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Georg Trakl - Eine Biographie

Hans Weichselbaum

 

Verlag Otto Müller Verlag, 2014

ISBN 9783701362196 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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19,99 EUR


 

Aufgebrochen (1901–1908)

Die Jugend

Ob Trakls erster schulischer Misserfolg im erwachenden Protest gegen den Schulbetrieb seine Ursache hatte oder umgekehrt, ist heute nicht mehr zu klären. Dass damit Entwicklungen einsetzten, die Trakls weiteres Leben entscheidend bestimmen sollten, zeigt sich auf verschiedenen Ebenen.

Zunächst einmal in der weiteren schulischen Laufbahn, die er in einer großen Klasse mit 47 Schülern fortsetzte. Einige von ihnen konnten sich später noch an ihren ehemaligen Mitschüler erinnern, so Franz Grimm, der für mehrere Jahre, nur durch den Gang getrennt, neben ihm saß: Nicht daß er nachlässig gekleidet gewesen wäre, aber er hatte etwas Besonderes an sich – er war anders als wir. Auch ging er meist vorgeneigt, wie gebeugt, und sein Blick war nachdenklich und grüblerisch, manchmal auch forschend oder verloren. In der Schulbank saß er gewöhnlich unbewegt wie eine Statue, brütend, die Nase mit geblähten Nüstern auf die Hand gestützt. […] Niemand in der Schule hat ihn je ernst gesehen – immer lag ein stiller, obstinater Spott in seinen Mienen. Grimm fasste seinen Eindruck in dem Satz zusammen: Trakl ist genau das gewesen, was wir einen Wurschtikus nannten.1 Dass die äußere Form seiner schriftlichen Arbeiten in der Oberstufe durchwegs mit „minder sorgfältig“ oder „minder ordentlich“ eingestuft wurde (wie bei Buschbeck auch), entspricht diesem Eindruck (II/642). Die Mitschüler empfanden ihn allerdings als überlegen, was sie auch respektierten: Er ist viel vifer gewesen als wir alle und uns weit voraus.2 Was für die Mitschüler offenkundig war, beeindruckte die Lehrer wenig. Er musste in den Problemfächern Latein, Griechisch und Mathematik weiterhin um positive Abschlüsse kämpfen, kam über ein „genügend“ nie hinaus und war in den Semesterzeugnissen mehrfach von negativen Einstufungen bedroht. Nach der Wiederholung der vierten Klasse mit positivem Abschluss wurde er von der Schule abgemeldet; offenbar sollte er seine Ausbildung anderswo fortsetzen.3 Im Herbst begann er aber dann doch mit der Oberstufe. Die Schule empfand er als langweilig, Schulbücher ödeten ihn an, und die Lehrer hatten es mit dem schwierigen, verschlagen wirkenden Jungen, von dem es hieß, er dichte, nicht leicht.4 Insbesondere das Vokabellernen in Latein und Griechisch war ihm verhasst. Der Unterricht wurde für ihn dann interessant, wenn er zu oppositionellen Äußerungen herausforderte: Wenn er beispielsweise in Griechisch einen Text aus einer deutschen Übertragung in die Originalsprache rückübersetzen sollte, schrieb er nur die erste und letzte Zeile hin – was ihm ein „ganz ungenügend“ eintrug.5 In der siebten Klasse wählte er als Thema des freien Vortrages das in seiner Grundstimmung düsterpessimistische Schauspiel „John Gabriel Borkmann“ von Henrik Ibsen, wohl auch im Wissen darum, dass dieser Autor in den Augen mancher Lehrer zu den Verderbern der Schuljugend gehörte. Mit der Wahl dieses Autors war Trakl in der Klasse allerdings nicht allein: Sein Freund Karl Minnich, Sohn eines Primararztes vom Mozartplatz, wählte ebenfalls ein Drama Ibsens („Die Kronprätententen“), und ein anderer Mitschüler sprach allgemein über den Autor. Einer der bekanntesten Lehrer an der Schule, Camillo Huemer, meinte über Ibsen, dass er die Gesellschaft verjauche.6 Er war es auch, der vor der Lektüre Nietzsches warnte, die damals unter den Schülern stark verbreitet war. Der Philosoph war für ihn ein Verderber des deutschen Geisteslebens.7 Auch die katholische Presse wetterte gegen solche Zustände an der Schule, als deren Ursache sie „deutschnationale Umtriebe“ ansah. Dass Trakl in dieser Zeit zu den Nietzsche-Verehrern gehörte, belegt ein Vorkommnis in einem Kreis literarischer Freunde, von dem noch die Rede sein wird. Der Aphorismus Trakls: Nur dem, der das Glück verachtet, wird Erkenntnis (I/463) aus dem Jahr 1908 entsprang Nietzsches Gedanken, dass nur abseits vom alltäglichen Getriebe Großes entstehen könne – auch in der Kunst. Drei Bücher des Philosophen finden sich auf der Bücherliste Trakls aus der Innsbrucker Zeit (II/727).8 Er hatte aber zu dessen Weltbild ein durchaus ambivalentes Verhältnis, das sich zwischen einer ebenso radikalen Bejahung wie Verneinung bewegte.9 Die Einsicht, dass das Leben Leiden sei, führte beide Pole zusammen. Seine letzte Äußerung über den Dichter-Philosophen war eindeutig ablehnend.10 In einem Gespräch im Jänner 1914 soll er ihn als wahnsinnig bezeichnet haben.11

Klassenfoto 1901 (mit Prof. Klose). Georg Trakl in der letzten Reihe, Dritter v. l.

Auf einem Wandertag. Georg Trakl in der 2. Reihe, Dritter v. l., neben Erhard Buschbeck.

Der Deutschunterricht war, dem Bildungsauftrag entsprechend, ganz an der deutschen Klassik orientiert. Österreichische Autoren kamen nur in geringer Zahl, die Moderne gar nicht vor. Trakls Mitschüler lasen gerne – seine Klasse verzeichnete im Schuljahr 1902/03 die meisten Entlehnungen aus der Schülerbibliothek12 –, doch Trakl hat sich die literarischen Identifikationsmöglichkeiten außerhalb des Unterrichts gesucht. Dass er ein eifriger Leser war, hatte sein Bruder Fritz noch gut in Erinnerung: Er war manchmal scheu und still, er las auch sehr viel; mein Vater wunderte sich immer wieder über die hohen Rechnungen aus den Buchläden, die ihm ins Haus geschickt wurden. Er liebte Nietzsche leidenschaftlich – das heilte ihn von Wagner. Dann kamen die Russen, Dostojewsky [!] vor allem, dann Verlaine und Rimbaud.13 Buschbeck meinte, dass Trakl Dostojewski sehr früh und mit vollem Einsatz zu lesen begann und bald ganz kannte.14 Die Romane des russischen Schriftstellers haben ihn tief beeindruckt, sie scheinen eine zentrale Rolle in den unzähligen Literaturfragen und -diskussionen gespielt zu haben, mit denen sich Trakl und sein engerer Freundeskreis befassten. Neben Buschbeck, der sich wenig später allerdings ablehnend über die russischen Roman-Barbaren äußerte15, gehörten dazu noch Karl Minnich, Franz Bruckbauer, Karl von Kalmár, Franz Schwab, Adolf Schmidt und Anton Moritz. Es war wohl in erster Linie das Antibürgerliche in Verbindung mit einer radikalen christlichen Religiosität und das Gefühl des Mitleids mit den Erniedrigten, was Trakl an Dostojewski fasziniert hat. Sonja, eine Figur aus „Raskolnikov“, gab später einem Gedicht den Titel (I/105). Diese Lektüre war für ihn eine Möglichkeit, seiner als ungenügend empfundenen Existenz eines unbedeutenden Schülers in der Phantasie eine andere, erstrebenswertere gegenüberzustellen und daran sein Weltbild zu orientieren.

In der Oberstufe. Georg Trakl in der letzten Reihe (Mitte).

Trakls Klasse war im Schuljahr 1904/05 mit 38 Schülern ungewöhnlich groß. Sie war auch nicht die einfachste – gemessen an den damaligen steif-rigiden Erziehungsprinzipien, wie mehrere „Vorfälle“ verdeutlichen. So reichte es für eine achtstündige Karzerstrafe, eine Art Schulhaft, wenn ein Schüler einen Lehrer vor dem Tor der Schule nicht ordentlich grüßte.16 Als daraufhin Trakls Klasse, der Herd des Aufruhrs, durch Murren auf dem Gang ihr Missfallen an dieser harten Entscheidung zum Ausdruck brachte, wurde das als Demonstration eingestuft, was wiederum eine Reihe anderer disziplinärer Maßnahmen zur Folge hatte.17 Die Klasse verhielt sich solidarisch, was von einem Lehrer den Kollegen gegenüber auch als positives Zeichen gewertet wurde. Trakl trat bei solchen Aktionen nicht in den Vordergrund, sondern scheint ohne besondere Anteilnahme mitgemacht zu haben. Die ständigen schulischen Misserfolge setzten ihm derart zu, dass er sich sogar mit dem Gedanken trug, sich das Leben zu nehmen, und darüber in äußerster Bedrängnis mit seinem Freund Franz Bruckbauer sprach. Dieser äußerte sich zunächst spöttisch dazu (Das haben schon viele gesagt und es nicht getan), informierte dann aber doch Trakls Vater auf dessen abendlichem Weg ins Kaffeehaus, was schließlich das Ende der Freundschaft zur Folge hatte.18 In einem Gedicht bezeichnete Bruckbauer später den ehemaligen Freund als Sonnenkind im Schatten, der im Kreis der Trunkenen der Überlegene19 war.

Den Durchschnitt der Lehrer, mit dem es Trakl offenbar zu tun hatte, überragte Eugen Müller, der in seinen Deutschunterricht der siebten Klasse den Naturalismus einbezog und für Theater und Musik aufgeschlossen war.20 Trakls Deutschnote stieg auf „lobenswert“21, doch war das der einzige Lichtblick im Zeugnis des Schuljahres 1904/05; in den drei Problemfächern Latein, Griechisch und Mathematik war die Note „nicht genügend“ zu finden; ein Aufstieg in die letzte Klasse war damit nicht möglich.22 Trakl hätte die siebte Klasse wiederholen müssen. Der Versuch dazu dauerte im Herbst nur eine Woche, dann verzichtete er darauf und verließ die Schule. Am 26. September 1905 meldete er sich endgültig...