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Glut der Verheißung - Roman

Lisa Kleypas

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641052850 , 432 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

Erstes Kapitel
London, 1848, Winter
 
 
Für Win war Kev Merripen schon immer wunderschön gewesen, auf eine Weise, wie eine karge Landschaft oder ein Wintertag wunderschön sein können. Er war ein hochgewachsener, beeindruckender Mann, kompromisslos in jeder Hinsicht. Seine exotisch verwegenen Gesichtszüge waren die perfekte Kulisse für Augen, so dunkel, dass die Iris kaum von der Pupille zu unterscheiden war. Sein Haar war dick und rabenschwarz, seine Brauen dicht und gerade. Und seinem breiten Mund wohnte stets ein grüblerischer Zug inne, was Win einfach unwiderstehlich fand.
Merripen. Ihre Liebe, aber nie ihr Geliebter. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, als er von ihrer Familie regelrecht adoptiert worden war. Obwohl die Hathaways ihn immer wie einen der ihren behandelt hatten, sah er sich in der Rolle eines Dieners. Eines Beschützers. Eines Außenseiters.
Er kam zu Wins Schlafzimmer, stand lautlos an der Türschwelle und sah zu, wie sie eine Tasche mit persönlichen Utensilien von ihrer Frisierkommode packte. Eine Bürste, eine Schatulle mit Haarnadeln, eine Handvoll Taschentücher, die ihre Schwester Poppy für sie bestickt hatte. Während Win die Dinge in ihre Ledertasche legte, spürte sie auf einmal Merripens reglose Gestalt. Sie wusste, was hinter seiner schweigsamen Fassade lauerte, denn sie quälte dasselbe unstillbare Verlangen.
Der Gedanke, ihn zu verlassen, brach ihr schier das Herz. Und dennoch blieb ihr keine andere Wahl. Sie war eine Invalide, seit sie vor zwei Jahren am Scharlachfieber erkrankt war. Sie war dürr und zerbrechlich, erschöpft und stets der Ohnmacht nahe. Eine schwache Lunge, hatten die Ärzte einstimmig erklärt. Sie würde der Krankheit zwangsläufig erliegen. Ein Leben lang Bettruhe halten, um dann einen frühen Tod zu erleiden.
Win wollte ein solches Schicksal nicht hinnehmen.
Sie sehnte sich danach, gesund zu werden und all die Dinge zu genießen, die die meisten anderen Menschen als selbstverständlich hinnahmen. Tanzen, lachen, lange Spaziergänge machen. Sie wollte die Freiheit haben, zu lieben … zu heiraten … eines Tages ihre eigene Familie zu gründen.
Solange ihr gesundheitlicher Zustand jedoch dermaßen angeschlagen war, war ihr nichts dergleichen vergönnt. Aber das sollte sich ändern. Noch an diesem Tag brach sie zu einem französischen Sanatorium auf, in dem ein tatkräftiger junger Arzt, Julian Harrow, erstaunliche Resultate bei Patienten wie ihr erreicht hatte. Seine Behandlungen waren unkonventionell, umstritten, doch Win interessierte das nicht. Sie hätte alles getan, um geheilt zu werden. Denn erst, wenn dieser Tag anbräche, könnte sie Merripen haben.
»Geh nicht«, sagte er so leise, dass sie ihn kaum verstand.
Mit großer Anstrengung gelang es Win, sich gelassen zu geben, obwohl ihr ein heißes und kaltes Kribbeln den Rücken hinabrann.
»Schließ bitte die Tür«, brachte sie mühsam hervor. Die Unterhaltung, die nun folgen würde, erforderte eine gewisse Privatsphäre.
Merripen rührte sich nicht. Eine leichte Röte hatte sein bronzefarbenes Gesicht überzogen, und seine schwarzen Augen leuchteten wild und ungezähmt, was ihm eigentlich gar nicht ähnlich sah. In diesem Moment war er ganz Angehöriger der Roma, und seine Gefühle waren näher an der Oberfläche, als er es normalerweise zuließ.
Sie schloss eigenhändig die Tür, während er ihr auswich, als könne jeder noch so kleine körperliche Kontakt zwischen ihnen verheerende Folgen haben.
»Warum willst du nicht, dass ich gehe, Kev?«, fragte sie sanft.
»Du wärst dort nicht sicher.«
»Ich bin dort vollkommen sicher«, sagte sie. »Ich habe großes Vertrauen zu Dr. Harrow. Seine Behandlung erscheint mir vernünftig, und er hat eine hohe Erfolgsquote …«
»Er hat genauso viele Fehlschläge wie Erfolge. Es gibt bessere Ärzte hier in London. Du tätest besser daran, erst alle Möglichkeiten hier in England auszuschöpfen.«
»Ich glaube, dass meine besten Chancen bei Dr. Harrow liegen.« Win lächelte in Merripens harte schwarze Augen, verstand sie die Dinge doch nur zu gut, die er nicht aussprechen konnte. »Ich komme zu dir zurück. Das verspreche ich.«
Er überging ihre Worte. Jeder Versuch ihrerseits, ihre wahren Gefühle zum Ausdruck zu bringen, wurde von ihm stets mit unnachgiebiger Zurückhaltung bestraft. Er würde niemals zugeben, dass er etwas für sie empfand, oder sie anders behandeln als eine schwächliche Invalide, die seines Schutzes bedurfte. Ein Schmetterling, eingesperrt unter einer Glashaube.
Während er selbst immer wieder seinem körperlichen Verlangen nachgab.
Trotz Merripens Verschwiegenheit, was sein Privatleben anbelangte, war Win überzeugt, dass es mehrere Frauen gegeben hatte, die ihm ihren Körper dargeboten und ihn zu ihrem eigenen Vergnügen benutzt hatten. Bei dem Gedanken, dass sich Merripen mit einer anderen Frau amüsiert haben könnte, stieg eine düstere Wut aus den Tiefen ihrer Seele in ihr hoch. Dieser brennende Zorn hätte jeden schockiert, der sie kannte, denn immerhin hätte sie damit die Stärke ihrer Begierde für ihn eingestanden. Am meisten hätte es wohl Merripen überrascht.
Beim Anblick seines ausdruckslosen Gesichts dachte Win: Also schön, Kev. Wenn es das ist, was du willst, werde ich stoisch sein. Wir werden uns freundlich und belanglos voneinander verabschieden.
Später würde sie dann in aller Stille leiden, in dem Wissen, dass eine Ewigkeit verginge, bis sie ihn endlich wiedersah. Aber das war besser, als so weiterzuleben, stets zusammen und dennoch getrennt, während ihre Krankheit zwischen ihnen stand.
»Nun«, sagte sie rasch, »ich reise bald ab. Und es gibt keinen Grund, dir Sorgen zu machen, Kev. Leo wird sich auf der Reise nach Frankreich um mich kümmern, und …«
»Dein Bruder kann sich nicht einmal um sich selbst kümmern«, entgegnete Merripen barsch. »Du wirst nicht gehen. Du wirst hierbleiben, wo ich …«
Er verstummte abrupt.
Aber Win hatte einen Anflug wütender Pein vernommen, die kaum merklich in seiner Stimme mitschwang.
Allmählich wurde es interessant.
Ihr Herz klopfte heftig. »Es …« Sie musste innehalten, um Atem zu schöpfen. »Es gibt nur eines, das mich von dieser Reise abhalten könnte.«
Er warf ihr einen wachsamen Blick zu. »Und das wäre?«
Es kostete sie einen langen Moment, bis sie den Mut aufbrachte, fortzufahren: »Sag mir, dass du mich liebst. Sag es, und ich bleibe.«
Merripen riss die schwarzen Augen auf und sog scharf die Luft ein. Das Geräusch seines Atems durchschnitt die Luft wie die herabsausende Klinge einer Axt. Dann war er völlig ruhig, wie erstarrt.
Eine sonderbare Mischung aus Belustigung und Verzweiflung pulsierte durch Win, während sie auf seine Antwort wartete.
»Ich … sorge mich um jeden in deiner Familie …«
»Nein. Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe.« Win bewegte sich auf ihn zu und hob ihre blassen Hände, legte ihre Handflächen auf seine harte, muskulöse Brust. Sie spürte die glutvolle Reaktion, die ihn hindurchzuckte. »Bitte«, sagte sie und hasste den verzweifelten Unterton in ihrer Stimme, »es würde mir nichts ausmachen, morgen zu sterben, hätte ich es nur ein einziges Mal gehört …«
»Nicht«, knurrte er und wich zurück.
Win ließ alle Vorsicht fahren und folgte ihm. Sie streckte die Hände aus, um sein weites Hemd zu packen. »Sag es! Lass uns endlich ehrlich miteinander sein …«
»Sei still! Du überanstrengst dich nur.«
Es erboste Win, dass er Recht hatte. Sie konnte die gewohnte Erschöpfung bereits spüren, die Benommenheit, die einherging mit ihrem pochenden Herzen und den schwer arbeitenden Lungen. Sie verfluchte ihren dahinsiechenden Körper. »Ich liebe dich«, jammerte sie. »Und wenn ich gesund wäre, könnte mich keine Macht der Welt von dir fernhalten. Wenn ich gesund wäre, würde ich dich in mein Bett zerren und dir so viel Leidenschaft entgegenbringen wie jede andere Frau …«
»Nein.« Seine Finger glitten zu ihrem Mund, um sie zum Schweigen zu bringen, doch als er ihre warmen Lippen spürte, riss er die Hand zurück.
»Wenn ich keine Angst habe, es zuzugeben, warum dann du?« Der unbeschreibliche Genuss, in seiner Nähe zu sein, ihn zu berühren, glich einer Art Wahnsinn. Beherzt drängte sie sich an ihn. Merripen versuchte, sie behutsam von sich wegzudrücken, aber sie klammerte sich mit allerletzter Kraft an ihn. »Und wenn dies nun unser letzter gemeinsamer Moment sein sollte? Würdest du nicht bereuen, mir deine Gefühle nicht gestanden zu haben? Würdest du …?«
Merripen bedeckte ihren Mund mit seinem, ein Akt der Verzweiflung, um Win zum Schweigen zu bringen. Beide keuchten auf und verstummten schließlich, kosteten den Geschmack des anderen aus. Jeder Atemzug an ihrer Wange kam einer Hitzewelle gleich. Seine Arme umschlossen sie, umhüllten sie mit seiner enormen Stärke, zogen sie an seinen festen Körper. Und dann entzündete sich alles, und sie wurden in einen Strudel der Begierde gezogen.
Win bemerkte den Duft von süßen Äpfeln in seinem Atem, den bitteren Hauch von Kaffee, doch vor allem seinen ganz eigenen Geruch. Sie wollte mehr, sehnte sich nach ihm, presste sich an ihn. Er nahm ihr unschuldiges Angebot mit einem tiefen, unbändigen Stöhnen entgegen.
Da spürte sie seine Zunge. Sie öffnete die Lippen, gewährte ihm Einlass, benutzte zögerlich ihre eigene Zunge, um sein seidiges Eindringen zu begleiten, und er erbebte...