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Höllentor

Anja Lundholm

 

Verlag LangenMüller, 2007

ISBN 9783784481173 , 351 Seiten

2. Auflage

Format PDF, OL

Kopierschutz DRM

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16,90 EUR


 

Wandas Villa (S. 62-64)

September/Oktober 1944

Eine unsichtbare Bedrohung rückt auf uns zu. Wir alle mit unseren lädierten Nerven geraten unter ihren Einfluß. Sie zeigt sich nicht nur in den verschärften Maßnahmen der Lagerleitung, sogar die Luft scheint von ihr erfüllt. Unruhe ergreift selbst die Apathischsten unter uns. Etwas geschieht oder wird geschehen. Aber was? Diejenigen unter uns, die bislang unerschütterlich an eine baldige Befreiung des Lagers und an unser Überleben glaubten, heben jetzt nur ratlos die Schultern, wenn wir bei ihnen neuen Mut schöpfen wollen.

Ich teile meine Überstellung nach Baracke achtundzwanzig mit Mela Wolters aus Linz und der Polin Lydia Jercek. Verblüffend, wie wenig man der zerbrechlichen Mela, sanftes Kindergesicht unter weißblonden Haarstoppeln, den Fanatismus ansieht, mit dem sie, die österreichische Nationalistin, für ihre Überzeugung einsteht. Die Schwerarbeit im Außendienst hat ihr das linke Handgelenk zerbrochen. Es hätte geschient werden müssen, als es geschah.

Sie wollte nicht, daß wir sie bei der Stubenältesten meldeten, eine Meldung hätte die Überführung ins Revier bedeutet. Lydia dagegen ist gerade von dort zurück. Meniskus. Eine lange, krumme Narbe zieht sich vom Knie bis zum Knöchel. Es sieht aus, als habe eine Näherin aus der Schneiderei das gesamte Bein aufgeschnitten und danach mit primitiven Reihstichen wieder zusammengenäht. Das Bein ist steif geblieben, beim Gehen schwingt sie die bewegliche Seite aus dem Hüftgelenk vorwärts, zieht das operierte Bein nach, strafft dabei den Oberkörper und reißt das Kinn hoch im rührenden Versuch, die Behinderung nicht zu stark auffallen zu lassen. Ihre riesigen, schwarzen Augen erbetteln bei jedem Blick die Bestätigung, daß man kaum merkt, auf welche Weise sie sich bewegt. Daß sie keine Angst zu haben braucht, bei der nächsten Inspektion durch den Kamin zu wandern. Wir versichern es ihr wieder und wieder, niemand von uns bringt es fertig, ihr die Wahrheit zu sagen. So, wie die Dinge jetzt stehen, hat sie kaum eine Chance, lebend durchzukommen.

Baracke achtundzwanzig oder, wie Kotthoff sie nennt, Wandas Villa, liegt ganz hinten, am Ende der letzten Reihe nahe dem Männerlager, von dem wir durch verstromten Draht getrennt sind. Das Dach sieht aus, als habe ein Meteorit es durchschlagen, ein paar gesplitterte Holzsparren ragen aus der zerfetzten Pappe. Die Bretter der Außenwand sind von Fäulnis überzogen.

Na Servus, sagt Mela bei diesem wenig erfreulichen Anblick. Abgewirtschaftete Außenarbeiterinnen wie wir haben kein Recht auf menschenwürdige Unterkunft, sage ich. Ist aber immer noch besser als Strafblock oder Revier. Der Siebzehner war schließlich auch nicht gerade ein Palast. Lydia schweigt, sie ist sich ebenso wie wir darüber im klaren, daß wir von nun an der Masse der Innendienst-Verfügbaren zugehören und jederzeit ersetzbar sind.

Wenn wir im Winter noch hier sein sollten, werden wir erfrieren, sagt Mela und deutet mit dem Kinn gegen die Fenster. Sie haben keine Scheiben. Aus den schwarzen Holzrahmen ragen ein paar Glassplitter, die das abendliche Dämmerlicht spiegeln. Auch die Fenster der Baracke siebzehn waren nicht intakt gewesen, sie ließen sich nicht öffnen, hatten auf diese Weise jedoch den Hauptanteil des warmen Miefs zurückgehalten.

Mit unseren Überstellungsscheinen, die wir der Stubenältesten abzugeben haben, treten wir ein und bleiben wie angewurzelt stehen.