dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Zur Hölle mit Seniorentellern! - (K)ein Rentner-Roman

Ellen Berg

 

Verlag Aufbau Verlag, 2014

ISBN 9783841207500 , 288 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

Geräte

3,99 EUR


 

1


Es gibt Tage, die sollte man am besten aus dem Kalender streichen und dann ganz schnell vergessen. Dies war so ein Tag. Seit langem hatte Elisabeth sich vor ihrem siebzigsten Geburtstag gefürchtet, aber was gerade passierte, übertraf ihre schlimmsten Alpträume. Nein, sie hatte ihren Geburtstag nicht feiern wollen. Und was machten ihre drei erwachsenen Töchter? Quälten sie mit einer »Überraschungsparty«. Nun saß sie in einem furchtbaren Lokal, eingeklemmt zwischen Gästen, die sie größtenteils gar nicht kannte, während die liebe Verwandtschaft abwechselnd Schneisen durchs Kuchenbüfett pflügte und sich in taktlosen Reden überbot.

Als ob es nicht schon reichte, siebzig zu werden. Siebzig! In ihrem Herzen war sie keinen Tag älter als siebzehn, jedenfalls fühlte es sich oft so an. Leider schien das außer Elisabeth niemandem aufzufallen, wie den unvermeidlichen Reden zu entnehmen war.

»Alle wollen alt werden, aber keiner will alt sein«, tönte ihr Schwiegersohn Klaus-Dieter gerade. »Immerhin haben wir Respekt vor dem Alter  – solange es sich um Rotwein und Antiquitäten handelt.«

Sehr witzig. Klaus-Dieter war Anfang fünfzig, ein rotgesichtiger, korpulenter Mann, der ein ausgeprägtes Talent besaß, sich zur Wurst zu machen. Zur Feier des Tages trug er einen zu engen schwarzen Anzug und eine schwarze Krawatte. Er sah aus, als wäre er im Konfirmationsanzug zu einer Beerdigung angetreten.

Und war es das nicht auch, eine Beerdigung? Jedenfalls taten alle so, als ob Elisabeth Schliemann schon mit einem Bein im Grab stünde. Brüllten ihr ständig was ins Ohr, obwohl sie überhaupt nicht schwerhörig war. Erkundigten sich besorgt nach ihrem Gesundheitszustand, obwohl sie sich mopsfidel fühlte. Und dann diese Kindergartensprache, als sei das Hirn spätestens mit sechzig im Dämmermodus. Aber am schlimmsten war der Versuch, ihr Alter auf die lustige Tour zu kommentieren.

In Klaus-Dieters glasigen Augen sah man die Distanzlosigkeit eines Mannes, der zu viel Prosecco und zu wenig Grips im Kopf hatte. Offenbar war er fest entschlossen, die Rolle des Partykrachers zu spielen. »Kommt eine Frau zum Arzt: Herr Doktor, wie alt kann ich werden? Fragt der Arzt: Rauchen Sie? Nein, antwortet die Frau. Trinken Sie? Nein. Männergeschichten? Niemals! Sagt der Arzt: Wieso wollen Sie dann alt werden?«

Wieherndes Gelächter fegte über die Kaffeetafel. Die Gäste, neben ein paar Verwandten allesamt Freunde von Elisabeths Töchtern und Schwiegersöhnen, klopften sich auf die Schenkel. Schon klar, dachte Elisabeth. Für euch bin ich scheintot. Die überflüssige Alte mit dem Ticket für den Friedhof.

Ihr Groll steigerte sich unaufhörlich. Warum war keiner auf die Idee gekommen, ihre alte Schulfreundin Heidemarie einzuladen? Oder wenigstens ein paar Bekannte aus ihrer Wandergruppe? Nie hatte sie sich so einsam gefühlt wie in dieser angeheiterten Gästeschar, die sie deutlich spüren ließ, dass sie zwar der Ehrengast war, aber schon lange nicht mehr richtig dazugehörte.

Seufzend betrachtete sie die silberne Siebzig, die direkt vor ihrer Nase in einem scheußlichen Strauß gelber Chrysanthemen steckte. Dann wanderte ihr Blick durch das Lokal. Es war im altdeutschen Landhausstil eingerichtet – ausgeblichene Gobelinsessel, vergilbte Häkelgardinen, nachgemachte Petroleumlampen. Als ob dieses Museum des schlechten Geschmacks gerade richtig für eine Frau ihres Alters sei.

Wenigstens war Klaus-Dieter endlich mit seiner Rede fertig. Schwer atmend sank er auf den Stuhl gegenüber und sah Elisabeth erwartungsvoll an. Mit diesem fragenden Blick, den Männer nach dem Liebesakt aufsetzen: Na, wie war ich? Elisabeth schaute demonstrativ an ihm vorbei und fixierte die billige Pseudo-Petroleumlampe, die hinter seinem geröteten Gesicht von der Decke baumelte. Aber so leicht ließ sich Klaus-Dieter nicht ignorieren.

»Ein Knaller, meine Rede, was?«, grinste er breit. »Und das beste Geschenk kommt erst noch. Hat Suse es dir schon erzählt? Das mit dem Platz im Seniorenheim?«

Susanne, seine Frau und Elisabeths älteste Tochter, verpasste ihm einen unsanften Seitenhieb mit dem Ellenbogen. Um Gottes willen, falscher Text!, signalisierte ihr entsetzter Gesichtsausdruck.

Von einem Moment auf den anderen begann Elisabeths Herz wild zu klopfen. Krampfhaft umklammerte sie ihre Handtasche, bemüht, sich ihre aufsteigende Panik nicht anmerken zu lassen. »Seniorenheim? Wovon redest du?«

Klaus-Dieter schüttelte verlegen den Kopf, Susanne schwieg peinlich berührt. Elisabeths Älteste war eine attraktive Frau Ende vierzig, mit nussbraunem Pagenschnitt und lebhaften blauen Augen. Es war Elisabeth immer ein Rätsel gewesen, was ihre Tochter ausgerechnet an diesem unerträglichen Klaus-Dieter fand. Jegliche Farbe war inzwischen aus Susannes Gesicht gewichen. Schuldbewusst kniff sie die Lippen zusammen.

»Suse?« Elisabeths Stimme bebte vor Erregung. »Kannst du mir bitte mal erklären, was hier los ist?«

Plötzlich war es totenstill an der Geburtstagstafel. Alle Gäste verfolgten gespannt, was sich am Tischende abspielte, wo eine versteinerte Jubilarin sichtlich um Fassung rang.

Susanne räusperte sich. »Eigentlich wollten wir es dir erst morgen sagen. Na ja, was soll’s, jetzt weißt du es ja sowieso schon. Wir finden, dass du allmählich zu alt wirst, um allein zu leben. Ich meine, seit Papa tot ist …«

»… geht es mir blendend«, vervollständigte Elisabeth den Satz.

Das stimmte. Sie hatte ihren leicht tyrannischen Mann nie vermisst, seit der Himmel freundlicherweise beschlossen hatte, ihn eines Morgens nicht mehr aufwachen zu lassen. Walther war von Beruf Polizist und privat ein schwer zu ertragender Kontrollfreak gewesen. Ein Schnüffler vor dem Herrn, misstrauisch, pedantisch, bevormundend. Nach seinem Ableben war Elisabeth richtiggehend aufgeblüht. Sie wanderte, tanzte und belegte Kurse an der Volkshochschule. Über ihr Alter dachte sie selten nach. Warum auch? Sie fühlte sich großartig, ihr Verstand funktionierte einwandfrei. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

»Was heißt hier blendend?«, mischte sich Gabriele ein. Sie war hochblond, gertenschlank und ein Jahr jünger als Susanne, aber mindestens so patent und selbstbewusst wie ihre ältere Schwester. Nie um ein kesses Wort verlegen, riss sie die Diskussion an sich. »Stimmt, Mama, du bist noch ganz gut beieinander. Fragt sich nur, wie lange noch. Und dann? Wir haben alle unsere eigenen Familien. Wer soll für dich einkaufen, wenn du nicht mehr laufen kannst? Wer soll dir helfen, deine Wohnung in Ordnung zu halten? Und wenn du, äh, inkontinent wirst …«

»Schluss jetzt!«, schnitt Mara ihr das Wort ab. Elisabeths Nesthäkchen war die Einzige in diesem Töchtertrio, die so etwas wie Taktgefühl besaß. Aufgebracht blies sie sich eine rötlichblonde Locke aus der Stirn. »Es ist Mamas Geburtstag, schon vergessen? Solche Dinge sollten wir nicht bei einer Feier besprechen.«

Ein unangenehmes Schweigen legte sich über den Tisch. Nur eine Wespe, die taumelnd von Teller zu Teller flog, summte munter vor sich hin. Elisabeth war am Boden zerstört. Es war ein Komplott, ein mieses, feiges Komplott! Hinter ihrem Rücken wollte man über ihre Zukunft entscheiden. Aber da hatte sie auch noch ein Wörtchen mitzureden.

»Danke, Mara«, sagte sie leise. »Aber du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich hier in aller Gemütsruhe Sahnetorten verdrücke, wenn ich weiß, dass ihr mich klammheimlich ins Altersheim verfrachten wollt.«

»Seniorenresidenz«, verbesserte Susanne ihre Mutter. »Wir hatten dich schon seit längerem auf die Warteliste gesetzt. Und da gestern ein Insasse gest…, nun ja, jedenfalls wird eine Wohnung frei. Du wirst es lieben. Das volle Programm: Seniorentanz, Seniorenlesekreis, Seniorenteller. Ein wahres Paradies für die ältere Generation.«

Jedes Wort traf Elisabeth wie ein Boxhieb ins Sonnengeflecht. »Ich will aber nicht in so ein Heim, wo alle nur auf den Tod warten«, protestierte sie. »Dafür fühle ich mich einfach noch zu jung.«

Genau das richtige Stichwort für den ewig witzelnden Klaus-Dieter. »Falsch«, konterte er grinsend. »Auf die Resterampe kommt man schneller, als man denkt. Ein Mann ist so alt, wie er sich fühlt, eine Frau ist so alt, wie sie sich anfühlt!«

Keiner wagte, offen loszulachen, aber ein paar Gäste feixten verstohlen. Elisabeth reichte es. Diese Party war eine einzige Demütigung. Wütend sprang sie auf und marschierte schnurstracks zur Toilette, eisern bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten. Glücklicherweise war der Vorraum der Damentoilette leer. Kraftlos stützte sie sich auf den Rand eines Waschbeckens und schaute in den Spiegel.

War sie wirklich fällig fürs Heim? Was sie sah, wirkte zwar nicht gerade taufrisch, aber alles andere als reif für die Resterampe. Frisch geföntes graues Haar umrahmte ihr Gesicht mit den ausdrucksvollen blauen Augen. Auf ihrer bemerkenswert glatten Haut hatte der Geburtstagsprosecco einen rosigen Schimmer hinterlassen. Ihr leichtes Übergewicht kaschierte sie geschickt mit einem rot-weiß gepunkteten Wickelkleid. Alles in Ordnung so weit. Nur, dass die anderen offenbar nichts weiter in ihr sahen als eine hilflose Greisin, die schnellstens entsorgt werden musste.

Traurig horchte Elisabeth auf das Gelächter aus dem Festsaal. Vermutlich schoss Klaus-Dieter gerade die nächste Pointe über alte Leute ab. Das war nicht ihre Party. Das war auch nicht ihre Welt. Und plötzlich wusste sie, was zu tun war.

* * *

Elisabeth machte sich nicht mal die Mühe, nach...