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Gambling - Ein Sid-Halley-Roman

Dick Francis

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257606089 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[7] 1

Tod auf der Rennbahn ist leider nichts Ungewöhnliches. Drei Todesfälle an einem einzigen Nachmittag erregen allerdings auch auf der Rennbahn Aufsehen. Daß nur eines der Opfer ein Pferd war, rief umgehend die Ortspolizei auf den Plan.

Der Tag des Cheltenham Gold Cup hatte klar und sonnig angefangen, Rauhreif lag weiß auf dem Vorfrühlingsgras. Angekündigt war scheußliches Wetter mit Westwind und heftigem Regen, doch als ich in der Küche meines Exschwiegervaters durchs Fenster auf den westlichen Himmel schaute, war von der vorhergesagten Warmfront noch nichts zu entdecken.

»Da hast du’s, Sid«, sagte Charles, als er, einen Morgenmantel über dem gestreiften Pyjama, blaue Samtpantoffeln an den Füßen, in die Küche kam. Konteradmiral a. D. Charles Rowland von der Royal Navy, mein Exschwiegervater, Vertrauter, Mentor und zweifellos mein bester Freund.

Unbekannten stellte ich ihn immer noch als meinen Schwiegervater vor, obwohl es inzwischen gut zehn Jahre her war, daß seine Tochter Jenny, meine Frau, es für nötig gehalten hatte, mich vor ein Ultimatum zu stellen: »Entweder ich oder dein Beruf.« Wenn man auf dem Gipfel seiner beruflichen Möglichkeiten steht, nimmt man so etwas nicht [8] ernst. Ich hatte weitergearbeitet wie immer, und Jenny hatte mich Gift und Galle speiend verlassen.

Daß nur wenige Monate später ein schwerer Unfall es mir unmöglich machte, den Beruf meiner Wahl weiter auszuüben, zählt zu den kleinen Ironien des Lebens, vor denen niemand sicher ist. Unsere Ehe war ein für allemal beschädigt, und es gab kein Zurück. Obwohl es noch viele Jahre dauerte und noch manches verletzende Wort fiel, bis wir uns voneinander lösen konnten. Schließlich hatten Jenny und ich uns scheiden lassen, und sie war durch eine zweite Ehe zu einem Adelstitel und beträchtlichem Vermögen gelangt. Heute sind wir höflich zueinander, und ich hoffe wirklich, daß eine vorsichtige Zuneigung in unserer stürmischen Beziehung noch möglich ist.

»Morgen, Charles«, sagte ich. »Schön draußen.«

»Diese Meteorologen«, erwiderte er, »haben doch nie den leisesten Schimmer.« Er beugte sich zum Fenster vor, um den Wetterhahn auf dem Garagendach besser sehen zu können. »Südwest«, bemerkte er. »Die Front ist noch im Anzug. Nehmen wir lieber einen Schirm mit.«

Ich bezweifelte nicht, daß er recht hatte. Auf See hatte er die unheimliche Fähigkeit erworben, mit Hilfe eines in die Luft gehaltenen, angefeuchteten Fingers die Zukunft vorherzusagen. Diesmal aber hatte er wohl einfach in seinem Zimmer Radio gehört. Von den Jahren auf See stammte auch seine Vorliebe für rein männliche Gesellschaft, denn Frauen fuhren damals nicht mit, und seine Eigenart, Probleme langsam, aber entschlossen anzugehen. Wie er mir oft erzählt hatte, braucht ein Flugzeugträger viele Kilometer, um zu wenden, so daß man sich beizeiten über die einzuschlagende [9] Richtung klarwerden sollte, damit man nicht wild durch die Gegend kurvt und allen zeigt, was für ein Vollidiot man ist.

Wir fuhren mit seinem Mercedes zur Rennbahn, Regenmäntel und Schirme auf dem Rücksitz verstaut. Während wir von Aynsford, seinem Wohnort in Oxfordshire, über die Cotswold Hills unterwegs nach Cheltenham waren, verkroch die Sonne sich hinter hohen Zirruswolken. Als wir von Cleeve Hill hinunter zur Rennbahn kamen, war sie vollends verschwunden, und auf dem Parkplatz klatschte Regen gegen die Windschutzscheibe, doch der Cheltenham Gold Cup zählt zu den größten Rennsportereignissen der Welt, und ein paar Regentropfen konnten uns die Laune nicht verderben.

Ich war diesen Kurs so oft geritten, daß ich das Gefühl hatte, jeden Grashalm wie einen alten Freund zu kennen. In meinen Träumen ritt ich noch immer dort, drängte bergab zur Einlaufgeraden und ging scharf den berüchtigten Abwärtssprung an, vor dem sich andere erst einmal sammelten. Hier gab es leicht eine Bruchlandung, wenn ein Gespann den Punkt nicht traf, aber es ging um den Sieg, und wenn man das Pferd antrieb, statt auf Sicherheit zu gehen, konnte man an diesem Hindernis Längen gutmachen, Längen, die die Konkurrenz am Berg vor der Ziellinie vielleicht nicht wieder aufzuholen vermochte.

Ein Sturz hatte meiner Rennsportkarriere ein Ende bereitet. Eigentlich war es ein Klacks. Mein junges Pferd stolperte beim Aufsprung am zweiten Hindernis in einem Sieglosen-Jagdrennen, bekam die Beine nicht unterm Hals weg und ging langsam nach rechts zu Boden. Ich hätte abspringen können, entschied mich jedoch, mit dem fallenden Tier [10] mitzugehen und seinen wild schlagenden Hufen auszuweichen. Es war ein unglücklicher Zufall, daß ein nachfolgendes Pferd nirgendwo anders hintreten konnte und mit seinem ganzen Gewicht auf der nach oben gedrehten Innenfläche meiner ausgestreckten linken Hand gelandet war. Eher kriminell als unglücklich war es jedoch, daß das Pferd ein durch langen Gebrauch scharf geschliffenes, ausgezacktes altes Rennhufeisen trug, das mir Muskeln, Sehnen und Knochen durchschnitt, meine Hand unbrauchbar machte und mein Leben ruinierte.

Aber ich will mich nicht beklagen. Ich war vier Jahre hintereinander Champion Jockey gewesen, mit mehr gewonnenen Hindernisrennen als jeder andere, und hätte wohl sowieso aussteigen müssen. Mit achtunddreißig war selbst für meine Begriffe das Alter überschritten, in dem man dem Körper die ständige Malträtierung zumuten konnte.

»Sid«, sagte Charles und holte mich damit in die Realität zurück, »du weißt ja, ich bin heute bei Lord Enstone zu Gast, und er hat mich gefragt, ob du nachher auf ein Glas in seine Loge kommst.«

»Mal sehen«, sagte ich, in Gedanken noch bei dem, was hätte sein können.

»Anscheinend liegt ihm viel daran.«

Da ich Charles kannte, sagte mir sein Nachhaken, daß er selbst Wert darauf legte.

»Ich werde dasein.«

Wenn es Charles wichtig war, würde ich wahrhaftig da sein. Ich verdankte ihm viel, und auf diese Art Dankesschuld abzutragen war leicht. Dachte ich wenigstens in dem Moment.

[11] Wir schlossen uns der Menschenmenge an, die von den Parkplätzen zur Rennbahn strömte.

»Tag, Mr. Halley«, sagte der Kontrolleur am Eingang. »Wer ist Ihr Tip für den Cup?«

»Tag, Tom«, erwiderte ich und las den Namen von seiner Karte ab. »Oven Cleaner müßte gute Chancen haben, zumal wenn es noch stärker regnet. Aber ich habe nichts gesagt.«

Er winkte mich lachend durch, ohne sich meine Plakette richtig anzusehen. Exjockeys sind den meisten Rennbahnen lästig. Haben sie freien Eintritt oder nicht? Und wie lange nach Beendigung ihrer Laufbahn? Kommt es darauf an, wie gut sie gewesen sind? Warum bleiben sie nicht einfach weg und geben Ruhe, statt immer nur davon zu reden, daß früher, als sie noch geritten sind, alles besser war und daß die Sprünge immer harmloser werden und kaum noch den Namen verdienen?

Hätte sich Tom meine Plakette genauer angesehen, hätte er festgestellt, daß sie, genau wie ich, schon ein wenig alt und mitgenommen war. Ich hatte einfach meine metallene Jokkeyplakette behalten, als ich abgetreten war, und benutzte sie immer noch. Niemand schien sich daran zu stören.

Charles winkte und machte sich auf den Weg zu den Logen oben auf der Tribüne, während ich ungehindert zu dem Platz vor dem Waageraum ging, gleich neben dem Führring.

»Sid Halley!« Ich drehte mich lächelnd um. »Wie läuft’s mit der Schnüffelei?«

Es war Bill Burton, Exjockey und jetzt mäßig erfolgreicher Trainer, dessen Taillenumfang schneller wuchs als sein Bankkonto.

[12] »Bestens, Bill.« Wir gaben uns herzlich die Hand. »Hält mich auf Trab.«

»Gut, solange du die Nase nicht in meine Angelegenheiten steckst.« Er sagte es mit einem Lächeln, das nicht ganz bis zu den Augen reichte.

Wir waren jahrelang regelmäßig gegeneinander geritten und wußten beide, daß er nicht unbedingt abgeneigt gewesen war, ein paar Pfund dazuzuverdienen, indem er dafür sorgte, daß sein Pferd nicht als erstes durchs Ziel ging. Er hatte immer steif und fest behauptet, er halte nur Pferde zurück, die ohnehin keine Chance hätten, das sei ja wohl kein Verbrechen. Ich meinte ihm anzusehen, daß er nach dem Umsatteln keineswegs umgedacht hatte.

Schade, dachte ich. Bill war kein krummer Hund, aber ganz ehrlich war er nach allem, was gemunkelt wurde, auch nicht. Einen solchen Ruf erwirbt man ja immer schneller, als man ihn los wird. Bill hoffte wohl umsonst, als Trainer einmal ganz nach oben zu kommen, und zwar nicht, weil es ihm an Kompetenz gefehlt hätte, sondern weil Besitzer, die sich auskannten, ihm nicht ihre besten Pferde anvertrauen würden.

»Hast du Starter heute?« fragte ich.

»Candlestick im ersten und Leaded Light im fünften. Aber ich würde auf beide nicht wetten.«

Ich fragte mich, ob das nun ein Hinweis war, daß sie nicht alles geben würden. Meine Zweifel stimmten mich traurig. Ich mochte Bill sehr. Wir waren viele Jahre lang Freunde und Rivalen auf der Bahn gewesen.

Er schien zu spüren, daß ich ihm tiefer in die Augen blickte, als ihm recht sein konnte, und wandte schnell den [13] Kopf ab. »Entschuldige, Sid«, sagte er leise, als er sich an mir vorbeischob, »muß meinen Jockey suchen.«

Ich sah zu, wie er durch die Tür des Waageraums verschwand, und schaute in der Zeitung nach, wer sein Jockey war. Huw Walker. Ein beliebter Routinier. Er hatte es nie zur Nummer 1 gebracht, hielt sich aber seit acht oder neun Jahren konstant unter den ersten zehn, bestritt zahlreiche Rennen und siegte oft. Ein Farmerssohn aus Wales, dem man ein...