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Auf dem 'großen Wasser' und andere Erzählungen - Seemanns-Legende + Komödie der Irrungen + Der Leuchtturmwächter + Jagd nach dem Glück + Waldidyll + Der Organist von Ponkila + Orso + An der Quelle

Henryk Sienkiewicz

 

Verlag e-artnow, 2014

ISBN 9788026822424 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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1,99 EUR


 

Erstes Kapitel. Die Seereise. – Der Sturm.


Das deutsche Segelschiff »Blücher« hatte seine Reise von Hamburg nach New-York angetreten und wiegte sich stolz auf den Wellen des Ozeans.

Es war seit vier Tagen unterwegs, hatte vor zwei Tagen die irländische Küste verlassen und befand sich nun auf offenem Meere. So weit das Auge reichte, sah man vom Verdeck aus nichts weiter, als die graublaue Wasserfläche, welche in langgestreckten Furchen heftig hin und her wogte und in der Entfernung immer dunkler zu werden und mit dem Horizont in Eins zu verschwimmen schien. Hier und da zogen Schaumflocken auf den Wogenkämmen daher, tief unten am Horizont schwebten leichte weiße Wolken, die sich im Wasser spiegelten und da, wo ihr Schein hinfiel, demselben die Farbe der Perlmutter verliehen. In dieser Färbung spiegelte sich der Rumpf des Schiffes mit seinem nach Westen gerichteten Bug so deutlich ab, daß man genau sehen konnte, wie das Vorderteil desselben von den Wellen bald hoch emporgehoben, bald tief hinabgesenkt wurde. Er trennte die ihm entgegenströmenden Fluten, und ihm nach zog, wie eine sich wälzende Riesenschlange eine mächtige weiße Schaummasse. Einige Möven umflatterten das Steuer und stießen, in der Luft sich überschlagend, fröhliche Locktöne aus.

Seit der Abfahrt des »Blücher« aus Hamburg war das Wetter hell, zwar windig, aber nicht stürmisch. Der Wind kam von Osten und nur in einzelnen Stößen; zuweilen herrschte völlige Stille. Das schöne Wetter hatte die Passagiere auf das Verdeck gelockt. Auf dem hinteren Teile desselben sah man die schwarzen Paletots und Hüte der Kajüten-Passagiere erster Klasse, während auf dem Vorderdeck diejenigen des Zwischendecks in buntem Gewimmel sich tummelten. Einige saßen auf Bänken, aus kurzen Pfeifen rauchend, andere hatten sich gelagert, während ein großer Teil der Passagiere an der Brüstung lehnte und hinab auf das Wasser sah. Es befanden sich auch etliche Frauen mit Kindern an Bord, welche Blechgeschirre am Gürtel befestigt trugen und einige junge Männer, die im Auf- und Abschreiten, mühsam das Gleichgewicht haltend, deutsche Lieder sangen.

Ein wenig abseits von der großen Menge saßen ganz allein zwei Menschen, denen man ansehen konnte, wie vereinsamt sie sich vorkamen. Auf den ersten Blick mußte man erkennen, daß die beiden, ein älterer Mann und ein junges Mädchen, niemand anderes sein konnten, als polnische Bauern. Sie waren thatsächlich vereinsamt, denn sie verstanden kein Wort Deutsch.

Der Mann hieß Lorenz Toporek; das Mädchen, Maryscha mit Namen, war seine Tochter. Sie reisten nach Amerika und waren eben zum ersten Male auf das Verdeck gekommen. Auf ihren von der Seekrankheit bleichen Gesichtern malte sich Erstaunen und Furcht zugleich. Sie ließen die erschrockenen Blicke über die Reisegefährten, die Matrosen und das ganze Deck schweifen, betrachteten angstvoll den schwer ächzenden, großen Schornstein und die mächtigen schaumgekrönten Wellen, welche bis zu Maryscha über Bord des Schiffes spritzten. Maryscha hielt sich am Arme des Vaters und klammerte sich bei jeder Schwankung des Schiffes fester an ihn. Beide verharrten schweigend. Endlich unterbrach der Vater das Schweigen indem er rief:

»Maryscha!«

»Was soll es, Vater,« frug das Mädchen.

»Siehst Du?« sagte der Alte.

»Freilich sehe ich,« war die Antwort.

»Und wunderst Du Dich?«

»Freilich wundere ich mich,« sagte Maryscha.

Sie fürchtete sich aber mehr, als sie sich wunderte und der alte Toporek ebenfalls. Glücklicherweise beruhigte sich jetzt der Wellenschlag etwas, der Wind hörte auf zu wehen und die Sonne brach durch die Wolken.

Als die beiden die »geliebte Sonne« erblickten, wurde ihnen leichter um's Herz, denn sie dachten, daß sie hier genau so scheine wie ihn Lipiniez. Alles um sie her war ihnen ja fremd, neu und unbekannt, nur sie nicht, diese Strahlen, die ihnen plötzlich wie ein treuer Freund, wie ein Beschützer erschienen.

Immer mehr glättete sich das Meer, die Segel hingen schlaff herab und vom anderen Ende des Schiffes her ertönte die Signalpfeife des Kapitäns. Sofort eilten die Matrosen herzu, sie zu befestigen. Der Anblick dieser in der Luft schwebenden, über dem Abgrund hängenden Menschen, versetzte den Alten und seine Tochter wiederum in Staunen.

»Unsere Jungen würden das nicht fertig bringen,« sagte Toporek.

»Wenn die es hier fertig gebracht haben, klettert der Jaschu auch hinauf,« entgegnete Maryscha.

»Welcher Jaschu? Der Jaschu Sobek?« frug der Vater.

»Ach woher denn. Ich meine den Jaschu Smolak, den Bereiter,« versetzte die Tochter.

»Er ist ein netter Bursche,« meinte der Alte, »aber schlage ihn Dir aus dem Sinn. Er ist nicht für Dich und Du nicht für ihn. Du fährst nach Amerika, um eine Dame zu werden, er bleibt Bereiter in Lipiniez, da mag nur die ganze Sache auch bleiben wie sie ist.«

»Er hat doch aber auch einen kleinen Hof,« warf Maryscha ein.

»Ja, aber einen in Lipiniez.«

Maryscha antwortete nicht mehr, aber sie dachte: »was Einem bestimmt ist, dem entgeht man nicht.«

Das Schiff zog jetzt ganz ruhig auf der glatten Fläche dahin. Immer neue Gestalten fanden sich auf dem Verdeck ein, Arbeiter, deutsche Bauern, Müßiggänger aus allen Weltteilen. Es entstand ein dichtes Gedränge. Lorenz und seine Tochter drückten sich, um niemandem im Wege zu sein, in eine Ecke, wo sie sich auf einer Rolle Schiffstaue niederließen.

»Müssen wir noch lange auf dem Wasser fahren, Väterchen?« frug Maryscha nach einer Weile.

»Wenn ich das wüßte!« war die Antwort. »Hier kann ja keiner polnisch antworten.«

»Wie werden wir uns da in Amerika verständigen?« fuhr das Mädchen fort zu fragen.

»Hast Du nicht gehört, wie man uns sagte, daß in Amerika eine ganze Menge der Unserigen sich befinden?« entgegnete der Alte.

»Väterchen?«

»Was gibt es?«

»Man muß sich hier über Vieles wundern und staunen, das ist wahr, aber – die Wahrheit zu sagen – in Lipiniez war es besser.«

»Lästere nicht!« rief der Vater ärgerlich.

Nach einer Weile aber setzte er sanfter, wie im Selbstgespräch hinzu:

»Gottes Wille geschehe! ...«

Dem Mädchen füllten sich die Augen mit Thränen. Beide verfielen gleich darauf in tiefes Sinnen. Lorenz Toporek dachte darüber nach, warum er auf der Reise nach Amerika sei, und wie das so gekommen war. Wie war es gekommen? Vor rund einem halben Jahre, im Sommer, hatte man ihm die Kuh gepfändet, weil sie auf fremdem Acker in's Futter gegangen. Der Nachbar, welcher sie gepfändet, verlangte drei Mark Schadenersatz. Toporek hatte nicht zahlen wollen, die Kuh blieb als Pfand. Man war in's Gericht gegangen, die Angelegenheit blieb schweben bis zur Fällung des Urteils, die Kosten wuchsen schnell von Tag zu Tag. Lorenz glaubte sich im Recht; ihn dauerte das viele Geld, er wollte das Recht erzwingen.

Aber es ließ sich nicht zwingen; er verlor den Prozeß. Die Prozeßkosten hatten sein Bargeld aufgezehrt, die Unterhaltungskosten der Kuh mußten durch Pfändung seines Inventars gedeckt werden. Man nahm ihm das Pferd, und da gerade die Ernte begonnen hatte, so konnte er sein Getreide nicht rechtzeitig einbringen, Regengüsse kamen, es war bald ausgewachsen. Toporek sah sich im Elend, noch ehe dasselbe wirklich da war; er verlor die Besinnung um so mehr, da er bisher ein wohlhabender Mann gewesen, und um die Gedanken an kommende Not zu bannen, griff er zu dem gebräuchlichsten Mittel, – er fing an zu trinken.

Im Wirtshause lernte er einen Agenten kennen, welcher unter dem Vorwande Flachskäufe abzuschließen, Menschen zur Auswanderung nach Amerika warb. Er versprach jedem Einzelnen dort so viel Land und Wald, als ganz Lipiniez zusammen nicht umfaßte. Zuerst glaubte Toporek nicht recht an die Erfüllung solcher Versprechungen, als aber der alte Jude, welcher Inhaber der Gastwirtschaft war, beistimmte und erzählte, er wisse von seinem Enkelsohn, daß man in Amerika Land geschenkt bekomme so viel man wolle, da leuchteten die Augen Toporeks begehrlich auf, er verkaufte seine ganze Habe und beschloß nach Amerika auszuwandern. Was sollte er denn noch hier? Die Not kam auf ihn zu, wie ein drohendes Ungewitter. Der Prozeß hatte ihn so viel Geld gekostet, daß er kaum noch einen Knecht würde halten können. Oder sollte er vielleicht betteln gehen hier, wo jedermann ihn kannte? Er ordnete bis Michaeli alle seine Angelegenheiten, dann hatte er den Rest seines Geldes und seine Tochter genommen und – nun war er auf dem Wege nach Amerika.

Die Reise hatte nicht zum besten angefangen. In Hamburg war ein großer Teil seines Geldes daraufgegangen. Er reiste mit seiner Tochter als Zwischendeck-Passagier, die Unendlichkeit des Meeres, das Schaukeln des Schiffes erschreckte ihn. Niemand verstand seine Sprache, er verstand die anderen nicht, man spottete über ihn und Maryscha.

Wenn zur Mittagszeit alles nach der Küche drängte, um sich vom Koch die Rationen verteilen zu lassen, da stieß man sie und drängte sie zurück, so daß oft nichts für sie übrig blieb und sie mit leerem Magen schlafen gehen mußten. Er fühlte sich einsam und verlassen mit seinem Kinde unter den fremden Menschen und nur Gottes Schutz über sich. Vor seiner Tochter verbarg er sorgfältig, was er dachte und fühlte; er frug nur immer, ob sie alle die neuen Dinge, welche sie zu Gesicht bekommen, nicht mit Staunen erfüllten. Er selbst traute niemanden, und zuweilen überfiel ihn eine Angst, daß diese »Heidenvölker«, wie er...