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Die Wundertäter - Netzwerke der deutschen Wirtschaft - 1942-1966

Nina Grunenberg

 

Verlag Siedler, 2008

ISBN 9783894804213 , 321 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR


 

Welches 'Wunder', welche 'Täter'?

Wir Deutsche lieben Wunder. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel macht da keine Ausnahme. In ihrem erklärten Bestreben, Deutschland in puncto Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand binnen zehn Jahren wieder unter die ersten Drei in Europa zu führen, beruft sie sich gern auf Ludwig Erhards 'soziale Marktwirtschaft'.
Die Kernsätze Erhards, so versicherte sie am 25. Januar 2006 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, hätten für sie 'nichts, aber auch gar nichts an Aktualität verloren'. Angela Merkel verrät ihren Zuhörern auch den Grund dafür: 'Daraus entstand das, was man in Deutschland das Wirtschaftswunder nennt.' In ihrer ersten Regierungserklärung am 30. November 2005 hatte die Kanzlerin den Mitgliedern des Deutschen Bundestags eine rhetorische Frage gestellt: 'Warum soll uns das, was uns früher und was uns zu Beginn dieser Bundesrepublik Deutschland, in den ersten Gründerjahren, gelungen ist, heute, in den - wie ich sage - zweiten Gründerjahren, nicht wieder gelingen?'
Zweite Gründerjahre also, gar ein neues 'Wirtschaftswunder'? Ludwig Erhard, der 1977 im Alter von achtzig Jahren starb, ist für die Westdeutschen noch dreißig Jahre nach seinem Tod das Symbol ihres fulminanten Wiederaufstiegs nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der unbekümmerten Inanspruchnahme seiner Person durch die gegenwärtige Regierung hätte er jedoch seine Schwierigkeiten gehabt. Allein das Wort 'Wirtschaftswunder' bereitete ihm heftiges Unbehagen. Überhaupt war das Wirken übersinnlicher Mächte seine Sache nie, schon gar nicht in seiner unbestrittenen Domäne, der Wirtschaftswissenschaft. Er hielt sich an Tatsachen, Zahlen und Fakten.
'An Wunder aber vermag ich gerade im Bereich der Wirtschaft nicht zu glauben', hatte der nüchterne Ökonom am 21. Juni 1948 den hungernden Deutschen in einer Rundfunkansprache zugerufen. Danach kündigte er die sofortige Auflösung von bisher geltenden Preisbindungen an, um, wie er sagte, 'dem Wettbewerb und der daraus resultierenden Preissenkung Raum zu geben'.
Erhards Appell kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Am Vortag hatten die Bewohner der drei Westzonen 'richtiges' Geld erhalten. Erhard ging es vor allem darum, im deutschen Volk das Vertrauen in die neue Währung, die D-Mark, zu wecken und dem Geld wieder seine eigentliche Funktion zurückzugeben. Für jeden Deutschen in den drei Westzonen waren 60 Deutsche Mark 'Kopfgeld' vorgesehen, von dem am 20. Juni 40 DM ausgegeben wurden. Die Betriebe erhielten Mittel, um Löhne und Gehälter auszuzahlen. Die meisten Verbindlichkeiten wurden im Verhältnis 100:10 umgestellt. Ein Witzbold bei 'News Chronicle' registrierte, daß in 'dieser Woche die stabilste Währung in Europa zerstört wurde': die Währung der Zigarette.
Als dann in der letzten Juniwoche 1948 der berühmte 'Schaufenstereffekt' eintrat und sich die armseligen Läden plötzlich mit den erstaunlichsten, lange entbehrten Waren füllten, waren die Deutschen überwältigt. So ist es auch nicht verwunderlich, daß in diesen Tagen die ersten Zeitgenossen begannen, ein 'Wunder' für diesen phänomenalen Wandel verantwortlich zu machen. Oder war es etwa kein Wunder, daß die D-Mark der 'Lucky Strike' ihren Rang als Leitwährung ablief?
Selbst die unerschütterlichsten Optimisten konnten im Sommer des Jahres 1948 nicht vorhersehen, daß die skeptisch begrüßte Deutsche Mark binnen einem Jahrzehnt zur härtesten Währung in Europa aufsteigen sollte. Als es dann soweit war, sprach bereits die ganze Welt vom 'deutschen Wirtschaftswunder'. Es war die erste Vokabel, die nach 'Achtung' und 'Blitzkrieg' den Sprung in den Fremdwortschatz der benachbarten Völker schaffte.
Der rasante Aufstieg eines zerstörten, von Hitlers Diktatur ruinierten, von der Welt geächteten (und obendrein drastisch verkleinerten) Landes zur führenden Wirtschaftsmacht des Kontinents - wie war er anders zu erklären als durch ein Wunder? Der erste Politiker, der nach 1945 öffentlich über Irrationales spekulierte, war Heinrich Pünder, der dem Wirtschaftsverwaltungsrat der britisch-amerikanischen Bizone vorsaß: 'Es ist fast wie ein Wunder', staunte er Ende August 1948 über den allgemeinen Aufwärtstrend.
Merkwürdig, daß die Deutschen der 'Zusammenbruchsgesellschaft' anno 1945 von 'Wundern' überhaupt noch etwas hören wollten. Eigentlich hätten sie davon ein für allemal kuriert sein müssen. Nur allzugern hatten sie sich im Inferno des Krieges am Mythos der 'Wunderwaffen' aufgerichtet. Ihr baldiger Einsatz, von Propagandaminister Joseph Goebbels unermüdlich angekündigt, sollte den 'Endsieg' bringen. Daß die 'Wunderwaffen', wie fast alles in den zwölf Jahren der Nazidiktatur, nur fauler Zauber waren, begriff die Mehrheit der Zeitgenossen erst hinterher.
Mit 'Wundern' scheint es in der deutschen Geschichte eine besondere Bewandtnis zu haben. Das 'Mirakel des Hauses Brandenburg', der plötzliche Tod der Zarin Elisabeth Anfang Januar 1762, bewahrte Friedrich den Großen vor der Niederlage im Siebenjährigen Krieg und dem für diesen Fall geplanten Selbstmord. Ganz ähnlich hoffte auch der in seinem Bunker vor sich hin phantasierende Hitler bei der Nachricht vom Tode Roosevelts auf ein Mirakel in eigener Sache.
In der Serie der 'braunen' Wunder stand an erster Stelle Albert Speers vermeintliches 'Rüstungswunder', der explosionsartige Anstieg der Kriegsproduktion. 'Wir müssen nur noch ein Jahr durchstehen', sagte er im Januar 1945, 'dann haben wir den Krieg gewonnen.' Noch in den Verhören durch die Amerikaner zeigte sich Speer von sich selbst beeindruckt, als er auf seine Erfolge verwies.
Aber auch ein 'Wirtschaftswunder' hatte es bei den Nazis schon einmal gegeben. 1936 erschien im Amsterdamer Querido-Verlag ein Buch des emigrierten Redakteurs des 'Berliner Tageblatts' Hans Erich Priester. Es trug den Titel 'Das deutsche Wirtschaftswunder'. Der Autor beschrieb darin die Wirtschafts- und Finanzpolitik des 'Dritten Reiches' und ihren offensichtlichen Erfolg: Die Arbeitslosen verschwanden von der Straße. Nur wenige sahen damals, daß die deutsche Wirtschaft ihren Aufschwung ganz wesentlich dem Aufschwung in den USA dankte.
Auch die größten Wunder haben in der Regel natürliche Ursachen. Wunder gibt es nicht, bestätigen denn auch die Ökonomen und weisen mühelos nach, daß der Aufstieg Nachkriegsdeutschlands dem Zusammentreffen richtiger Entscheidungen, günstiger Umstände und glücklicher Fügungen zu verdanken sei.
Aber wer traf diese Entscheidungen? Wer sorgte für diese außergewöhnliche deutsche success story, die selbst kühlen Beobachtern im In- und Ausland fast einhellig wie ein 'Wunder' vorkam? Bundeskanzler Konrad Adenauer und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard stellten die entscheidenden Weichen und profitierten politisch vom ökonomischen Aufschwung. Aber am Schwungrad der deutschen Wirtschaft standen sie nicht. Die Bundesrepublik Deutschland glich, so formulierte einmal der bekannte Historiker Werner Abelshauser, 'lange einer erfolgreichen Wirtschaft auf der Suche nach ihrem politischen Daseinszweck'.
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