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Geschichte des Westens - Vom Kalten Krieg zum Mauerfall

Heinrich August Winkler

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2014

ISBN 9783406669859 , 1259 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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22,99 EUR

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Einleitung


Der dritte Band der «Geschichte des Westens» handelt von der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Untergang des Sowjetimperiums, also von 1945 bis 1991. Viereinhalb Jahrzehnte lang stand die Welt im Zeichen der Bipolarität zwischen Washington und Moskau. Daß der Kalte Krieg, von dem man seit 1947 sprach, in Europa kalt blieb, hatte seine Hauptursache im «Gleichgewicht des Schreckens», der Angst vor der wechselseitigen nuklearen Vernichtung – einer Angst, von der sich die Menschheit seit dem Abwurf der ersten beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 nicht mehr befreien konnte.

Der Gegensatz zwischen West und Ost, der die Zeit von 1945 bis 1991 prägte, war nicht immer gleich intensiv. Einer Phase der Konfrontationen, die spätestens mit der Berliner Blockade 1948/49 begann und mit der Beilegung der kubanischen Raketenkrise im Herbst 1962 endete, folgte eine Ära der Entspannung, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre von neuen Konfrontationen, beginnend mit der Stationierung modernisierter, auf Mitteleuropa gerichteter sowjetischer Mittelstreckenraketen, abgelöst wurde. Es bedurfte einer «Revolution von oben», des radikalen Regimewandels in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow, um den Ost-West-Konflikt zu überwinden und jene neue Weltordnung zu ermöglichen, von der der amerikanische Präsident George H. W. Bush erstmals im September 1990 sprach.[1]

Nie zuvor hatte der transatlantische Westen so sehr eine Einheit gebildet wie in den viereinhalb Jahrzehnten zwischen 1945 und 1990. Wem innerhalb des Westens die Rolle der Hegemonialmacht zufiel, war nie zweifelhaft. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren eine der beiden Supermächte und, als der Kalte Krieg zu Ende ging, die Supermacht schlechthin. Von den größeren Staaten Europas war keiner den USA ebenbürtig. Deutschland, das den Zweiten Weltkrieg entfesselt hatte, war besiegt und wurde von den Siegermächten geteilt. Großbritannien war eine Siegermacht, aber durch den Krieg materiell so geschwächt, dass es 1945 fraglich war, wie lange es sein überseeisches Kolonialreich noch würde behaupten können. Erst recht galt das für Frankreich, das unter dem Trauma der Niederlage von 1940 litt und sich eben deshalb lange Zeit verzweifelt dagegen wehrte, ein vermeintliches Attribut seines Großmachtstatus wie den Besitz von Kolonien aufzugeben. Der Prozeß der Dekolonialisierung, der mit der Entlassung Indiens und Pakistans in die Unabhängigkeit im Jahr 1947 begann und sich bis in die siebziger Jahre hinzog, war für alle europäischen Kolonialmächte schmerzhaft – am schmerzlichsten aber wohl für ein kleines Land wie Portugal, das sich denn auch erst nach einer Revolution im Mutterland von den afrikanischen Überresten seiner früheren Größe verabschiedete.

Spätestens 1945 wurde das 20. Jahrhundert zum «amerikanischen Jahrhundert» und eben dadurch auch zum «transatlantischen Jahrhundert». Die Selbstzerstörung Europas in zwei Weltkriegen verhalf den USA zu dem Rang, der ihnen mit dem Sieg über die Achsenmächte zugewachsen war. Die Vereinigten Staaten waren die unbestrittene Führungsmacht des Atlantischen Bündnisses und der einzige vollsouveräne Nationalstaat des Westens. Die europäischen Nationalstaaten konnten ihre relative Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit, so paradox es klingt, nur durch supranationale Integration sichern. Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, der späteren Europäischen Union, verwandelten sie sich, indem sie Teile ihrer Hoheitsrechte gemeinsam ausübten oder auf übernationale Institutionen übertrugen, in Nationalstaaten eines neuen, des postklassischen Typs. Der Nationalismus hatte in Europa, anders als in der Dritten Welt, seine Integrationskraft und damit seine historische Legitimation eingebüßt. Die nationalen Loyalitäten wurden zunehmend durch transnationale Bindungen wie den Gegensatz zum Kommunismus sowjetischer Prägung und die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der westlichen Demokratien überlagert. Auch und gerade auf ideologischem Gebiet war das «American Century», wie der Historiker Akira Iriye feststellt, ein transnationales Jahrhundert.[2]

Nicht minder transnational war der lang anhaltende Boom, der aus den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit bislang ungekannter Prosperität und des Massenkonsums machte. Die Weltwährungsordnung, die im Juli 1944, rund ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, von Vertretern von 44 Regierungen der Anti-Hitler-Koalition in Bretton Woods im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire vereinbart wurde, schuf den institutionellen Rahmen der internationalen monetären Zusammenarbeit der Nachkriegszeit. Das System von Bretton Woods mit seinen drei Säulen, dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen, dem GATT, beruhte auf einem gemischten Gold-Dollar-Standard mit dem US-Dollar als Reservewährung und war wesentlich weniger starr als der frühere reine Goldstandard oder der zwischen 1925 und 1931 praktizierte Gold-Devisen-Standard. Bretton Woods gab der Globalisierung der Weltwirtschaft kräftigen Auftrieb. Freilich handelte es sich dabei um eine fragmentarische Globalisierung: Die Sowjetunion und die von ihr abhängigen Staaten weigerten sich, dem von den USA dominierten Weltwährungssystem beizutreten.[3]

Als die Vereinigten Staaten im März 1973 unter dem Eindruck wachsender Defizite in der Zahlungsbilanz den Dollarkurs freigaben, bedeutete dies das Ende des Weltwährungssystems von Bretton Woods. Sechs Monate später, im Oktober 1973, zog die Organisation Erdölproduzierender Staaten, die OPEC, durch eine massive Erhöhung der Rohölpreise einen Schlußstrich unter die knapp drei Jahrzehnte, in denen niedrige Ölpreise im Wortsinn das Schmiermittel der Weltkonjunktur gewesen waren. Das Ende der exorbitanten Wachstumsraten aber war nicht das Ende der materiellen Erwartungen, die sich in der langen Ära der Nachkriegsprosperität herausgebildet hatten. Um ihren gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten, finanzierten viele private Haushalte ihren Konsum mehr als bisher über Kredite; viele Regierungen erhöhten die Staatsschulden, um der Bevölkerung allzu harte Einschnitte zu ersparen und die sozialen Errungenschaften der «fetten Jahre» zu erhalten. Der Weg in den «Schuldenstaat» begann, nicht nur in der westlichen Welt, in den siebziger Jahren.

Der zweite Ölpreisschock, ausgelöst durch die Iranische Revolution von 1979, traf die Staaten des Ostblocks bei weitem härter als die Industriestaaten des Westens, die sich nach 1973 technologisch modernisiert und damit die Energiekosten gesenkt hatten. Unter den Ursachen des Zerfalls des Sowjetimperiums war das immer deutlichere technologische, ökonomische und damit letztlich auch militärische Zurückbleiben hinter dem Westen eine der wichtigsten. Dennoch wäre es eine grobe Vereinfachung, die innere Krise der Staaten des «sozialistischen Lagers» in vulgärmarxistischer Manier allein aus der Verschlechterung ihrer materiellen Leistungskraft abzuleiten und die Epochenwende der Jahre 1989 bis 1991 zu einem bloßen Epiphänomen der Krise der Weltwirtschaft seit den siebziger Jahren herabzustufen.

Was die kommunistischen Systeme in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa in den achtziger Jahren zusätzlich schwächte, war der Auftrieb, den die Dissidenten und Bürgerrechtsgruppen des Ostblocks durch die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki von 1975 erhielten – jenes Dokument, in dem die Sowjetunion und ihre Verbündeten sich im Austausch gegen die westliche Anerkennung der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen zur Respektierung wesentlicher Grundrechte wie der Gedanken-, der Religions-, der Meinungs- und Überzeugungsfreiheit verpflichten mußten. Von den Autoren der Prager «Charta 77» bis zu den Aktivisten der unabhängigen polnischen Gewerkschaft «Solidarność» konnten sich fortan alle, die den «real existierenden Sozialismus» in Frage stellten, auf diese Urkunde berufen.

Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa markiert eine tiefe historische Zäsur. Eric Hobsbawm lässt mit dem Untergang der Sowjetunion 1991 das «Zeitalter des Extreme» und mit ihm das «kurze 20. Jahrhundert» enden, das 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges begonnen hatte.[4] Die Zeit der totalitären Systeme und Ideologien war nicht weltweit, aber auf dem alten Kontinent abgelaufen und mit ihr das Phänomen, das dem 20. Jahrhundert mehr als jedes andere seinen Stempel aufgedrückt hatte. Der ostmitteleuropäische Teil des alten Westens, der am Ende des Zweiten Weltkriegs der sowjetischen Interessensphäre und damit dem späteren Ostblock zugeschlagen worden war, konnte jetzt selbst über seine politische und gesellschaftliche Entwicklung entscheiden und sich auf eine Zukunft innerhalb der Europäischen Union und des Atlantischen Bündnisses vorbereiten. Das geteilte Deutschland schloß sich im Einvernehmen mit den einstigen «Großen Vier» und den europäischen Nachbarn wieder zu einem Staat zusammen. Die Vereinigten Staaten wurden, wenn auch nur...