dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

König König

Robert Kraft

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2014

ISBN 9783780216557 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

4,99 EUR


 

1. Kapitel


 

In einer deutschen Residenzstadt, deren Einwohnerzahl sich schon der Million nähert, wurde ein an der Ecke zweier Hauptstraßen stehender Schutzmann von einem alten Herrn nach der Färbergasse gefragt.

Die Frage war sehr höflich gestellt, mit einem ‚Bitte‘ eingeleitet, und die ganze Erscheinung des alten Herrn war eine derartige, dass der Schutzmann gleich eine außergewöhnlich stramme Stellung einnahm.

‚Geheimrat oder mindestens Professor‘, mochte er einschätzen, während er sachgemäße Auskunft gab.

Der alte Herr dankte, lüftete dabei sogar etwas den Hut, setzte seinen Weg in der bezeichneten Richtung fort.

Es ist eine gar alte Stadt. Mitten zwischen den eleganten Hauptstraßen, von den prächtigen Gebäuden begrenzt, liegt der älteste Teil, ein Quartier von baufälligen Häusern. Einst wohnten hier die reichsten Patrizier, aber Geschmack und Lebensansprüche haben sich eben geändert, heute wohnen in diesen Steinbaracken nur noch die Ärmsten der Stadtbevölkerung, deren Beruf den Auszug nach einem billigen Vorort nicht zulässt, kleine Handwerker und dergleichen, die Familie bis zur äußersten Grenze der polizeilichen Erlaubnis zusammengedrängt, um womöglich noch Raum für einige Aftermieter zu bekommen.

Färbergasse Nummer achtzehn – der alte Herr hatte sein Ziel erreicht, ging noch einmal mit drei Schritten hinüber auf das andere Trottoir, auf dem sich zwei Menschen nicht ausweichen konnten, und musterte das vierstöckige Haus, das schmal wie ein Turm war, denn es besaß in jeder Etage nur zwei Frontfenster.

Der alte Herr hatte allen Grund, den grauen Kopf zu schütteln. Hier war es die höchste Zeit, dass endlich die Bauspekulation begann.

Er begab sich wieder hinüber, betrat den Hausflur, prallte mit einer Person zusammen, die in dem Halbdunkel gar nicht zu erkennen war.

„Entschuldigen Sie – wohnt in diesem Hause ein Herr Otto König?“

„Otto König?“, wiederholte fragend eine helle Kinderstimme. „Was soll ’r denn sin?“

„Er ist früher Lehrer gewesen, jetzt privatisiert er wohl.“

„E Lehrer? Nee, das weeß ’ch nich, ich bin selber ganz fremd.“

„Oder“, hielt der Herr den Jungen, der fort wollte, noch einmal zurück, „eine Frau Winter?“

„Die Waschfrau Winter?“

„Jawohl, jawohl, sie ist Waschfrau.“

„Von der komme ich gerade. Die wohnt oben in der fünften Etage untern Dach.“

Der Junge entfloh in die sonnige Freiheit und der alte Herr, der eine Brille trug, suchte sich weiter im Finstern zu orientieren. Zwar gewöhnte sich nach und nach auch sein schwaches Auge an das Halbdunkel, er gewahrte den Anfang einer Treppe, aber gleich nach dem Erklimmen der ersten Holzstufen, die unter seinem Tritt ächzten, verließen ihn die Lichtgötter wieder.

Die Polizei verlangte, dass auf diesen Treppen auch am Tage immer eine Petroleumlampe brannte. Das Gebot wurde nicht eingehalten, wenigstens heute nicht. Der alte Herr ließ das Geländer los und zog eine Streichholzschachtel hervor, brannte ein Zündholz an und so ging es in Etappen weiter empor, immer tastend und leuchtend, das noch glimmende Streichholz, das seinen Dienst für sechs Stufen getan, stets sorgsam austretend. Nur auf jedem Absatz wurde es etwas heller, dann ging es wieder in den Orkus der Nacht hinein.

Himmel, was für bescheidene Leute müssen die damaligen Patrizier doch gewesen sein! Mit den kostbaren Silbersachen und den reichgeschnitzten Möbeln, die einst die Räume füllten, wird heute ein schwunghafter Raritätenhandel getrieben, aber diese Wohnungen selbst... Ob es auf den Treppen schon damals so ge... rochen hat?

Also sogar fünf Etagen hatte dieses Haus. Das war von unten gar nicht zu sehen, wegen des schrägen Dachs. Doch schließlich siegte die Beharrlichkeit des Treppenkraxlers und auch seine Streichhölzer hatten ausgehalten.

Hier oben auf dem Flur der fünften Etage war es sogar ziemlich hell. Auch recht sauber sah es aus. Drei einzelne Türen waren vorhanden. An der mittleren verkündete ein Porzellanschild, dass hier Frau Anna verwitwete Winter den Beruf einer Wäscherin ausübte; die rechte Tür trug keinen Vermerk, an die linke war ein Stück beschnittene Pappe angeheftet, worauf mit Tinte geschrieben stand, und zwar in schönen Schriftzügen: Otto König.

Dieser Tür wandte sich der alte Herr zu – aber als er den gebogenen Finger ausstreckte, um dagegenzupochen, wurde er wie von einer großen Erregung befallen, er musste die Hand wieder zurückziehen.

Ein Räuspern und wieder ein Kopfschütteln, als er die selbstgeschriebene Visitenkarte, die braungestrichene Tür und den ganzen in seiner Sauberkeit so armseligen Flur betrachtete.

„O quae mutatio rerum[1]!“, kam es wie in tiefster Erschütterung aus dem weißbärtigen Munde.

Noch hatte er die Hand nicht zum zweiten Mal ausgestreckt, als sich die mittlere Tür öffnete, und von dem ausströmenden heißen Dunstwall umwoben erschien auf der Schwelle eine alte Frau, in der Hand das Bügeleisen.

„Sie wollen zu Herrn König? Herr König sind nicht zu Hause. Oder Sie wollen doch nicht etwa die freie Schlafstelle... Ach nein, nein, ich bin ja eine dumme Gans, so ein Herr, wie Sie einer sind...“

Und in der nächsten Minute erfuhr der alte Herr, dass gestern die beiden Schlafburschen ausgezogen waren, die hier rechts gewohnt hatten, und dass heute in den ‚Neusten Nachrichten‘ deswegen eine Annonce gestanden, die sie eine Mark fünfzig gekostet hatte, und dieses Geld müsse nun doch erst wieder eingenommen werden, und was für schlechte Zeiten jetzt überhaupt seien, und gerade hier die Miete so unerschwinglich hoch, und gerade hier wolle niemand mehr als eine Mark pro Woche Schlafgeld zahlen, und so weiter.

Geduldig hatte der alte Herr den Hitze- und Redeschwall über sich ergehen lassen.

„Sie wollen also zu Herrn König? Ist es doch seit elf Jahren das erste Mal, dass jemand Herrn König besuchen kommt – na ja, mit Ausnahme – damals, wo er die schöne Stelle angeboten bekam, die der komische Mensch partout nicht annehmen wollte, da wurde er ja auch überlaufen. Herr König sind ausgegangen.“

Sie gebrauchte, wenn sie von diesem ihren linken Schlafburschen sprach, tatsächlich immer den Plural, wenn es nur irgend möglich war.

„Aber er wohnt noch hier bei Ihnen?“

„Ja, aber in seine Stube kommt niemand hinein. Er nimmt den Schlüssel auch immer mit. Der Herr König fegen auch sein Zimmer selber und putzen seine Fenster selber. Freilich sehr selten. Aber Sie können doch nicht hier draußen stehenbleiben – und der Herr König werden wirklich jeden Augenblick wiederkommen – wenn Sie einstweilen bei mir eintreten wollen, ich bin nur eine arme Witwe...“

Und während der nächsten Minuten erfuhr der alte Herr, dass Frau Anna Winter schon seit fünfzehn Jahren Witwe war, alle ihr lebendig gebliebenen Kinder gut und glücklich untergebracht hatte, dass sie aber doch lieber allein sei, dass sie Waschfrau wäre, in herrschaftliche Häuser zum Waschen ging, das sei nun einmal ihr Lebensglück, und wenn sie nichts zu waschen habe, dann plätte sie in ihrer eignen Wohnung.

Ja, das bekam der alte Herr alsbald zu merken. Auf dem Dach brannte die Junisonne und hier in der kleinen Kammer wurde ein großes Herdfeuer unterhalten, und Tür und Fenster durften nicht geöffnet werden, weil sonst gleich der Ofen schrecklich zu rauchen anfing.

Nun, der noch sehr rüstige alte Herr schien gegen Hitze ganz unempfindlich zu sein, und eingesunken in ein vorsintflutliches Sofa sitzend, sorgte er selbst dafür, dass das Mundwerk der plättenden Waschfrau niemals stille stand.

Er wollte wissen, wer dieser Otto König sei, und er verstand zu fragen, ohne dass dies besonders als Neugier auffiel.

Wir geben hier mit weit kürzeren Worten wieder, was er erfuhr.

Otto war in diesem Hause geboren worden, aber vornehm, unten in der ersten Etage, als das einzige Kind einer Hebamme, die dort auch bis zu ihrem vor elf Jahren erfolgten Tode gewohnt hatte.

Er war schon ein merkwürdiges Kind gewesen. Viel, viel zu artig für einen Jungen! Na ja, er war auch von jeher ein schwächliches Geschöpf gewesen, allerdings niemals krank. Prügeln hätte er sich mit Spielgefährten nie können, da hätte er immer den Kürzeren gezogen. So menschenscheu hätte er deshalb freilich nicht zu sein brauchen.

Aber gescheit, gescheit! In der Schule immer der Erste. Der Erste mit noch vielen Sternchen. Der Sohn der nur für reich geltenden Hebamme hatte selbstverständlich studieren müssen. Allerdings nicht auf der Universität. Nicht einmal aufs Gymnasium war Otto gekommen. Nur aufs Seminar. Der Hebamme und ihren Beratern hatte das Seminar eben als die höchste Schule gegolten, derer ein ganz gescheiter Kopf würdig ist, und einen andern Protektor hatte der kleine Otto nicht gefunden.

Nun, ein Seminar ist ja auch schon gut genug und man braucht auch nicht beim Oberlehrer stehenzubleiben.

Auch auf dem Seminar glänzte der verschlossene Jüngling mit seinen Geistesgaben. Deshalb wurde er nach bestandenem Examen freilich noch nicht gleich Schuldirektor, sondern vorläufig erst zweiter Hilfslehrer auf einem kindergesegneten Dorf. Alles hübsch der Reihe nach.

Ein Jahr bekleidete Otto König diesen Posten. Besondere Gelegenheit, seine glänzenden Geistesgaben weiter zu beweisen, wird er ja wohl als zweiter Dorfhilfsschulmeister nicht gehabt haben.

...