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Die "Jugo-Schweiz" - Klischees, Provokationen, Visionen

Philipp Kämpf

 

Verlag Verlag Rüegger, 2008

ISBN 9783725308927 , 110 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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Die katholischen Muslime von Rheineck (S. 19)
So wie es verschiedene Verständnisse der Schweiz und damit mehrere «Schweizen» gibt, so ist auch das geografische Verständnis unseres Landes im Kopf jeder Person ganz unterschiedlich: Spasseshalber sagt manch ein Berner: Die Schweiz hört hinter Zürich auf – worauf ein Ostschweizer launig erwidern könnte: Ja genau, dort hört sie für mich auch auf. Fühle ich mich im Tessin wohl, weil ich beim Bezahlen mit der Postcard vom Lesegerät auf Deutsch (zwar Hochdeutsch) begrüsst werde? Oder definiere ich meine Wohlfühlheimat negativ? Kann ich mich im Tessin über die zuvielen Deutschen ebenso wohlig aufregen wie es gewisse Zürcher in ihrer Stadt tun? – Ein etwas gar kleiner gemeinsamer Nenner für ein patriotisches Glücksgefühl, doch dem einen oder anderen mag es genügen. Diese banalen Beispiele zeigen: Schweizer sein, sich heimisch fühlen ist mit vielen Unschärfen verbunden. Und das ist gut so.

Damit sind wir bei der Einbürgerungsfrage. In Zeiten, wo sogar jemand mit deutschen Vorfahren wie Christoph Blocher Bundesrat werden kann, haben es sich gleich mehrere Parteien auf ihre Fahnen bzw. die damit geschmückten Inserate geschrieben, die Papierschweizer-Diskussion zu fördern. «Wäre ja gelacht, dass jeder, der ein rotes Büchlein nachgeworfen bekommt, sich auch Schweizer nennen darf», denkt manch ein rechtschaffener oder zumindest rechtsdenkende Politiker ... Gerade in der Ostschweiz – spasseshalber manchmal als Balkan der Schweiz bezeichnet – nimmt man es mit der Einbürgerungsfrage sehr ernst. Doch allzu viel Ernst kippt bekanntlich gern ins Groteske.

Wir befinden uns in der evangelischen Kirche von Rheineck – an der östlichen Schweizer Grenze. Im März 2007 hat hier die Bürgerversammlung die Einbürgerung von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien grundsätzlich abgelehnt. Muslime wurden als unerwünscht bezeichnet. «Ich will die Leute nicht, weil sie Muslime sind», so ein Votum aus den heiligen Hallen. Das Fazit: Ein – wohl katholischer – Italiener wurde eingebürgert, 25 Personen wurden von der Versammlung abgelehnt, und zwar aus Serbien, Bosnien und dem EU-Staat Slowenien («Wo cheibs liegt das schon wieder auf der Landkarte?»). Individuelle Begründungen, die auf die einzelnen Personen eingegangen wären, wurden nur in ganz wenigen Fällen genannt. So bei einem Serben: Er behandle seine Frau nicht gleichberechtigt. Interessant, dies aus einer Ecke der Schweiz zu hören, unweit der sich die Männer jahrelang gegen die Ausweitung der demokratischen Rechte auf die Frau gewehrt hatten.

Das beste Ergebnis unter den Abgelehnten erzielte – ja, es ist fast so spannend wie im Sport – ein Serbe, der seit 23 Jahren in der Schweiz lebt. Mit 98:113 hat er es dann doch nicht ganz geschafft. Fast scheint es, als wolle sich Rheineck an der Ostgrenze der Schweiz als eine Art Bastion gegen die neuen «Türkenstürme» hervortun. Mit etwas Abstand betrachtet schütteln viele Schweizer den Kopf, lösen sich doch die nicht eingebürgerten Personen nicht einfach in Luft auf, sondern bleiben so oder so hier. Wer ein minimes Einfühlungsvermögen hat, kann sich aber gut vorstellen, was im Kopf einer so getroffenen rechtschaffenen Person vorgeht. Und wer sich am Anblick der Jugos stört, den stören sie wohl auch ohne Schweizer Pass ... So könnte man die Papierschweizer-Diskussion doch zugunsten einer liberalen Einbürgerung umdrehen: Wenn die Staatsbürgerschaft so wenig wert ist, wie in der Politpropaganda behauptet wird, dann gebt sie doch den Leuten!