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Love - Lisey's Story

Stephen King

 

Verlag Heyne, 2008

ISBN 9783894803988 , 752 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Für die Öffentlichkeit sind die Ehefrauen berühmter Schriftsteller praktisch unsichtbar, und niemand wusste das besser als Lisey Landon. Ihr Mann hatte den Pulitzerpreis und den National Book Award gewonnen, aber Lisey hatte in ihrem Leben nur ein einziges Interview gegeben: für die bekannte Frauenzeitschrift, in der die Artikelserie 'Ja, ich bin mit ihm verheiratet!' erscheint. Sie hatte ungefähr die Hälfte des fünfzig Zeilen langen Interviews auf die Erklärung verwendet, dass ihr Kosename sich auf 'CeeCee' reimte. Der größte Teil der anderen Hälfte hatte mit ihrem Rezept für langsam gebratenes Roastbeef zu tun gehabt. Liseys Schwester Amanda sagte, das zu dem Interview gehörende Foto lasse Lisey dick aussehen.
Keine von Liseys Schwestern war über das Vergnügen erhaben, Aufregung zu provozieren ('Stunk zu machen', wie ihr Vater sich immer ausgedrückt hatte) oder die schmutzige Wäsche anderer Leute durchzuhecheln, aber die Einzige, bei der es Lisey schwerfiel, sie zu mögen, war ebendiese Amanda. Amanda, die älteste (und sonderbarste) der ehemaligen Debusher-Girls aus Lisbon Falls, lebte gegenwärtig allein in einem Haus, das Lisey ihr zur Verfügung gestellt hatte: ein wetterfestes Häuschen nicht allzu weit vom Castle View entfernt, sodass Lisey, Darla und Cantata sie im Auge behalten konnten. Lisey hatte es ihr vor sieben Jahren gekauft, fünf bevor Scott gestorben war. Jung gestorben war. Vorzeitig abberufen worden war, wie man so schön sagte. Lisey konnte noch immer nicht recht glauben, dass er seit zwei Jahren nicht mehr da war. Es erschien ihr länger her zu sein und zugleich nur einen Wimpernschlag.
Als Lisey endlich dazu kam, sich daranzumachen, sein Büro auszuräumen - eine Flucht großer und schön beleuchteter Räume, die ursprünglich nur der Heuboden über einer Scheune gewesen waren -, war Amanda am dritten Tag aufgekreuzt, nachdem Lisey bereits mit der Bestandsaufnahme der ausländischen Ausgaben (von denen es Hunderte gab) fertig war, aber sonst noch nicht mehr hatte tun können, als eine Liste der Möbel zu erstellen, auf der Sternchen jene Stücke bezeichneten, von denen sie glaubte, sie behalten zu sollen. Sie wartete darauf, dass Amanda sie fragte, wieso sie um Himmels willen nicht schneller arbeite, aber Amanda stellte keine Fragen. Während Lisey von der Möbelfrage zu einer lustlosen (und ganztägigen) Betrachtung der in dem größten Schrank gestapelten Pappkartons mit alter Korrespondenz überging, schien Amandas gesamte Aufmerksamkeit weiter den eindrucksvollen Haufen und Stapeln von Memorabilien zu gelten, die auf ganzer Länge an der Südwand des Arbeitszimmers aufgetürmt waren. Sie tigerte vor dieser schlangenartigen Ansammlung auf und ab, sagte wenig oder nichts, schrieb aber häufig rasch etwas in ein kleines Notizbuch, das sie stets zur Hand hatte.
Lisey sagte nicht Was suchst du? oder Was notierst du dir da? Wie Scott mehr als einmal festgestellt hatte, besaß Lisey etwas, was bestimmt zu den seltensten menschlichen Gaben gehörte: Obwohl sie jemand war, der sich um den eigenen Kram kümmerte, störte es sie nicht, wenn man sich um anderer Leute Kram kümmerte. Das heißt, solange man keine Sprengsätze herstellte, um jemanden damit zu bewerfen, und in Amandas Fall waren Sprengsätze immer im Bereich des Möglichen. Sie war die Art Frau, die herumschnüffeln musste, die Art Frau, die früher oder später den Mund aufmachen würde.
Ihr Ehemann war 1985 von Rumford aus, wo sie gelebt hatten ('wie zwei in einem Abwasserrohr festsitzende Vielfraße', hatte Scott nach einem Nachmittagsbesuch gesagt, den er nie zu wiederholen geschworen hatte), nach Süden abgehauen. Ihr einziges Kind, eine Tochter namens Intermezzo, kurz Metzie gerufen, war 1989 (mit einem Fernfahrer als Liebhaber) nach Kanada gegangen. 'Eine flog nach Norden, eine nach Süden übers Land, eine konnt' nicht halten ihren Lästerrand.' Das war in ihrer Kindheit ein Holperreim ihres Vaters gewesen, und diejenige von Dandy Dave Debushers Mädchen, die niemals ihren Lästerrand halten konnte, war bestimmt Manda, die erst von ihrem Mann sitzen gelassen und dann von ihrer Tochter verschmäht worden war.
Auch wenn es manchmal schwierig war, Amanda zu mögen, hatte Lisey nicht gewollt, dass sie allein dort unten in Rumford lebte, und obwohl sie sich nie darüber geäußert hatten, war Lisey sich sicher, dass Darla und Cantata das Gleiche empfanden. Deshalb hatte sie darüber mit Scott gesprochen und das kleine Cape-Cod-Haus gefunden, das für 97 000 Dollar bar auf den Tisch zu haben war. Wenig später war Amanda nach Norden gezogen, wo man sie leicht kontrollieren konnte.
Jetzt war Scott tot, und Lisey war endlich dazu gekommen, das Ausräumen seiner Schreibwerkstatt in Angriff zu nehmen. Gegen Mittag des vierten Tages waren die ausländischen Ausgaben in Kartons verpackt, die Korrespondenz war gekennzeichnet und in eine gewisse Ordnung gebracht, und sie hatte eine gute Vorstellung davon, welche Möbelstücke abtransportiert werden und welche bleiben würden. Weshalb hatte sie also das Gefühl, so wenig getan zu haben? Sie hatte von Anfang an gewusst, dass dies keine Aufgabe war, die sich beschleunigen ließ. Nicht zu reden von all den lästigen Briefen und Anrufen (und mehr als nur ein paar Besuchen), die sie seit Scotts Tod erhalten hatte. Letztlich würden die Leute, die sich für Scotts unveröffentlichten Nachlass interessierten, wohl bekommen, was sie wollten, allerdings nicht bevor sie auch bereit war, es ihnen zu überlassen. Dieser Punkt war ihnen anfangs nicht klar gewesen; sie hatten es nicht gefressen, wie es so schön hieß. Inzwischen glaubte sie aber, dass die meisten auf dem Laufenden waren.
Es gab viele Wörter für das Zeug, das Scott hinterlassen hatte. Das einzige, das sie wirklich verstand, war Memorabilien, aber es gab noch ein weiteres, ein komisches Wort, das wie Inkunkabilla klang. Auf die hatten es die ungeduldigen Leute, die Schmeichler, die Zornigen abgesehen: Scotts Inkunkabilla. Lisey fing an, die Leute in Gedanken als Inkunks zu bezeichnen.

Was sie vor allem empfand, besonders seit Amanda aufgekreuzt war, war Mutlosigkeit, so als hätte sie entweder die Aufgabe selbst weit unterschätzt oder ihre Fähigkeit, sie bis zum unvermeidlichen Ende durchzuziehen, (heftig) überschätzt - die aufzuhebenden Möbel, die unten in der Scheune eingelagert waren, die eingerollten und mit Klebeband zugeklebten Teppiche, der gelbe Ryder-Möbelwagen in der Einfahrt, wo er seinen Schatten auf den Bretterzaun zwischen ihrem Garten und dem der Galloways von nebenan warf.