbar, nicht aber für mich, dessen Augen ja vor Freude glänzten. Wenn ich alsdann so glücklich und heiter wie ein Gott den Leuten vorbeigehe, und sie mein Glück mir mißgönnen, so lache ich; denn ich verachte die Menschen, und ich räche mich. Nie habe ich gewünscht, einem Menschen unrecht zu thun, aber immer den Anschein hervorgerufen, daß jeder in meine Nähe kommende Mensch gekränkt und beleidigt wurde. Höre ich dann, wie andre ob ihrer Treue, ihrer Rechtschaffenheit gerühmt werden, dann lache ich; denn ich verachte die Menschen und ich räche mich. Mein Gemüt ist nie gegen irgend einen Menschen verhärtet gewesen; aber jedesmal, gerade wenn ich innerlich recht ergriffen war, habe ich den Anschein gehabt, daß mein Gemüt jedem Gefühle verschlossen und fremd sei. Wenn ich dann andre ihres guten Herzens wegen preisen höre, wenn ich sehe, wie sie um ihres tiefen und reichen Gefühls willen geliebt werden, so lache ich: denn ich Verachte die Menschen und räche mich. Wenn ich sehe, wie ich selbst meiner Kälte und Herzlosigkeit wegen verwünscht, verabscheut, gehaßt werde, so lache ich; alsdann wird mein Zorn gesättigt. Wenn nämlich die guten Leute mich dahin brächten, wirklich unrecht zu haben, wirklich ein Unrecht zu begehen, ja, dann hätte ich verloren.

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Dies ist mein Unglück: neben mir schreitet immer ein Würgengel; und es ist nicht die Thür der Auserwählten, die ich mit Blut besprenge zum Zeichen, daß er vorübergehen müsse; nein, es ist die Thür derer, bei denen er eben eintritt. Denn erst die Liebe der Erinnerung ist es, welche beglückt.

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Der Wein erfreut nicht mehr mein Herz: ein wenig davon stimmt mich wehmütig, viel - schwermütig. Meine Seele ist matt und ohnmächtig; vergebens bohre ich in ihre Seite die Sporen der Luft; sie vermag nichts mehr, sie erhebt sich nicht mehr zu ihrem königlichen Sprunge. Ich habe alle meine Illusion eingebüßt. Umsonst versuche ich es, der Unendlichkeit der Freude mich hinzugeben; sie kann mich nicht erheben. Vormals brauchte sie nur zu winken: so schwang ich mich leicht und gesund und freudig empor. Wenn ich langsam durch den Wald ritt, so war’s, als flöge ich; wenn heute das Pferd schäumt und nahe daran ist, zu stürzen, da deucht’s mir, ich komme nicht vom Flecke. Einsam bin ich, das bin ich immer gewesen. Verlassen, nicht von den Menschen, das würde mir nicht weh thun, sondern von den glücklichen Genien des Frohsinns, die in großer Schar mich umschwebten, überall auf Bekannte wiesen, überall mir eine Gelegenheit zeigten. So wie ein Berauschter den mutwilligen Schwarm der Jugend um sich sammelt, so umschwärmten sie mich, die Elfen der Freude, und ihnen galt mein Lächeln. Meine Seele ist der Möglichkeit verlustig gegangen. Sollte ich mir etwas wünschen, so würde ich mir nicht Reichtum noch Macht wünschen, sondern die Leidenschaft der Möglichkeit, das Auge, das überall ewig jung, ewig glühend die Möglichkeit anblickt. Der Genuß täuscht, nicht die Möglichkeit. O welcher Wein ist so schäumend! welcher so duftend! welcher so berauschend!

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Wohin die Strahlen der Sonne nicht dringen, da finden doch die Töne Eingang. Mein Zimmer ist finster und düster; eine hohe Mauer hält beinahe das Tageslicht ab. - Es muß im Nachbarhofe sein, vermutlich ein umherziehender Musikant. Was für ein Instrument ist das? Eine Rohrflöte? - - Was höre ich? -Das Menuett aus Don Juan! - So traget mich denn wieder fort, ihr weichen und mächtigen Klänge, mitten in den Kreis der Jungfrauen, in die Luft des Tanzes. - Der Apotheker stampft in seinem Mörser, die Magd scheuert ihren Grapen, der Stallknecht striegelt sein Pferd und klopft den Striegel auf dem Holzpflaster ab. Diese Klänge, sie gelten nur mir; sie winken niemandem, als mir. O habe Dank, wer du auch bist, habe Dank! Meine Seele ist so reich, so gesund, so freudetrunken.

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Lachs ist an und für sich eine sehr delikate Speise; bekommt man aber davon zu viel, so wird er der Gesundheit nachteilig, da er eine schwer verdauliche Speise ist. Als daher einst in Hamburg eine ungeheure Menge Lachse gefangen war, so befahl die Polizei, daß jeder Hausherr nur einmal in der Woche seinen Dienstleuten Lachs gäbe. Es wäre zu wünschen, daß ein ähnliches Polizeidekret erschiene betreffs der (im Theater und sonst gebotenen) Sentimentalität.

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Mein Kummer ist meine Ritterburg, welche wie ein Adlernest hoch oben auf des Berges Gipfel in den Wolken liegt. Von da fliege ich herab in die Wirklichkeit des Lebens und greife meine Beute. Aber ich bleibe nicht dort unten; ich bringe meine Beute heim, und diese Beute ist das Bild, welches ich hineinwebe in die Tapeten meines Schlosses. Hier lebe ich wie ein Verstorbener. Alles Erlebte tauche ich nieder in die Taufe der Vergessenheit, zur Ewigkeit der Erinnerung. Alles Endliche und Zufällige ist vergessen und ausgelöscht. Da sitze ich, wie ein alter, graubärtiger Mann, gedankenvoll, und erkläre mit leiser Stimme die Bilder, fast lispelnd, und an meiner Seite sitzt ein Kind und horcht, obgleich es an alles sich erinnert, ehe ich es erzähle.

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Die Sonne scheint so schön und freundlich in mein Zimmer, in dem nächsten steht das Fenster offen. Auf der Straße ist alles still, es ist Sonntag-Nachmittag. Ich höre deutlich eine Lerche, welche draußen in einem der Nachbargehöfte ihre Triller schlägt, dem Fenster gegenüber, wo das hübsche Mädchen wohnt. Weit, weit von hier, aus einer abgelegenen Straße höre ich einen Mann Krabben ausrufen. Die Luft ist so warm, und dennoch ist die ganze Stadt wie ausgestorben. - Da gedenke ich meiner Jugend und meiner...