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Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück.

Urs Widmer

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257605785 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[11] Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück

Im Anfang war nicht das Geld. Im Gegenteil, es gab an manchen verborgenen Orten bis in unsere Jahre hinein Gesellschaften, deren Mitglieder sich alles, was sie benötigten, durch Tauschhandel beschafften. Ganz konkret, Topf gegen Huhn, Jacke für Hose, wie seit den Urzeiten. Ihre Welt war so konkret, daß sogar ihre Sprache keine Abstrakta enthielt, keine Begriffe, und jede Abstraktion – die Arbeit, die Angst, das Glück – durch eine Erzählung erläutert werden mußte, so routiniert dann bald, daß diese Mini-Erzählung so etwas wie ein Begriff wurde, wiedererkennbar auf Anhieb.

Man schreibt den frühen Bewohnern Mesopotamiens, den Sumerern, zu, im 4. Jahrtausend die Schrift und das Rechnen erfunden zu haben. Sie machten das Tauschgeschäft, das bis dahin ein immer neues Feilschen gewesen war, zu einer mathematischen Aufgabe. Sie schufen Normen, nach denen der Wert einer Kuh oder einer Sandale benannt werden konnte. Und sie bezogen als erste diese Norm auf ein Metall, auf Kupfer und, vor allem und immer mehr, auf Gold und Silber. Deren sakrale Aura – bei den Sumerern verwalteten die Priester die heiligen Metalle – ist uns bis heute erhalten geblieben, denn bis heute haben der Wert des Goldes und des Silbers nichts mit einem sozusagen natürlichen Wert zu tun, der aus ihrer realen [12] Verwendbarkeit definiert wäre. Münzen allerdings, eigentliches Geld, hatten die Sumerer noch nicht. Viele Kulturen an vielen Orten erfanden viele, zuweilen bizarre Tauschsymbole, Geld eben: Muscheln oder besondere Steine oder sogar Vogelfedern. Es waren dann die Lyder, die die eigentlichen Münzen erfanden, und bald dann auch, so ums Jahr 700 herum, die Griechen. (Homer, hundert Jahre älter, rechnete noch mit Ochsen. Ein Mann galt bei ihm hundert Rinder, eine Frau an einer Stelle zwanzig, an einer andern sogar nur vier. Es war schon wie heute.)

Und natürlich berührten und überlappten sich bald die verschiedenen Münzsysteme, je deutlicher sich die alte Welt globalisierte. Geldwechsler in einem Hafen der Antike zu sein, das war ein Traumjob. Währungen wie Sand am Meer, saftige Courtagen. Und damals begann bereits zu gelten, was die pragmatischen Engländer dann mit einer berühmten Definition des Geldes beschrieben, die just durch ihre tautologische Formulierung besticht: »Money is accepted because it is accepted.«

Alles in allem ist die Geschichte des Geldes eine Illustration der zunehmenden Abstraktionsfähigkeit von uns Menschen. Irgendwann mußten wir die Kuh nicht mehr mit eigenen Augen sehen, wir glaubten, daß wir für die Münze, die wir statt ihrer erhielten, dann schon eine kriegen würden. Noch später reichte, statt der Goldmünze, ein Stück Papier, das uns versicherte, daß das Gold, das es repräsentierte, vorhanden und sicher aufbewahrt sei. Dann existierte auch das Gold nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so viel, wie Papierzettel im Umlauf waren. Heute genügen uns grüne Ziffern auf Bildschirmen und hie und da ein [13] Bankauszug. Der letzte Schritt ist noch nicht getan: Daß wir auch auf diese Hilfen verzichten können und in einem Zustand perfekter Abstraktion jeder jederzeit über eines jeden Besitz unterrichtet ist. Wie einst am ersten Tag der Menschheit, als so wenige Menschen lebten, daß ein jeder alles vom andern wußte. Das Abstrakte hätte mit dem Konkreten gleichgezogen.

Ich hätte gern, zu Beginn meiner Überlegungen, mit einigen knallharten Fakten aufgewartet. Mit handfesten, unwiderruflich recherchierten Zahlen. Ich hätte zum Beispiel gern herausgefunden, wieviel Geld es auf der Welt eigentlich gibt. Alles Geld, alles – die Summe muß, da sie gewiß endlich ist, bezifferbar sein. Aber niemand weiß das, niemand auch nur annähernd. Keine Statistik, kein Ökonom, kein Mensch. Niemand auf dieser Welt hat – vollständig und genau – ein konkretes Wissen, was wie wo abläuft, gar warum. Das Geld bestimmt unsere Existenz wie nichts sonst auf Erden, aber keiner kann sagen, wie der Geldaustausch vor sich geht und was er bewirkt. Es ist wie ein Flug im Nebel, und die Instrumente sind ausgefallen. Die Piloten halten die Maschine in der Luft, mindestens solange der Sprit reicht, aber wie sie sie auf die Erde zurückbringen wollen, wissen sie nicht.

Deshalb, und wohl auch noch aus anderen Gründen, macht einen das Nachdenken über das Geld seltsam hilflos. Man geht den Spuren des Geldes nach, die bis ins hinterletzte Bergtal führen und noch den fernsten Sandstrand verwüsten, man schnüffelt seinem Geruch nach, der die Atemluft bis in alle Winkel füllt, und man wird immer [14] ratloser. Dümmer. Über das Geld nachdenkend, wird man leer, gelähmt oder jäh aggressiv, weil das alles so entsetzlich undurchschaubar ist. Das Geld macht jeden klein, es macht sogar die Größten der Großen klein, weil da immer ein noch größeres Geld bleibt, über das der größte Große nicht verfügt und dessen Wirkung er nicht versteht. Das Geld, das doch wie das Objektive selber aussieht, bewirkt in uns nur allzuoft irrationales Verhalten. Jene Ökonomen, deren Verhalten und Sprache uns signalisieren, daß sie alles im Griff haben, glauben vielleicht selber, daß sie den Markt steuern, weil sie seine Logik verstehen und das Kommende prognostizieren können. Das ist aber nicht so. Es genügt, die Prognosen des vergangenen Jahrs mit den Wirklichkeiten von heute zu vergleichen. Der einzelne Ökonom mag sich und vielleicht sogar uns vernünftig Vorkommen. Der Markt denkt nicht daran, sich vernünftig zu verhalten. Er reguliert sich nicht selber, schon gar nicht nach den Gesetzen irgendeiner ökonomischen Vernunft, und das aus einem ganz simplen Grund. Der simple Grund sind wir. Wir ökonomisch Handelnden, mit unserer Gier, unserer Machtlust, unserer Hoffnung, einen größeren Happen von der Beute als die andern zu kriegen. Immer, auch wenn längst alle Alarmglocken schrillen, findet sich noch einer, der sich, aufheulend vor Gier, doch noch ins Getümmel wirft. Und dadurch auch den letzten Rest von Rationalität im Markt über den Haufen rennt. Der Markt verhält sich irrational, weil die Menschen, die in ihm handeln, sich irrational verhalten. Sie können gar nicht anders handeln. Es gibt keine Objektivität im Umgang mit Geld.

[15] Nämlich, es gibt im Umgang mit Geld längst keine sinnliche Vorstellung mehr für das, was unser Handeln mit Geld bewirkt. In dem Maße, in dem der Tauschprozeß abstrakter wurde, haben wir den Bezug zu den Dingen verloren, die das Geld eigentlich repräsentieren sollte. Das System hat sich verselbständigt und ist für unsere sinnliche Vernunft undurchschaubar geworden. Logisch eigentlich, daß wir, wenn wir mit Geld umgehen, in Verhaltensweisen jenseits der Vernunft zurückfallen. In alte magische Muster. Wir verhalten uns wie Gläubige, einige natürlich auch wie Ungläubige, wie die trunkenen oder aber skeptischen Teilnehmer eines Kults. Wir sind alle, freiwillig-unfreiwillig, Mitglieder einer weltumspannenden Religion, und wir sind gezwungen, zu glauben oder wenigstens hinzunehmen, was uns die Priester verkünden, weil uns die rationale Erkenntnis verwehrt bleibt. Gewiß haben unsere Priester und Päpste in Fragen der Ökonomie einen großem Durchblick als wir Glaubensfußvolk, aber auch Herr Greenspan oder meinetwegen Herr Ospel haben ein Wissen von ihrem Gott, dem Geld, das auf der Auslegung ihrer Bücher – der Bilanzen – und auf dem Deuten von Zeichen gründet. Der wirkliche Papst, jener in Rom, weiß ja von seinem Gott auch nichts sonderlich Genaues und kennt das, was Gott bewirkt, auch nur vom Hörensagen. Er ist, wie die Großen der Finanzwelt, ein Vorbild des Glaubens, nicht des Wissens. Das Abstrakte gleicht dem Göttlichen in seiner Unverstehbarkeit durch unsere Sinne. Unser Geldsystem hat heute eine Abstraktionshöhe erreicht, in dem die Deuter und Propheten wieder die größte Macht haben. Wie, bizarrerweise, bei den Sumerern schon [16] einmal, gleich bei den ersten zögernden Abstraktionsschritten, die man außerhalb der Tempel nicht zu tun wagte. Die Analysten von heute tragen immer noch Kultgewänder, keine Tücher und Turbane mehr, aber doch jene grauen Maßanzüge, ohne die das Zelebrieren des Kults des Gelds noch nicht möglich scheint. Den Vogelflug deuten sie nicht mehr, aber die Kurven, die der Dow Jones und der Dax und der Swiss-Market-Index und der Nasdaq fliegen, gleichen der Flugbahn von Bussarden und Geiern.

Es ist das Einfachste von der Welt, die Katastrophe zu prophezeien. Kassandra ist eine Rolle geworden, die jede und jeder spielen kann. Es liegt auf der Hand, daß das alles nicht gutgehen kann, die Erhitzung der Weltwirtschaft, die ungleiche Verteilung des Besitzes, der kriminelle Umgang mit unserer Natur, die zukunftsblinde Ausbeutung der Rohstoffe, das schier ungebremste Wachstum der Weltbevölkerung. Wer unsern Untergang voraussagt, hat beinah sicher recht.

Wann, wie und warum, da mag man noch ein bißchen drum rechten. Aber hier natürlich fangen die Fragen an, und es gibt beinah so viele Antworten wie Fragende. Es ist schwieriger, die diffuse Gegenwart auszuhalten und halbwegs rational zu betrachten, als auf die apokalyptischen Reiter zu deuten, die den Horizont entlanggaloppieren. Das nämlich tun wir sogar mit einer gewissen Lust. Die Apokalypse ist nicht nur schrecklich, sie ist auch großartig, allein schon, weil das eigene individuelle Sterben im allgemeinen Sterben ertragbarer wird. Es trifft alle, nicht nur mich.

[17] Ist es ein Zufall, daß mir beim Nachdenken über das Geld das Weltende einfällt? Das Geld, selber so neutral, daß es Gutes wie Böses bewirken kann, scheint doch mehr Unheil...