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Die Herren der Unterwelt 1: Schwarze Nacht - Die Herren der Unterwelt

Gena Showalter

 

Verlag MIRA Taschenbuch, 2010

ISBN 9783899419252 , 408 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz DRM

Geräte

7,99 EUR


 

1. KAPITEL


Jede Nacht kam der Tod – langsam und qualvoll. Und jeden Morgen erwachte Maddox im Bett, wissend, dass er später wieder sterben müsste. Das war sein Fluch, seine ewige Bestrafung.

Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und wünschte sich, seinem Feind mit einer Klinge die Kehle durchschneiden zu können. Der Tag war schon fast vorüber. Er hörte, wie die Zeit verstrich, ein giftiges Ticktack in seinem Kopf. Jeder Stundenschlag der Uhr erinnerte ihn voller Hohn an den Tod und den Schmerz.

In weniger als einer Stunde würde sich der erste Stich in seinen Bauch bohren, und was er auch tat oder sagte – es würde nichts daran ändern. Der Tod käme ihn holen.

„Verfluchte Götter“, murmelte er und stemmte die Gewichte schneller.

„Hurensöhne, jeder einzelne von ihnen“, ertönte hinter ihm eine vertraute Stimme.

Obwohl es ihm nicht passte, dass Torin sich einmischte, verlangsamte Maddox das Tempo nicht. Hoch. Runter. Hoch. Runter. In den vergangenen zwei Stunden hatte er seine Wut schon an dem Sandsack, dem Laufband und den Geräten ausgelassen. Der Schweiß rann ihm in kleinen Bächen die nackte Brust und die Arme hinab, was seine Muskeln nur noch mehr betonte. Eigentlich hätte seine Seele genauso erschöpft sein müssen wie sein Körper, doch seine Gefühle wurden immer düsterer und intensiver.

„Was willst du hier?“, fragte er schroff.

Torin seufzte. „Hör zu, eigentlich wollte ich dich nicht stören, aber es ist etwas passiert.“

„Dann kümmere dich darum.“

„Ich kann nicht.“

„Egal, was es ist, versuch es. Ich bin nicht in der Verfassung zu helfen.“ Seit einigen Wochen brachte ihn schon die kleinste Kleinigkeit in Rage – ein Zustand, in dem niemand sicher vor ihm war. Selbst seine Freunde nicht. Besonders seine Freunde nicht. Er wollte es nicht, hatte es nie gewollt, doch manchmal war er machtlos gegen den Drang, andere zu schlagen und zu verletzen.

„Maddox …“

„Es geht nicht, Torin“, krächzte er. „Ich würde mehr Schaden anrichten als euch nutzen.“

Maddox kannte seine Grenzen – schon seit Tausenden von Jahren. Seit dem verdammten Tag, als die Götter eine Frau auserkoren hatten, um eine Aufgabe auszuführen, die eigentlich ihm zugestanden hätte.

Pandora war stark, ja, die stärkste Soldatin jener Zeit. Doch er war stärker. Fähiger. Trotzdem befand man ihn als zu schwach, um dimOuniak zu bewachen – eine heilige Büchse, in der Dämonen eingesperrt waren, die so abscheulich und zerstörerisch waren, dass die Außenwelt selbst dann nicht sicher vor ihnen gewesen wäre, wenn sie in der Hölle geschmort hätten.

Als wenn Maddox es zugelassen hätte, dass die Büchse zerstört würde. Bei dem Angriff war er blind vor Wut gewesen. So wie all die anderen Krieger, die nun hier lebten. Sie hatten gewissenhaft für den Götterkönig gearbeitet, hatten fachmännisch getötet und ihn sorgsam beschützt; sie hätten als Wächter auserwählt werden müssen. Dass es nicht geschah, war eine nicht zu tolerierende Schmach.

Sie wollten den Göttern in jener Nacht nur eine Lektion erteilen, als sie Pandora dimOuniak entwendeten und die Dämonen in die nichts ahnende Umwelt entließen. Wie dumm sie doch waren. Sie wollten ihre Macht demonstrieren und scheiterten kläglich: Die Büchse ging in dem Tumult verloren, und die Krieger konnten nicht einen der bösen Geister wieder einfangen.

Bald herrschten Chaos und Verwüstung, die die Welt in Dunkelheit stürzten, bis schließlich der Götterkönig einschritt und jeden Krieger dazu verdammte, einen der Dämonen in sich aufzunehmen.

Eine passende Strafe. Die Krieger hatten das Böse entfesselt, um ihren verletzten Stolz zu rächen und mussten fortan damit leben.

Damit waren die Herren der Unterwelt geboren.

Maddox wurde der Dämon der Gewalt zugeteilt, der genauso zum Teil seines Körpers wurde wie seine Lunge oder sein Herz. Der Krieger Maddox konnte nicht mehr ohne den Dämon leben, und der Dämon konnte nicht mehr ohne den Krieger existieren. Sie waren untrennbar miteinander verbunden. Zwei Hälften, die zusammen ein Ganzes ergaben.

Von Beginn an hatte ihn die Kreatur in seinem Innern dazu verführt, bösartige und verhasste Dinge zu tun, und er war gezwungen zu gehorchen. So auch, als er dazu verleitet worden war, eine Frau zu töten – Pandora. Er umklammerte die Gewichtstange so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Mit den Jahren hatte er gelernt, besonders abscheuliche Züge seines Dämons zu unterdrücken. Doch es war ein ständiger Kampf, den er jederzeit wieder verlieren konnte.

Was hätte er doch für einen einzigen friedlichen Tag gegeben. Ohne das überwältigende Verlangen zu verspüren, jemandem wehzutun. Ohne gegen sich selbst zu kämpfen. Ohne Sorgen. Ohne Tod. Einfach nur … Frieden.

„Du bist hier nicht sicher“, warnte er seinen Freund, der immer noch in der Tür stand. „Geh lieber.“ Er legte die silberne Stange in die Halterung und setzte sich auf. „Nur Lucien und Reyes dürfen in meiner Nähe sein, wenn ich sterbe.“ Und das auch nur, weil sie dabei – wenn auch unfreiwillig – eine zentrale Rolle spielten. Sie waren ihren Dämonen genauso hilflos ausgeliefert wie Maddox.

„Bis dahin ist noch knapp eine Stunde Zeit“, Torin warf ihm ein Tuch zu, „also lass ich’s drauf ankommen.“

Maddox griff hinter sich, fing das weiße Tuch auf und drehte sich um. Er wischte sich das Gesicht ab. „Was …“

Eine eiskalte Flasche Wasser sauste durch die Luft, noch bevor er die zweite Silbe ausgesprochen hatte. Er fing sie geschickt auf, wobei etwas Flüssigkeit auf seine Brust spritzte. Während er trank, musterte er seinen Freund.

Wie gewöhnlich war Torin ganz in Schwarz gekleidet und trug Handschuhe. Das blonde Haar lockte sich auf seinen Schultern und rahmte ein Gesicht ein, das sterbliche Frauen als Festschmaus für die Sinne bezeichneten. Sie wussten nicht, dass dieser Mann der Teufel im Gewand eines Engels war. Doch sie hätten es wissen sollen. Er strahlte eine unübersehbare Geringschätzung aus, und das gottlose Glänzen, das in seinen grünen Augen lag, verkündete, dass er seinem Gegenüber ins Gesicht lachen würde, während er ihm das Herz herausriss. Oder dass er seinem Gegenüber ins Gesicht lachen würde, während dieser ihm das Herz herausriss.

Um zu überleben, musste er so viel lachen wie möglich. So erging es ihnen allen.

Wie alle Bewohner der Budapester Burg war auch Torin verflucht. Er starb vielleicht nicht jede Nacht, so wie Maddox, aber er konnte kein Lebewesen berühren, ohne es mit einer Krankheit zu infizieren.

Torin war vom Dämon des Siechtums besessen.

Seit mehr als vierhundert Jahren war er von keiner Frau mehr berührt worden. Er hatte seine Lektion gelernt, als er seinem Verlangen ein Mal nachgab und das Gesicht seiner angehenden Geliebten streichelte. Er löste damit eine Seuche aus, die in unzähligen Dörfern Mensch für Mensch dahinraffte.

„Nur fünf Minuten“, verlangte Torin. „Um mehr bitte ich dich gar nicht.“

„Glaubst du, wir werden heute dafür bestraft, dass wir die Götter beleidigt haben?“, erwiderte Maddox. Er ignorierte die Bitte. Wenn er es gar nicht erst zuließ, dass man ihn um einen Gefallen bat, brauchte er auch nicht abzulehnen und sich später schuldig zu fühlen.

Sein Freund seufzte. „Jeder unserer Atemzüge soll eine Bestrafung sein.“

Er hatte recht. Maddox’ Lippen verzogen sich langsam zu einem messerscharfen Grinsen, als er an die Decke starrte. Ihr Bastarde. Na los, bestraft mich weiter. Vielleicht würde er sich dann endlich in Nichts auflösen.

Doch eigentlich glaubte er nicht, dass die Götter sich mit seinem Anliegen befassen würden. Seit sie ihn mit dem Todesfluch belegt hatten, ignorierten sie ihn und taten, als hörten sie sein Flehen um Vergebung und Absolution nicht. Als hörten sie seine Schwüre und seine verzweifelten Verhandlungen nicht.

Aber konnten sie ihm überhaupt noch etwas Schlimmeres antun?

Nichts konnte grausamer sein, als wieder und wieder zu sterben. Oder des Guten und der Rechtschaffenheit beraubt zu werden … oder den Gewaltdämon in der eigenen Seele und dem eigenen Körper zu beherbergen.

Maddox sprang auf und feuerte den mittlerweile nassen Lappen und die leere Flasche in den nächsten Mülleimer. Er schlenderte zum anderen Ende des Raumes, verschränkte die Hände über dem Kopf, lehnte sich gegen den halbrunden Erker aus Buntglas und starrte durch den einzig durchsichtigen Spalt in die Nacht.

Er sah das Paradies.

Er sah die Hölle.

Er sah die Freiheit, ein Gefängnis, alles und nichts.

Er sah … sein Zuhause.

Da die Burg auf einem Hügel stand, hatte er einen guten Blick über die gesamte Stadt. Helle Lichter blinkten – pink, blau und lila –, erhellten den düsteren, samtenen Himmel, glitzerten in der Donau und rahmten die schneebedeckten Bäume ein, von denen es in dieser Gegend so viele gab. Ein Wind wehte und Schneeflocken tanzten durch die Luft.

Hier oben hatten er und die anderen ein Mindestmaß an Privatsphäre und Schutz vor dem Rest der Welt gefunden. Hierher konnten sie kommen, von hier konnten sie weggehen, ohne mit Fragen bombardiert zu werden. Warum werdet ihr nicht älter? Warum hallen jede Nacht Schreie durch den Wald? Warum seht ihr manchmal wie Ungeheuer aus?

Von hier oben hielten sich die Einheimischen fern – aus Angst und aus Respekt. Bei einer seiner seltenen...