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Doping

Dick Francis

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257606188 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[5] 1

Der Earl of October schneite in einem hellblauen Holden, der schon bessere Tage gesehen hatte, aber nicht gleich nach Gefahr und Tod roch, in mein Leben.

Ich sah ihn in die Einfahrt einbiegen, als ich über die kleine Koppel aufs Haus zuging, und beobachtete mißmutig, wie er sich auf unserem Privatweg näherte. Ein Vertreter, dachte ich; wir brauchen nichts. Sanft kam das blaue Fahrzeug zwischen mir und der Haustür zum Stehen.

Der Mann, der ihm entstieg, sah aus wie Mitte Vierzig, war mittelgroß und kräftig gebaut, hatte einen großen, gutgeformten Kopf und glattgebürstetes braunes Haar. Er trug graue Hosen, ein dünnes Wollhemd mit dunkler, dezenter Krawatte und hielt die unvermeidliche Aktentasche im Arm. Ich seufzte und stieg unter dem Koppelzaun durch, um ihn wegzuschicken.

»Wo finde ich Mr. Daniel Roke?« fragte er. Ein Englisch, aus dem selbst mein ungeübtes Ohr die teure britische Public School heraushören konnte; und nach der zurückhaltenden Autorität, die er ausstrahlte, zu urteilen, vielleicht doch kein Vertreter. Ich sah mir den Mann genauer an und kam davon ab, ihm zu sagen, ich sei nicht zu Hause. Trotz des alten Autos konnte es ein Kunde sein.

[6] »Ich bin Daniel Roke«, sagte ich ohne sonderliche Begeisterung.

Ein schnelles, überraschtes Blinzeln.

»Oh«, sagte er ausdruckslos.

Diese Reaktion war ich gewohnt. Ich entsprach nicht der gängigen Vorstellung von dem Besitzer eines erfolgreichen Gestüts. Schon weil ich zu jung aussah, auch wenn ich mich nicht so fühlte; und meine Schwester Belinda fand, die wenigsten Geschäftsleute hätten soviel von einem italienischen Bauernburschen an sich. Nettes Mädchen, meine Schwester. Es war einfach so, daß ich schwarze Haare und braune Augen hatte und schnell braun wurde bei meinem dunklen Teint. An dem Tag hatte ich noch dazu meine ältesten, abgewetztesten Jeans an, ungeputzte Stiefeletten und sonst nichts.

Ich hatte einer Stute, die jedesmal unter Schwierigkeiten abfohlte, Geburtshilfe geleistet; da waren Schlips und Kragen fehl am Platz. Das Ergebnis meiner – und der Stute – Bemühungen war ein schmächtiges Stutfohlen mit einem Stelzfuß vorn links, wenn nicht auch noch vorn rechts, der operiert werden mußte und mich mehr Geld kosten konnte, als das Fohlen einbringen würde.

Mein Besucher schaute auf die sauberen, weiß abgezäunten Koppeln, auf den L-förmigen Stallhof und auf die mit Zedernschindeln gedeckten Abfohlboxen drüben, wo das arme Neugeborene im Stroh lag. Alles sah solide und gepflegt aus, denn ich steckte viel Arbeit hinein, um meine Pferde zu guten Preisen verkaufen zu können.

Der Blick des Besuchers wanderte zu der großen, blaugrünen Lagune links von uns, an deren fernem Ufer die [7] schneebedeckten Berge in steinerner Schönheit steil aufragten. Weiße Wolken hingen wie Federbüsche über den Gipfeln. Für ihn, der das zum ersten Mal sah, ein tolles, großartiges Panorama. Für mich Mauern.

»Wunderschön«, meinte er beifällig. Dann wandte er sich energisch zu mir, sagte aber ein wenig zögernd: »Ich, ehm… hörte in Perlooma, daß Sie einen, ehm… englischen Stallmann haben, der gern, ehm… nach Hause möchte…« Er brach ab und setzte neu an. »Das kommt jetzt vielleicht überraschend, aber wenn er mir geeignet scheint, wäre ich unter Umständen bereit, seine Überfahrt zu bezahlen und ihm drüben eine Stellung zu verschaffen…« Er schwieg wieder.

Pferdepfleger, dachte ich, konnten in England schwerlich so knapp sein, daß man sie in Australien beschaffen mußte.

»Wollen Sie nicht ins Haus kommen?« fragte ich. »Und mir das erklären?«

Ich führte ihn ins Wohnzimmer und hörte seinen erstaunten Ausruf, als er hinter mir eintrat. Alle unsere Besucher waren von dem Raum beeindruckt. Ein großes Fenster auf der gegenüberliegenden Seite rahmte den prächtigsten Teil der Lagune und der Berge ein, holte sie gleichsam näher heran und machte sie für mich damit nur noch erdrückender. Ich setzte mich mit dem Rücken dazu in einen alten Bugholzschaukelstuhl und bot ihm einen bequemen Sessel mit Blick auf das Panorama an.

»Also, Mr.…?« begann ich.

»October«, sagte er leichthin. »Nicht Mister. Earl.«

»October – wie der Monat?« Es war gerade Oktober.

[8] »Wie der Monat«, bestätigte er.

Ich musterte ihn neugierig. Er entsprach nicht meiner Vorstellung von einem Grafen. Er sah aus wie ein Geschäftsmann, ein Generaldirektor auf Urlaub. Dann fiel mir ein, daß eins das andere nicht ausschloß und daß es sicher auch Grafen gab, die in der Wirtschaft tätig waren.

»Ich bin ganz spontan hierhergekommen«, eröffnete er mir, »und ich weiß selbst nicht, ob man so etwas tun soll.« Er schwieg, zog ein goldenes Zigarettenetui hervor und gewann Zeit zum Nachdenken, indem er mit seinem Feuerzeug hantierte. Er lächelte flüchtig. »Vielleicht sollte ich erst einmal sagen, daß ich zwar beruflich in Australien bin – ich habe Geschäftsinteressen in Sydney –, daß mich aber eine private Rundreise durch die großen hiesigen Rennsport- und Zuchtzentren zuletzt hier in die Snowies geführt hat. Bei uns in England bin ich Mitglied der Behörde, die für den Sport zwischen den Flaggen – den Hindernissport – zuständig ist, deshalb interessieren mich Ihre Pferde natürlich sehr… Nun, ich habe also in Perlooma zu Mittag gegessen« – er meinte die nächste Stadt, die rund fünfundzwanzig Kilometer entfernt war –, »und dabei kam ich mit jemand ins Gespräch, der gleich hörte, daß ich Brite bin, und mir erzählte, er kenne sonst nur einen einzigen Engländer hier, und zwar einen Pferdepfleger, der so töricht sei, wieder nach Hause zu wollen.«

»Ja«, meinte ich. »Das ist Simmons.«

»Arthur Simmons«, nickte er. »Wie ist der so?«

»Er versteht sich auf Pferde«, sagte ich. »Aber nach England zieht es ihn nur, wenn er betrunken ist. Und er betrinkt sich nur in Perlooma.«

[9] »Oh«, sagte er. »Dann würde er also nicht fahren, wenn er die Gelegenheit bekäme?«

»Das weiß ich nicht. Kommt drauf an, was Sie von ihm wollen.«

Er zog an seiner Zigarette, klopfte die Asche ab und sah zum Fenster hinaus.

»Vor ein oder zwei Jahren hatten wir wiederholt Ärger mit gedopten Rennpferden«, sagte er plötzlich. »Zuviel Ärger. Es gab Gerichtsverfahren und Freiheitsstrafen, die Stallwachen wurden verstärkt, Speichel- und Urinuntersuchungen in größerem Umfang durchgeführt. Bei vielen Rennen kontrollieren wir jetzt die ersten vier Pferde, um so das Doping zur Leistungssteigerung zu unterbinden, und jeder geschlagene Favorit, der uns verdächtig vorkommt, wird auf leistungsmindernde Mittel untersucht. Seit Inkrafttreten der neuen Bestimmungen sind die Ergebnisse fast aller Untersuchungen negativ gewesen.«

»Das ist ja sehr erfreulich«, meinte ich ohne allzu großes Interesse.

»Nein. Eben nicht. Jemand hat ein Mittel gefunden, das unsere Chemiker nicht nachweisen können.«

»Das kann doch wohl nicht sein«, meinte ich höflich. Mir ging der Nachmittag verloren, und ich hatte noch allerhand zu tun.

Er spürte meine mangelnde Teilnahme. »Es geht um zehn Fälle, alles Sieger. Zehn, bei denen wir uns sicher sind. Die betroffenen Pferde wirken offenbar auffällig stimuliert – ich habe selbst noch keins gesehen –, aber die Untersuchungen ergeben nichts.« Er schwieg. »Doping ist fast immer ein Insiderjob«, sagte er und blickte vom [10] Fenster wieder zu mir. »Das heißt, in der Regel mischen Stallangestellte mit, selbst wenn sie den anderen nur zeigen, welches Pferd in welcher Box steht.« Ich nickte. Schiebereien gab es auch in Australien.

»Wir, das heißt die beiden anderen Leiter der Hindernisbehörde und ich, haben schon verschiedentlich überlegt, ob man nicht auch die Aufklärung der Dopingfälle quasi zur Insidersache machen sollte…«

»Indem man einen Pferdepfleger als Spion einsetzt?« fragte ich.

Er zuckte ein wenig zusammen. »Ihr Australier seid so direkt«, murmelte er. »Aber darauf läuft es hinaus, ja. Wir haben das bisher allerdings nur theoretisch erörtert, weil so ein Vorhaben schwer in die Tat umzusetzen ist und wir offengestanden nicht wußten, wie wir an einen Pferdepfleger herankommen sollten, bei dem man sicher sein kann, daß er, ehm… nicht schon für die Gegenseite arbeitet.«

Ich lächelte. »Und Arthur Simmons erscheint Ihnen unbedenklich?«

»Ja. Und als Engländer würde er sich auch glatt in die Szene einfügen. Diese Idee kam mir, als ich im Restaurant zahlte. Also habe ich nach dem Weg gefragt und bin kurzerhand hierhergefahren, um ihn mir einmal anzusehen.«

»Sie können gern mit ihm reden«, sagte ich und stand auf. »Aber ich glaube nicht, daß was daraus wird.«

»Er würde weit über dem Tarif bezahlt«, erwiderte er, mich mißverstehend.

»Ich wollte damit nicht sagen, daß er sich nicht überreden ließe«, erläuterte ich, »sondern daß er für so etwas nicht genug auf dem Kasten hat.«

[11] Er folgte mir wieder hinaus an die Frühlingssonne. In dieser Höhe war es immer noch kühl, und ich sah ihn frösteln, als er aus dem warmen Haus trat. Abschätzend blickte er auf meinen immer noch nackten Brustkorb.

»Einen Moment, ich hole ihn«, sagte ich, ging um die Ecke und pfiff schrill auf zwei Fingern zu der kleinen Baracke auf der anderen Hofseite hinüber. Jemand steckte fragend den Kopf...