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Täubchenjagd

Romy Fölck

 

Verlag Kahl Verlag, 2014

ISBN 9783938916254 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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8,49 EUR


 

1

Raik Winter setzte die dünne Aktentasche auf einen der Stühle auf der Sonnenterrasse und warf den Mantel über die Lehne. Noch im Stehen winkte er der Bedienung mit dem ihm eigenen Nachdruck.

»Ich komme sofort«, rief ihm das Mädchen zu und war mit dem Tablett von der Terrasse verschwunden.

Bis zum nächsten Termin am Landgericht blieb ihm noch etwas Zeit. Er hatte sich eine Tageszeitung gekauft und einen seiner Lieblingsplätze aufgesucht, das Café Elbblick auf der Brühlschen Terrasse an der Elbe. Heute war es nur mäßig gefüllt; nicht wie am Wochenende, wenn die Dresdner Altstadt Tummelplatz von Touristen war.

Raik Winter setzte sich entspannt an den Tisch in die Sonne, lockerte die Krawatte, öffnete seinen Hemdkragen und sah sich um. Ihm bot sich ein freier Blick auf die Elbe, die sich im Herbstwind locker kräuselte. Darüber spannte sich in der Ferne die Augustusbrücke, auf der nun am Nachmittag ein reger Verkehr herrschte. Er ließ seinen Blick weiter gleiten. Das altehrwürdige Gebäude des Finanzministeriums am anderen Elbufer spiegelte sich träge im Wasser. Warm und einschläfernd schien die Herbstsonne.

Winter streifte sich die Ärmel des weißen Hemdes hoch. Dieser Mittwoch meinte es gut mit ihm. Er schützte die Augen mit einer Hand vor der Sonne und sah auf zur Hofkirche, die zu seiner linken majestätisch in den Himmel ragte. Er lächelte und blinzelte in die Sonne.

»Sie wünschen?«, fragte die Bedienung, die plötzlich neben ihm stand.

Winter sah in ihre Richtung und starrte ihr sprachlos ins Gesicht. Sie hatte hohe Wangenknochen und ein kleines Stupsnäschen. Die schwarzen Haare wurden von einem Zopf zusammengehalten, aber eine Strähne hatte sich gelöst und fiel ihr widerspenstig in die Stirn. Dunkle Augen unter langen Wimpern blickten fragend auf ihn herab und irgendwie muteten sie exotisch an. Etwas Asiatisches schimmerte in ihnen.

»Haben Sie sich schon entschieden oder soll ich noch einmal wiederkommen?«, fragte sie, weil er nichts sagte.

»Nein, nein. Einen Cappuccino und ein Wasser, bitte«, antwortete er automatisch.

»Fehlt noch etwas?«, fragte sie, weil er sie immer noch anstarrte.

»Oh«, er schüttelte den Kopf. »Nein, im Moment nicht. Danke.«

Sie entfernte sich, und er blickte ihr hinterher und genoss ihren elfenhaften Gang. Dann wandte er sich ab und sah sich um, ob ihn jemand beobachtet hatte. Wie ein pubertierender Teenager hatte er der Bedienung hinterher gegafft.

Er schüttelte den Kopf. Ach was, er war Richter und kein Bischof! Vor allem war er jung, frei und sicherlich keine schlechte Partie.

Winter griff nach der Zeitung und begann wie immer, von hinten zu blättern. Aber er nahm nichts von dem auf, was er las. Noch immer hatte er die Augen des Mädchens im Kopf. Er wischte sich über die Stirn und blätterte zur Titelseite.

‚Der Taubenschlächter endlich vor Gericht?’, sprang ihm die Headline entgegen und er zog tief den Atem ein. Er hatte schon seit Tagen darauf gewartet, doch nun traf es ihn unvorbereitet. In seinem Magen rumorte es.

Er vertiefte sich in den Artikel. Dieser umriss kurz, wie der Obdachlose Hans N. im August, unweit des schwer misshandelten Kadavers eines Schäferhundes, an der Elbe aufgefunden worden war und die Beamten in seinen Habseligkeiten die Tatwaffe sichergestellt hatten. Nun werde am Amtsgericht um dessen Schuld verhandelt. Endlich sei ein Ende der Tiermetzelei in Sicht hieß es dort; jetzt, da der Angeklagte Hans N. vor Gericht stehe, würden diese grausamen Taten hoffentlich ein Ende finden. Man betonte zum wiederholten Male, dass der Strafrichter Raik Winter die Hauptverhandlung hatte gar nicht eröffnen wollen. Erst auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin sei nun der Eröffnungsbeschluss erlassen und die Sache ans Amtsgericht zu demselben Richter zurückverwiesen worden. Ob dies so glücklich entschieden worden sei, werde sich morgen zeigen, hieß es weiter.

Winter blickte auf und starrte verschlossen auf die Elbe. Es ärgerte ihn, dass ihn dieser Artikel so aus der Fassung brachte.

»Bitte schön, Ihr Espresso!« Das Mädchen stand plötzlich wieder neben ihm und er sah erschrocken zu ihr auf. So, wie sie sich über den Tisch beugte, um den Kaffee zu servieren, war sie einfach unwiderstehlich. Er musste sich zusammennehmen, um ihr nicht ins Dekolleté zu starren. Sie stellte eine Espressotasse und ein Glas Wasser auf den Tisch.

»Ich hatte eigentlich einen Cappuccino bestellt«, sagte er ruhig.

Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. »Oh, Entschuldigung!« Sie griff hektisch nach der Tasse und riss dabei das Glas um, so dass Winter erschrocken aufsprang, ehe sich das Wasser über seine Hose ergießen konnte.

»Verdammt!«, fluchte sie leise. »Das tut mir fürchterlich Leid. Haben Sie etwas abbekommen?«

Er klopfte sich die Hosenbeine ab. »Nein, es ist zum Glück nichts passiert. Vergessen Sie das Wasser und lassen Sie einfach den Espresso hier. Das ist auch okay«, erwiderte er lächelnd. Er hätte auch ein Glas Ziegenmilch getrunken, wenn sie ihm dieses versehentlich serviert hätte. Das Mädchen bedankte sich sichtlich verwirrt und war schon wieder verschwunden. Winter rührte ein Tütchen Zucker in den Espresso und trank einen Schluck.

Dann sah er sich noch einmal um. Aber bis auf ein altes Ehepaar auf der anderen Seite war die Terrasse leer. Das Mädchen war nicht zu sehen. Er vertiefte sich wieder in den Artikel. Und seine Verärgerung wuchs mit jeder weiteren Zeile. Man mutmaßte, wie viele unschuldige Kreaturen der Angeklagte möglicherweise noch gequält haben könnte und ob man mit ihm auch den Taubenschlächter gefunden hatte, der seit dem Frühjahr mehrere Täubchen grausam getötet hatte. Zum Abschluss stellte man eine Frage in den Raum: Wie weit war der Schritt vom Töten eines Tieres zum Misshandeln eines Menschen?

Das genügte ihm. Was hatte er auch Anderes erwartet, als eine solche Treibjagd? Völlig versunken blickte er auf die Elbe hinaus. Dann kippte er den Espresso hinunter. Er schmeckte nur noch bitter.

Am nächsten Morgen stand ihm ein schwieriger Prozesstag bevor. Er war gerade ein halbes Jahr im Richteramt und bekam eine solche Strafsache auf den Tisch, die sicherlich fachlich nicht komplizierter war als die anderen Fälle, mit denen er sich tagtäglich konfrontiert sah. Aber der öffentliche Druck, der nun auf seinen Schultern lastete, war immens. Ihm war klar, dass er Spießruten laufen würde, wenn er morgen entgegen der öffentlichen Meinung entschied, die ihren »Täter« in Hans Nowotny, dem Angeklagten, gefunden sah. Winter atmete tief durch.

Ein leises Geräusch zu seinen Füßen riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Taube saß auf den Kieseln unter dem Tisch und pickte zwischen den Steinen herum. Er hatte sie oft hier beobachtet, die kleinen gurrenden Gesellen. Sie wussten, dass meistens etwas Essbares bei den Cafégästen abfiel. Das Täubchen hob den Kopf und drehte ihn mit einer raschen Bewegung. Seine kleinen Augen glänzten. Winter nahm den Keks, der bei seinem Espresso gelegen hatte und zerbröselte ihn in der Hand. Dann streute er die Krumen auf den Boden. Die Taube pickte die Krümel auf, und plötzlich landeten eine zweite und kurz darauf eine dritte neben ihr. Ein lautes Gurren erhob sich vom Erdboden und Winter beobachtete regungslos diese friedliche Szene. Wie grausam musste ein Mensch sein, der diese kleinen zarten Wesen quälte und abschlachtete? Dieser Typ musste endlich gefasst werden! Auch wenn die Presse offensichtlich meinte, dass dies längst geschehen sei.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte plötzlich das Mädchen, das wieder neben ihm stand.

»Danke, nein«, sagte er leichthin und die Lüge ging ihm ganz gut über die Lippen.

Sie nickte nur und sah lächelnd den Tauben zu. Und in diesem Augenblick überkam es ihn. »Oder doch! Sie könnten sich einen Moment zu mir setzen.« Gott, was hatte er da gerade gesagt?

»Tut mir Leid, aber dafür werde ich nicht bezahlt«, antwortete sie hart. Ihr Lächeln war verschwunden.

»Entschuldigung.« So eine peinliche Situation hatte er lange nicht mehr erlebt. Das Blut schoss ihm in den Kopf und seine Ohren wurden heiß.

»Kein Problem, Sie sind nicht der Erste, der mich gern mit nach Hause nehmen würde. Und ehrlich gesagt, bin ich es ziemlich leid.«

»Entschuldigung. So sollte das nicht klingen.« Er fühlte sich kläglich. »Ich überlege nur die ganze Zeit, welche Nationalität Ihre Eltern haben.«

Sie musste seine Betroffenheit bemerkt haben, denn sie begann, herzlich zu lachen. Sie stellte das Tablett ab, zog einen der Stühle vom Tisch weg und setzte sich. »Aber nur, weil heute so wenig los ist. Mann, wenn mein Chef das sieht, feuert er mich gleich wieder.«

Jetzt lachte er auch. Und plötzlich hatte er seine alte Gelassenheit wieder gefunden. »Das regle ich dann.«

»Warum? Sind Sie ein Bekannter von ihm?«

»Nein, aber ich könnte einer werden.« Er blinzelte verschwörerisch.

Sie sah ihn fragend an.

»Ich bin Jurist.«

Sie nickte anerkennend. »Ihr Anwälte denkt auch, ihr könnt alles regeln.«

»Ich bin kein Anwalt. Und ich glaube auch nicht, dass ich alles regeln kann. Aber fast alles.« Er lachte sie offen an.

»Aha.« Ihre großen dunklen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen. »Was sind Sie dann? Richter, Staatsanwalt?«

»Strafrichter.«

...