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Nscho-tschi und ihre Schwestern - Frauengestalten im Werk Karl Mays

Katharina Maier

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2014

ISBN 9783780216199 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Der Wilde Westen und die Mayden – Eine Geschichte voller Missverständnisse


 

Der Vorhang öffnet sich – beziehungsweise der Buchdeckel. Die unendlichen Weiten der amerikanischen Prärie breiten sich vor uns aus, majestätisch, erhaben und menschenleer.

Das heißt, menschenleer bis auf die zwei Männer, die Seite an Seite auf edlen, schwarzen Pferden durch diese unermessliche Weite ziehen, beide in Leder gekleidet, der eine ein Weißer, der andere ein Indianer, bewaffnet mit Bärentöter, Henrystutzen, Silberbüchse und der Macht ihrer unzerbrechlichen Freundschaft.

Old Shatterhand und Winnetou. Es ist ein ikonisches Bild wahrer Freiheit.

Das heißt, männlicher Freiheit natürlich.

„Männer dürfen bei Karl May das, was sie heute und vor allem hierzulande schon lange nicht mehr dürfen: Männer sein“, schreibt Dieter Mank[1] in seinem Offiziellen Endgültigen Handbuch für den Karl-May-Fan. Zwei Seiten später zeigt eine ausgesprochen witzige Illustration eine Frau, die mit einem Nudelholz in der Hand am Rande der erwähnten savannischen Weiten steht und recht bedröppelt auf ein Verbotsschild blickt, auf dem steht: „Karl May County. Frauen! Bis hierher und nicht weiter!“

Irgendwie bringt es das schon auf den Punkt. Der May’sche Westen ist eine Männerwelt. Und das muss er auch sein. Seine Prärien und Gebirge voller ‚wilder‘, freier Menschen formen eine Gegenwelt zu der drögen Alltagsrealität, in der wir so oft fremdbestimmt und nicht Herren unseres eigenen Schicksals sind – ganz anders als Winnetou und Old Shatterhand.

„Karl Mays Reiseerzählungen sind Träume von einer besseren Welt, einer Welt, die frei ist von gesellschaftlichen Zwängen und materieller Not. In dem Freiraum des Wilden Westens kann sich jeder seinen Anlagen und seinen erworbenen Fähigkeiten gemäß entfalten; es gibt keine Standes- und Klassenunterschiede. […] Schließlich kann sich in dieser Welt jedermann frei bewegen“, führt Martin Lowsky aus.[2] Die Betonung liegt auf jedermann. Unsere beiden heroischen Blutsbrüder verkörpern voll und ganz ein Ideal autonomer Männlichkeit, das Mays Ich-Held Old Shatterhand noch bei seinem letzten Auftritt in Winnetou IV (heute bekannt als Winnetous Erben) einfordert: „Habt ihr begriffen, was es heißt, ein Mann zu werden? Eine Persönlichkeit, die aus eigener Energie zu tun und zu handeln weiß, ohne mit sich handeln zu lassen? Eine Persönlichkeit, die ihre Ziele kennt und nach ihnen strebt, ohne nach irgendeiner Seite abzuweichen?“[3]

Der scheinbar grenzenlose Wilde Westen, der fernab von der Reglementierung der Zivilisation liegt, ist genau der Ort, wo ein Mann sich als eine solche selbstbestimmte Persönlichkeit etablieren kann. Hier hängt sein Erfolg ganz von seinen eigenen Fähigkeiten ab – seiner Körperkraft, seiner Gewandtheit, seinem Scharfsinn, aber auch seiner Charakterstärke und seiner moralischen Integrität. Den Gefahren der Wildnis ausgesetzt, muss sich ein solcher „Westmann“ auf sich selbst verlassen können: Er muss gut schießen, reiten und kämpfen können, sich durch Spurenlesen und geschickte Anschleichmanöver überlebensnotwendiges Wissen über seine Umgebung aneignen, und er muss sich auf die Gepflogenheiten der in diesem ‚wilden Raum‘ ansässigen kriegerischen Indianerstämme einlassen. Wenn er das alles nicht tut, ist er ein toter Mann.

Außerdem hat sich ein echter Westmann an einen bestimmten ‚heroischen‘ Kodex zu halten. Dieses ungeschriebene Gesetz ist eine Mischung aus den Normen der indianischen Kriegerkultur, die auf festen, ‚ursprünglichen‘ Vorstellungen von Ehre und Edelmut fußt, und aus den humanistischen, menschenfreundlichen Werten der weißen Westmannelite. Wer diesen Code bricht, sich unehrenhaft und gewissenlos verhält, wird sowohl von den Indianern als auch von den ‚echten‘ Westmännern verachtet.

Dieses Männlichkeitskonzept, das im fiktionalen Raum des Westens als Wertemaßstab gilt, orientiert sich im Grunde an einem Ideal von Ritterlichkeit und ‚Gesinnungsadel‘, das Ende des 19. Jahrhunderts ‚unzeitgemäß‘ war. In der spät-industriellen Epoche, die von dem Kapital- und Bildungsbürgertum auf der einen und dem Militär auf der anderen Seite dominiert wurde, waren Mays heldenhafte Westmänner ein Anachronismus. „Mays ureigene Befreiungstat“ nennt Hans-Joachim Jürgens das: „In der Figur des Westmanns und vor allem in der Figur Old Shatterhands gelang es ihm, eine Gegenmännlichkeit zur ‚hegemonialen Männlichkeit‘ des Offizierstandes und des gehobenen Bürgertums zu konstruieren.“[4]

Die vorherrschenden Idealvorstellungen von Männlichkeit orientierten sich zu Mays Lebzeiten also entweder am Militär, in dem Ansehen und Einfluss allein vom Titel bzw. Rang abhängig war, oder am Bürgertum, das seinen Aufstieg nicht zuletzt auf Kapital, sprich: Geld, gründete. Nun wendet sich May weder von den traditionellen bürgerlichen Werten noch von der Idee einer Hierarchie ab (im Westen stehen Winnetou und Old Shatterhand wegen ihrer überragenden geistigen, körperlichen und moralischen Eigenschaften grundsätzlich an der Spitze der Rangordnung). Doch gleichzeitig lesen sich seine Romane ein wenig wie Manifeste der individuellen Freiheit.

Der Ich-Erzähler und Ich-Held, der im Wilden Westen unter dem Kriegsnamen „Old Shatterhand“ und im Orient als „Kara Ben Nemsi“ bekannt ist, entscheidet sich schon als junger Mann ganz bewusst für das Dasein eines Weltenbummlers, weil er auf der Suche nach eben dieser Freiheit ist. Zuhause, in Deutschland und im Rahmen einer bürgerlichen Existenz, findet er sie nicht.

Allerdings muss man anmerken, dass Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi seine Bindung zur Zivilisation nie ganz aufgibt. Seine europäische Bildung charakterisiert ihn genauso wie seine ‚heroischen Eigenschaften‘, und im Gegensatz zu vielen anderen May’schen Abenteurern kehrt er immer wieder in die Heimat zurück (wo er Bücher über seine Erlebnisse schreibt). Selbst ein West- und Weltläufer braucht Wurzeln, um eine ‚ganzheitliche‘ Existenz führen zu können.

Doch ein ‚echter Held‘ kann Kara Shatterhand zu Hause in Deutschland nicht sein. Schließlich ist dort selbst das „Ich“, das so viel Wert auf Selbstbestimmung legt, sozialen Zwängen unterworfen. Der amerikanische Westen dagegen ist eine Art ‚Autonomieraum‘, in dem man(n) frei von gesellschaftlichen Beschränkungen agieren kann. Immer wieder wird diese ‚wilde‘ Welt mit der Enge der Zivilisation kontrastiert, unter der wir Leser ohne Probleme unsere eigene Lebenswelt verstehen können. Sie meint aber auch spezifisch die spät-industrialisierte Gesellschaft, in der May lebte – ein soziokulturelles System, das durch seine rigide, imperialistische und patriarchale Struktur gekennzeichnet war. Der freie Westen mit seinen heroisch-kriegerischen Gesetzen, die durch Old Shatterhands eigene christlich-humanistische Werte der Nächstenliebe und Toleranz ergänzt werden, stellt einen radikalen Gegenentwurf zu dieser ‚zivilisatorischen‘ Welt dar.

 

Aber was hat das Ganze mit den Frauen zu tun? Warum scheint diese freiheitliche Gegenwelt hauptsächlich von Männern bewohnt zu werden?

Mays heroisches Westmannstum ist, wie der Begriff schon nahelegt, grundsätzlich maskulin besetzt. Es steht in einem gewissen Gegensatz zu einer ‚verzivilisierten‘ Art von Männlichkeit, aber auch zu einer gewissenlosen, rein gewaltorientierten Männlichkeit (Bösewichte im Wilden Westen können beiden Bereichen entstammen). Weil es aber nichtsdestotrotz maskulin ist, bildet es auch einen Gegenpol zum ‚Weiblichen‘ – oder zumindest zu dem, was May in seinen Texten unter ‚weiblich‘ versteht.

Während die freie, heroische Sphäre des Westens dem kriegerischen Mann gehört, ist die Frau bei May zunächst grundsätzlich der Sphäre der Zivilisation zugeordnet. Selbst Indianerinnen begegnen uns selten in der Wildnis, sondern eher in Zeltdörfern und Pueblos – dem einzigen ‚Heim‘, das der nomadische indianische Krieger kennt.

Frauen stehen im Mayversum für Geborgenheit und Verwurzelung. Als Mütter sind sie Bewahrerinnen der Kultur und geben Weisheit, Wissen und Herzensbildung an die nächste Generation weiter. Anders als die insgesamt negativ besetzte patriarchal-imperialistische Zivilisation, die sich in Gestalten wie Offizieren, Anwälten, Eisenbahnbauern und Polizisten ab und zu in den Westen verirrt und von den dort ansässigen Heroen verachtet oder bemitleidet wird, wird diese ‚hegende und pflegende‘, weibliche Form von Zivilisation durchaus mit Wohlwollen betrachtet. Anständige Westmänner verehren Frauen und vor allem Mütter zutiefst, und der ideale Held Old Shatterhand tut es erst recht. Für ihn sind Frauen unauflöslich mit einer Idee von ‚Heimat‘ assoziiert.

Und da liegt der sprichwörtliche Hund begraben: Denn Heimat und Geborgenheit sind das genaue Gegenteil der männlich-heroischen Autonomie. Sie bedeuten Sesshaftigkeit, Verantwortung, Verpflichtung. Und zumindest in Old Old Shatterhands Fall würde eine Bindung an das Weibliche auch eine permanente Rückkehr in die Zivilisation verlangen, in der er sein ‚heroisches Selbst‘ nicht zur vollen Entfaltung bringen kann. Nein, die weibliche Sphäre von ‚Heim und Herd‘ (im Sinne...