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Heiliger Zorn - Roman

Richard Morgan, Wolfgang Jeschke

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641147150

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

PROLOG

 

 

 

 

 

 

 

 

Wahrscheinlich war der Ort, an dem sie mich aufgeweckt haben, sorgfältig vorbereitet.

Das Gleiche dürfte für das Empfangszimmer gelten, in dem sie ihr Angebot unterbreitet haben. Die Harlan-Familie macht keine halben Sachen, und jeder, der schon einmal von ihnen empfangen worden ist, weiß genau, dass sie gerne Eindruck schinden. Das goldgesprenkelte schwarze Dekor passt zu den Familienwappen an den Wänden, und ein subsonisches akustisches Ambiente vermittelt einem ein so tiefes und eindringliches Gefühl von Erhabenheit, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. In einer Ecke steht ein marsianisches Artefakt, das durch seine Anwesenheit verkünden soll, dass die planetare Wächterschaft von den längst verschwundenen nichtmenschlichen Wohltätern in den festen, zeitgemäßen Griff der Oligarchie der Ersten Familien übergegangen ist. Dann ist da noch die unvermeidliche Holoskulptur, von Konrad Harlan höchstpersönlich, in der triumphalen Pose des »Planetenentdeckers« – eine Hand hoch erhoben, die andere gegen die Glut einer fremden Sonne an die Stirn gelegt. All dieses Zeug eben.

Und hier kommt Takeshi Kovacs, aufgetaucht aus einem Ganzkörpergeltank und in eine neue fleischliche Hülle gesleevt. Prustend stolpert er ins weiche Pastelllicht und lässt sich von unterwürfigen Höflingen in ausgeschnittenen Badekostümen auf die Beine helfen. Man reicht ihm watteweiche Handtücher, um die gröbsten Gelrückstände zu beseitigen, und einen Bademantel aus dem gleichen Material für den kurzen Weg zum nächsten Zimmer. Eine Dusche, ein Spiegel – gewöhn dich lieber gleich an dein neues Gesicht, Soldat – und neue Kleidung, passend zum neuen Sleeve, dann geht es weiter ins Audienzzimmer zum Gespräch mit einem Mitglied der Familie. Natürlich eine Frau. Bei allem, was sie über meinen Hintergrund wussten, würden sie niemals einen Mann einsetzen. Mit zehn Jahren vom Alkoholikervater verlassen, gemeinsam mit zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen und eine lebenslange Geschichte sporadischer psychotischer Reaktionen auf väterliche Autoritätsfiguren. Nein, es ist eine Frau gewesen. Irgendeine mondäne Tante in verantwortlicher Position, eine geheimdienstliche Managerin für die weniger öffentlichen Angelegenheiten der Harlan-Familie. Eine unaufdringliche Schönheit in einem maßgeschneiderten Klonsleeve, wahrscheinlich Anfang vierzig, Standardmaße.

»Willkommen zurück auf Harlans Welt, Kovacs-san. Alles zu Ihrer Zufriedenheit?«

»Ja. Und Sie?«

Selbstgefällige Unverschämtheit. Das Envoy-Training befähigt einen dazu, kleinste Umgebungseindrücke mit einer Geschwindigkeit aufzunehmen und zu verarbeiten, von der normale Menschen zur träumen können. Als der Envoy Takeshi Kovacs sich umsieht, weiß er innerhalb von Sekundenbruchteilen, dass man ihn hier verdammt dringend braucht – genau genommen weiß er es bereits, seit er im Ganzkörpergelbad erwacht ist.

»Ich? Sie können mich Aiura nennen.« Sie spricht Amenglisch, nicht Japanisch, aber die wunderbar konstruierte Art, auf die sie meine Frage falsch auslegt und einer Beleidigung ausweicht, anstatt ihr Heil in der Empörung zu suchen, geht eindeutig auf die kulturellen Wurzeln der Ersten Familien zurück. Die Frau winkt mit einer gleichermaßen eleganten Handbewegung ab. »Aber meine Person ist in diesem Zusammenhang nicht von größerer Bedeutung. Ich denke, Ihnen ist klar, wen ich repräsentiere.«

»Ja, sicher.« Vielleicht ist es das subsonische Ambiente, vielleicht auch nur die nüchterne Erwiderung der Frau auf meine Respektlosigkeit  – jedenfalls dämpft etwas die Arroganz meines Tonfalls. Envoys saugen ihre Umgebung auf, was zum Teil auch ein Kontaminationsprozess ist. Oft erwischt man sich dabei, dass man bei anderen beobachtetes Verhalten nachahmt, besonders, wenn die Envoy-Intuition feststellt, dass es in der gegebenen Situation vorteilhaft ist. »Also bin ich Ihnen zugeteilt.«

Aiura räuspert sich leicht.

»Ja, so ließe es sich ausdrücken.«

»Werde ich allein eingesetzt?« Das ist an und für sich nicht unüblich, aber es macht auch nicht besonders viel Spaß. Teil eines Envoy-Teams zu sein verleiht ein Selbstvertrauen, das man bei der Arbeit mit normalen Menschen niemals empfindet.

»Ja. Das heißt, Sie werden der einzige Envoy im Team sein. Konventionellere Ressourcen stehen Ihnen allerdings in großer Zahl zur Verfügung.«

»Klingt gut.«

»Das wollen wir hoffen.«

»Und was soll ich tun?«

Wieder ein leises Räuspern. »Alles zu seiner Zeit. Darf ich mich nochmals erkundigen, ob Sie mit Ihrem Sleeve zufrieden sind?«

»Sieht ganz danach aus.« Plötzliche Erkenntnis. Der Sleeve ist ausgesprochen geschmeidig und reagiert beeindruckend schnell, selbst an den Ansprüchen einer Person gemessen, die Sonderausführungen des Corps gewohnt ist. Ein schöner Körper, zumindest von innen betrachtet. »Ist das ein neues Nakamura-Modell?«

»Nein.« Haben sich ihre Augen eben leicht nach links oben bewegt? Als Sicherheitsbeauftragte hat sie höchstwahrscheinlich ein Netzhaut-Datendisplay. »Von Harkany Neurosystems, in Außenweltlizenz für Khumalo-Cape kultiviert.«

Normalerweise sind Überraschungen kein Problem für Envoys. Wenn ich die Stirn gerunzelt habe, dann nur auf der Innenseite. »Khumalo? Von denen habe ich noch nie gehört.«

»Nein, wohl kaum.«

»Wie meinen Sie das?«

»Es dürfte reichen, wenn Sie wissen, dass wir Sie mit der allerbesten verfügbaren Biotech ausgestattet haben. Ich glaube nicht, dass ich jemandem mit Ihrem Erfahrungsschatz die Fähigkeiten Ihres Sleeves im Einzelnen darlegen muss. Wenn Sie genauere Informationen wünschen, können Sie über den Datendisplay links oben in Ihrem Sichtfeld auf eine Gebrauchsanweisung zugreifen.« Ein schwaches Lächeln, vielleicht mit einer Spur Unwillen. »Harkany hat diesen Sleeve nicht speziell für den Envoy-Gebrauch gezüchtet, und wir hatten keine Zeit für eine Sonderanfertigung.«

»Sie haben es mit einer unmittelbaren Krisensituation zu tun?«

»Sehr aufmerksam, Kovacs-san. Ja, die Situation ließe sich durchaus als kritisch bezeichnen. Es wäre uns recht, wenn Sie sofort mit der Arbeit begännen.«

»Dafür werde ich schließlich bezahlt.«

»So ist es.« Würde sie jetzt die Frage anschneiden, wer mich bezahlte? Wohl eher nicht. »Wahrscheinlich ist Ihnen bereits klar, dass es sich um einen verdeckten Einsatz handelt. Etwas ganz anderes als die Sache auf Sharya. Obwohl Sie dort gegen Ende der Mission einige Erfahrungen mit Terroristenbekämpfung gemacht haben, wenn ich mich nicht irre.«

»Ja.« Nachdem wir ihre IP-Flotte zerschlagen, ihre Datenübertragungssysteme gestört, ihre Wirtschaft zerlegt und ihren globalen Widerstandswillen im Großen und Ganzen abgetötet hatten, waren immer noch ein paar Hardliner übrig geblieben, die die Botschaft des Protektorats einfach nicht kapieren wollten. Also haben wir sie zur Strecke gebracht. Infiltrieren, anfreunden, unterwandern, verraten. Morde in Seitengassen. »Für eine Weile habe ich Terroristen bekämpft.«

»Gut. Ihre Arbeit hier ist der Sache nach nicht unähnlich.«

»Sie haben Terroristenprobleme? Haben die Quellisten sich mal wieder danebenbenommen?«

Sie winkt ab. Heutzutage nimmt niemand den Quellismus mehr ernst. Das ist schon seit ein paar Jahrhunderten so. Die paar echten Quellisten, die es auf dieser Welt noch gibt, haben ihre revolutionären Prinzipien gegen einträgliche Verbrecherkarrieren eingetauscht. Gleiches Risiko, bessere Bezahlung. Sie bereiten dieser Frau und der Oligarchie, die sie repräsentiert, kein Kopfzerbrechen. Der erste eindeutige Hinweis, dass sich die Dinge hier anders verhalten, als es den Anschein hat.

»Es handelt sich eher um eine Kopfjagd, Kovacs-san. Eine Einzelperson. Nichts Politisches.«

»Und dafür holen Sie sich Envoy-Unterstützung?« Selbst auf der kontrollierten Maske meines Gesichts dürfte sich an diesem Punkt eine Augenbraue heben. Wahrscheinlich wird auch meine Stimme etwas lauter. »Das muss eine bemerkenswerte Einzelperson sein.«

»Das ist er. Genau genommen handelt es sich um einen ehemaligen Envoy. Bevor wir fortfahren, Kovacs-san, muss ich Ihnen etwas erklären, das …«

»Es sieht eher danach aus, als müsste man meinem befehlshabenden Offizier ein paar Sachen erklären. Denn für mich klingt das Ganze verdächtig danach, dass Sie die Zeit des Envoy Corps verschwenden. Solche Aufträge übernehmen wir nicht.«

»… vielleicht ein Schock für Sie ist. Sie … äh … gehen zweifellos davon aus, dass man Sie kurz nach der Sharya-Operation resleevt hat. Vielleicht sogar nur ein paar Tage nach Ihrem Needlecast von dort.«

Ein Achselzucken. Envoy-Gelassenheit. »Tage oder Monate – das ist kein großer Unterschied für m…«

»Zwei Jahrhunderte.«

»Was?«

»Sie haben mich richtig verstanden. Sie waren knapp zweihundert Jahre eingelagert. Real gesehen sind das …«

Die Envoy-Gelassenheit fliegt ganz schnell zum Fenster raus....