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Das Geschenk

Maria Elisabeth Straub

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257606126 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[19] 2

Der Mamser hat sich zu mir gesetzt. Ich hatte nicht bemerkt, daß er in den Hof gekommen ist, er geht so leise, und ich war in meinem Inneren in einer anderen Zeit. Eine Weile schweigt er, den Kopf an den Stamm der Palme gelegt. Wir schauen beide hinauf in den golden und rosa getigerten Himmel, eine Taube fliegt mit klatschenden Flügeln über uns hinweg. Er wartet, bis der Vogel über den Ställen verschwunden ist, dann sagt er ganz ruhig: »Ich könnte versuchen, ihn gesund zu machen.«

Ich bin mit meinen Gedanken noch bei Simon. »Gesund? Von wem sprichst du?«

»Von deinem Mann. Nur wenn du es willst.«

»Es ist nicht die Zeit für Scherze«, sage ich und muß daran denken, was der Mamser vor ein paar Tagen mit Jehuda gemacht hat. Zufällig schaute ich durchs Fenster, als ich mit dem getrockneten Flachs vom Dach kam. Jehuda hockte auf seinem Bett und umklammerte sein Holzschwert, vor ihm kniete der Mamser, seine rechte Hand auf Jehudas Fuß. Beide hatten sie die Augen geschlossen und sahen aus, als schliefen sie, auf Jehudas Stirn saß eine Fliege.

Man schläft nicht im Sitzen oder Knien, es sei denn, man hat des Tages Last und Hitze ertragen und ist zutiefst [20] erschöpft. Der Mamser aber teilt sich seine Arbeit immer sehr sorgfältig ein, er verschwindet zu Jaakovs Ärger oft für Stunden aus der Werkstatt, und Jehuda mit seinen sechs Jahren und seinem Fuß wird höchstens für kleine Hilfeleistungen herangezogen.

Er liebt seinen großen Bruder mehr als die anderen Geschwister und sogar mehr noch als sein hölzernes Schwert, das er stets in seiner Reichweite haben muß. Ich wollte ihm eine Krücke ersparen und ließ Joses eine Spielzeugwaffe schnitzen, lang genug, daß sie sein linkes Bein entlastet. Mit ihrer Hilfe hinkt er dem Mamser ständig hinterher, wie ein kleines zahmes Tier, das man verletzt im Wald gefunden und mit nach Hause genommen hat. Oder er sitzt stundenlang vorm Haus, ritzt mit einem scharfen Stein Verzierungen in sein Schwert und wartet darauf, daß der Mamser heimkommt.

Wenn der Hölzerne ihn dort entdeckt, verscheucht er ihn, seine Worte klingen dann wie ein kurzes Bellen, er will nicht, daß die Leute den Makel an seinem Sohn sehen. Vor mir hat er nie ein Wort darüber verloren, aber ich vermute, daß diese Unvollkommenheit ihn peinigt wie eine permanente Unreinheit, die der Undurchschaubare ihm aufgezwungen hat, auf dem Umweg über meinen Körper. Nie würde er auf den Gedanken kommen, daß der verkrüppelte Fuß dieses Kindes eine ganz direkte Antwort an mich ist, ich habe die Ehe gebrochen, nicht der Hölzerne. Nie werde ich wissen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten die Männer sich als Mittelpunkt des Geschehens sehen – oder aber so unbeteiligt bleiben wie ein Holzklotz.

»Ich scherze nicht«, sagt der Mamser. »Ich könnte [21] meine Hand auf seinen schmerzenden Leib legen, oder vielleicht auf seine Stirn. Ich müßte ausprobieren, was ihm besser hilft.«

Ich werfe ihm einen Blick zu, doch in der Dämmerung kann ich den Ausdruck seines Gesichts nicht erkennen. Der Mamser hat wohlgebildete Züge, man schaut ihn gerne an, sein Antlitz ist so rund und freundlich, wie es das Gesicht meiner Großmutter war, bevor sie mit herausquellenden Augäpfeln erstickte. Um seine Augen herum hat er schon die ersten Fältchen, er hält sich gern in der Sonne auf. Die leicht abstehenden Ohren hat er von meinem Vater. Und wie dieser ist er auch nicht besonders groß geraten, Jaakov überragt ihn um anderthalb Handspannen, aber er hat eine besonders weiche Haut, trotz der vielen Sonne. Und er riecht gut, er wäscht und ölt sich häufiger als die anderen, manchmal trägt er eine Blüte hinterm Ohr, wenn er von seinen Streifzügen nach Hause kommt, eine Mohnblume oder eine wilde Hyazinthe, hinter seinen Ohren ist Platz genug auch für dickere Stiele.

Die Männer hier im Dorf sagen, er sei eitel. Lillith hat es mir berichtet, sie hatte es von Ortal gehört und diese wiederum von ihrem Mann, in dessen Schädel sich nichts als dürres Stroh befindet. Der Mamser achtet und pflegt nun einmal seinen Körper. Auch das habe ich ihm beigebracht, immer wieder habe ich ihm gesagt, man kann andere Menschen nur dann mögen, wenn man sich selber mag, und sich selber kann man nur mögen, wenn man gut für den Leib und die Seele sorgt. Mit seiner Erziehung habe ich mir mehr Mühe gegeben als mit der meiner anderen Kinder, um ihn stark genug zu machen, sein Schicksal [22] mit Würde zu ertragen. Vielleicht habe ich zuviel des Guten getan.

»Du bist kein Heiler, mein Sohn«, sage ich.

»Vielleicht könnte ich einer werden.«

Er versteht es, seine Stimme klingen zu lassen, wie ich mir das Wasser vorstelle, das über die Kiesel am Ufer des Sees Genezareth spült. Wenn ihn der Zorn überkommt, was leider hin und wieder auch geschieht, durchdringt sie Mauern und Wände.

Ich nicke zur Werkstatt hinüber. »Du hast dich selber entschieden, erinnerst du dich? Du bist das geworden, was er ist, ein Zimmermann, wie deine Brüder Jaakov und Joses. Und auch Jehuda und Elia werden dieses Handwerk erlernen. Du wirst es ihnen beibringen, du bist der Älteste.«

Er schnauft leise durch seine Nase. Als damals diese Sache mit Hadassah geschah und ich ihn aufklären mußte, haben wir ein Abkommen geschlossen, nie wieder über seinen wahren Vater zu sprechen, auch dann nicht, wenn wir miteinander allein wären. Auch habe ich ihm das Versprechen abgenommen, es den Hölzernen niemals spüren zu lassen, daß die Dinge etwas anders liegen.

»Ich bin mir sicher, daß ich mehr kann als Balken glatthobeln und aus dem Erbsenacker Disteln raufen«, meint er. »Wie gesagt, ich könnte es probieren.«

Ich senke meine Stimme. »Versündige dich nicht. Allein der Herr entscheidet über Leben und Sterben.«

Mir liegt eine Frage auf der Zunge, aber ich spreche sie nicht aus, um unsere Unterhaltung nicht in die falsche Richtung zu führen. Seit langem nähre ich den Verdacht, [23] daß mein Erstgeborener sich seine persönliche Wahrheit aus meiner notgeborenen Ausrede zurechtzimmert.

»Du fragst dich, warum ich ihm helfen will, obwohl er mir nie mit Herzlichkeit begegnet ist«, sagt er. »Von meinen Geschwistern hat es niemand zur Kenntnis genommen, aber du und ich, wir beide haben sehr wohl bemerkt, daß er ein großes Mißtrauen gegen uns hegt und uns deshalb zu übersehen pflegt. Wann hat er zum letzten Mal das Wort an dich oder mich gerichtet? Und ich meine damit ein Wort, das über die notwendigen Mitteilungen des Alltags hinausgeht. Ich kann mich nicht daran erinnern. Dennoch gebührt ihm auch meine Dankbarkeit, den Grund dafür hast du mir selbst genannt.«

»Wir wollten nicht mehr darüber sprechen.«

Auch meine Dankbarkeit, hat er gesagt. Will er mir zu verstehen geben, daß ich dem Hölzernen gegenüber zu hartherzig bin?

»Du warst es auch, die mich gelehrt hat, deinen Mann zu ehren, obwohl er mir nicht wirklich wohlwill«, sagt er und zieht etwas aus der Tasche seines Gewandes. »Ich nehme an, daß Furcht sein Herz gefangenhält, so daß es unfähig ist zu lieben. Ich habe mich lange mit dieser Angelegenheit beschäftigt und auch meinen Vater um Rat befragt.«

Seinen Vater? Ehe ich mir schlüssig werde, wen er meint, spricht er schon weiter.

»Im Grunde ist es ganz einfach. Wenn wir unsere Feinde ebenso lieben würden wie uns selbst, nähmen wir ihnen doch jeglichen Wind aus den Segeln.«

Ebensowenig wie ich hat er je ein Boot mit Segeln [24] gesehen, nie waren wir am Meer, doch er benutzt dieses Bild mit Vorliebe, er hat ein starkes Vorstellungsvermögen.

»Glaubst du nicht auch?« fragt er nach. »Daß wir nur dann in Frieden leben können, wenn wir unsere Feinde lieben?«

»Selbstverständlich.«

Allerdings mit Ausnahmen, setze ich im stillen hinzu. Jede Mutter weiß das, denn wie könnten wir jemanden lieben, der unserem Kind ein Übel antun will, es gelingt uns ja schon nicht einmal bei denen, die nur ein schiefes Auge auf unseren Nachwuchs werfen. Aber woher soll der Mamser wissen, wie es in einer Mutter aussieht, so weit reicht selbst sein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen nicht.

Ich höre zu, wie er eine Pistazie zwischen seinen Zähnen zerknackt, er ist ebenso süchtig nach diesen gerösteten Nüssen wie ich. Im letzten Jahr hat er sich einen halben Backenzahn herausgebissen, er ist zu ungeduldig, sie mit den Fingern zu öffnen. Ich habe längst aufgegeben, etwas dazu zu sagen, es sind seine Zähne, nicht meine.

»Gib mir auch eine«, sage ich.

Er reicht mir ein paar Nüsse. »Außerdem sehe ich diesen Versuch als meine Pflicht an, denn ohne ihn säße ich ebensowenig unter dieser Palme wie du.«

Er läßt die Schalen auf den Boden fallen, nie denkt er daran, daß Jehuda und Elia barfuß gehen.

»Bitte keine Schalen im Hof«, sage ich. »Und was diesen Versuch betrifft, so bitte ich dich, nichts Derartiges zu unternehmen. Es wäre Gttslästerung.«

»Wenn du es so siehst?« Er klingt enttäuscht.

»Kein Mensch kann es anders sehen«, sage ich. »Er ist [25] hochbetagt, sein Leben hat sich vollendet. Wir können nur noch versuchen, ihm den Übergang leicht zu machen. Ich wäre schon längst bei ihm hinter den Ställen, wenn ich nicht wüßte, daß er während seiner momentanen Geschäfte meine Anwesenheit nicht ertragen könnte.«

Der Mamser sagt dazu nichts, er zerbeißt noch eine Nuß, behält die Schalen in der Hand.

Er ist ein guter Sohn. Auch in der Schule war er fleißig und aufmerksam, er hat Schreiben und Rechnen und die heiligen Texte zu lesen...