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Winnetous rote Brüder - Klassische Indianergeschichten

René Oth

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2014

ISBN 9783780216205 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Von Gefahren umlauert


 

Siebzehn Jahre waren verflossen. Neuerdings war der Krieg zwischen England und Frankreich um den Besitz eines Landes ausgebrochen, das keinem von ihnen auf die Dauer zu Teil werden sollte. Wah-ta-Wah ruhte längst im Schatten der delawarischen Fichten. Ihren Platz im Herzen Chingachgooks nahm Uncas ein, der tapfere Sohn beider. In Gemeinschaft mit Lederstrumpf, der unter dem Namen „Falkenauge“ weit und breit gefürchtet war, durchstreiften die beiden letzten Krieger des mohikanischen Stammes die Wälder. Sie lebten mit den Delawaren zwar immer noch in Freundschaft, doch waren sie schon längst nicht mehr bei dem Stamm ansässig. Der mohikanische Häuptling mochte sich niemandem unterordnen, deshalb schweifte er lieber frei und ledig mit dem alten, bewährten Freund und seinem Sohn, der zum tapferen Krieger herangewachsen war, in den Wäldern umher.

In tiefem Frieden lag der Wald da. Chingachgook hatte sich mit seinen Freunden am Ufer eines kleinen Bachs gelagert und ein Feuer angezündet, um einen frisch erlegten Hirsch zur Abendmahlzeit zuzubereiten. Plötzlich sprang Uncas unruhig auf. Falkenauge sah ihn mit fragendem Erstaunen an, doch der Jüngling winkte ihm heftig zu. „Ich höre Tritte“, flüsterte er seinem Vater zu. „Es müssen Weiße sein, die auf unseren Lagerplatz zukommen, denn der Boden erzittert wie unter dem Hufschlag von Rossen. Kein Indianer wird den Weg durch die Wildnis zu Pferde zurücklegen.“

Chingachgook pflichtete ihm schweigend bei. In atemloser Spannung erwarteten die drei Männer das Herannahen des Fremden. Immer näher tönten die Huftritte, bis endlich die Gebüsche, die den Lagerplatz umgaben, von einer kräftigen Hand auseinandergeschlagen wurden. Eine glänzende Uniform wurde sichtbar, deren Träger beim Anblick der drei regungslosen Gesellen erschreckt zurückwich.

„Wer da?“, ertönte die Stimme Falkenauges. „Wer wagt sich hierher unter die Tiere und Gefahren der Wildnis?“

„Fremde, die seit Sonnenaufgang den Wald durchstreift haben, ohne Nahrung zu sich zu nehmen“, lautete die Antwort.

„So habt Ihr Euch verirrt?“, fragte Falkenauge weiter. „Wohin wollt Ihr denn?“

„Nach William Henry“, gab der Gefragte zurück.

Falkenauge lachte laut auf. „Alle Wetter“, rief er, „einen schlechteren Weg konntet Ihr da nicht wählen. Geht ihn nur wieder zurück, dann werdet Ihr eher ans Ziel gelangen. Wie war es überhaupt nur möglich, dass Ihr Euch derart verirrtet?“

Der Fremde kehrte, statt eine Antwort zu geben, ins Gebüsch zurück. Gleich darauf erschien er wieder in Begleitung von zwei erschöpften, todmüden Damen, die sich kaum noch auf ihren Pferden halten konnten. Erstaunt blickten die drei Männer auf die zarten Gestalten, denen ihr Gefährte beim Absteigen behilflich war. Falkenauge sorgte dafür, dass den fremden Gästen die erbetene Gastfreundschaft erwiesen wurde, und richtete bequeme Plätze am Feuer her. Als die Ankömmlinge sich niedergelassen hatten, bot er ihnen saftige Stücke von dem Wildbraten an und freute sich über ihren Appetit. Nachdem sie gesättigt waren, wiederholte Falkenauge seine früher an den Offizier gerichtete Frage.

„Ihr seht in diesen beiden Damen die Töchter des Obersten Munro auf Fort William Henry“, erklärte der junge Mann, indem er auf seine Gefährtinnen deutete. „Ich selbst bin der Verlobte der einen dieser Damen. Mein Name ist Heyward. Im königlichen Heer bekleide ich den Rang eines Majors. Wir brachen heute früh von Fort Edward auf, um nach William Henry zu Oberst Munro zu eilen, da der Vater in diesen unsicheren Zeiten seine Töchter in seiner Nähe zu haben wünscht. Ein Indianer, Magua – von seinen Stammesgenossen ‚der schlaue Fuchs‘ genannt – erbot sich, uns einen näheren Weg zu führen, auf dem wir nicht Gefahr liefen, feindlichen Rothäuten zu begegnen. Da er uns schon öfter als Kundschafter gedient hatte, so gingen wir darauf ein. Doch mitten im Waldesdickicht verloren wir unseren Führer auf eine ganz unerklärliche Weise und eilten nun aufs Geratewohl durch die Büsche.“

Falkenauge hatte aufmerksam zugehört. Nachdem Heyward geendet, wandte sich der Jäger zu Chingachgook und sagte zu ihm in delawarischer Sprache: „Wir müssen auf unserer Hut sein. Der schlaue Kundschafter hat den Major mit seinen Schützlingen in das Dickicht gelockt, um ihnen die Skalpe zu rauben oder sie gegen ein teures Lösegeld nach William Henry abzuliefern. Ich bin fest überzeugt, der Schurke ist mit seinen Gefährten dem Major auf den Fersen.“

Chingachgook nickte zustimmend. „Sie haben sich in unsern Schutz begeben“, äußerte er, „wir müssen sie retten.“

„Wohlgesprochen“, rief Falkenauge erfreut, „wir müssen den Plan des Kundschafters zu Schanden machen, selbst wenn unser Zufluchtsort dabei entdeckt würde.“

Nach diesen Worten wandte er sich an den Major und teilte ihm mit, was sie besprochen hatten. Heyward, der weniger für sich als für die beiden Mädchen fürchtete, dankte ihm mit warmen Worten für seine Bereitwilligkeit, ihnen Hilfe zu leisten, und bat ihn, keine Zeit zu verlieren, sondern unverzüglich den Weg anzutreten.

Chingachgook und Uncas nahmen die Pferde am Zügel und schritten längs des Bachs dahin. Die übrigen Mitglieder der kleinen Gesellschaft folgten den Voraneilenden. Bald erweiterte sich der Bach und mündete endlich in einen nicht unbedeutenden Fluss mit starker Strömung. Die Pferde wurden von den Indianern ins Wasser getrieben, während Falkenauge aus einem Versteck ein aus Baumrinde verfertigtes Kanu hervorzog. Die beiden Frauen stiegen zuerst hinein, ihnen folgten Heyward und Uncas, den Abschluss bildeten Falkenauge und Chingachgook. Die Pferde schwammen neben dem leichten Fahrzeug her. Schon nach kurzer Fahrt zogen die Männer auf Falkenauges Befehl die Ruder ein. Ein lautes Brausen wurde hörbar, das von Minute zu Minute an Kraft zunahm. Ängstlich schmiegte sich Alice, Heywards Braut, an ihre Schwester Cora.

„Habt keine Furcht“, rief ihr Falkenauge tröstend zu, „der Wasserfall, dessen Tosen Euch erschreckt, soll uns vielmehr vor den hinterlistigen Feinden retten.“

Ein jäher Aufschrei Alice’ machte Heyward, dessen Blick gedankenvoll auf dem Boden des Kanus ruhte, erbeben. Er sah empor und bemerkte zu seinem Schrecken, dass das Kanu direkt auf einen weit in den Fluss hineinragenden Felsblock zusteuerte. Noch einen Augenblick, und das Fahrzeug musste mit all seinen Insassen verloren sein.

„Nur keine Angst!“, rief Falkenauge, der am Vorderteil des Kanus stand, dem Brautpaar zu. Mit beiden Händen packte er das starke Ruder, und als das Boot nahe genug an den Felsblock herangekommen war, stieß er kräftig die Ruderstange gegen das Gestein. In weitem Bogen umschiffte das leichte Fahrzeug den gefährlichen Vorsprung und steuerte direkt auf das Ufer los. Abermals erhob Falkenauge das Ruder und fuhr damit in das Geäst eines weit überhängenden Baums. Mit einem kräftigen Ruck zog er dann das Boot bis dicht an das Ufer hin und band es an einem Gestrüpp fest, das er vom Kanu aus erreichen konnte. Hurtig sprang er sodann aus dem Fahrzeug und war seinen Gefährten beim Aussteigen behilflich.

„Wir sind gerettet“, sagte Heyward seufzend. „Aber unsere armen Pferde?“

„Beruhigt Euch“, erwiderte Falkenauge, nachdem er eine kurze Ausschau gehalten, „die Tiere haben das jenseitige Ufer gewonnen.“

„Sie werden den Huronen in die Hände fallen“, versetzte Heyward besorgt, „und dadurch unsere Spur verraten.“

„Dem ist vorderhand leider nicht abzuhelfen“, war die kurze Antwort.

Die drei Fremden waren von den mancherlei Ereignissen des Tages erschöpft und ließen sich auf dem Rasen nieder. Inzwischen schritt Falkenauge mit den beiden Mohikanern der dunklen Wand eines Felsens zu, der sich unweit des Ufers erhob. Hinter diesem verschwanden alle drei gleich darauf. Erstaunt blickte ihnen Heyward nach. Schon nach kurzer Zeit vernahm er gedämpfte Männerstimmen, die aus dem Innern der Erde zu kommen schienen, und wenige Sekunden später zeigte sich in der Felswand ein Spalt, durch den aus dem Innern ein Lichtschimmer drang. Gleichzeitig ertönte die Stimme Falkenauges:

„Schlüpft durch die Felsenspalte, aber beeilt euch, denn die Huronen können möglicherweise schon auf unserer Spur sein.“

Heyward kam mit seinen Gefährtinnen der Aufforderung möglichst schnell nach. Hinter ihnen schloss sich der Felsen, Chingachgook und Uncas hatten wieder einen Block vor die Öffnung gerollt.

Die kleine Gesellschaft befand sich in einer geräumigen Höhle, die einen zweiten Ausgang nach dem Wald zu hatte, was das Gefühl der Sicherheit sehr erhöhte.

Falkenauge bedeutete den Fremden, sich zur Ruhe zu legen, damit sie am Morgen zu neuen Anstrengungen gestärkt seien. Gern folgten die ermüdeten Mädchen dieser Weisung. Sie standen vom Feuer auf, das Uncas in der Mitte der Höhle angezündet hatte, und waren eben im Begriff, sich im Hintergrund der Höhle ein Lager zu bereiten, als plötzlich ein markerschütternder Schrei die Luft durchbebte.

„Was ist das?“, flüsterte die erschreckte Alice nach einigen Augenblicken bangen Schweigens.

Doch weder...