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Magisterium - Der Weg ins Labyrinth - Teil 1

Cassandra Clare, Holly Black

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN 9783732500239 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

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ERSTES KAPITEL

Callum Hunt war in seinem kleinen Wohnort in North Carolina stadtbekannt, was in diesem Fall nichts Gutes verhieß. Er war berüchtigt dafür, Vertretungslehrer mit ironischen Kommentaren rauszuekeln, und Schulleiter, Aufsichtsschüler sowie die Damen von der Essensausgabe gleichermaßen zu ärgern. Die Vertrauenslehrer, die ihm anfangs zur Seite stehen wollten (schließlich war die Mutter des armen Jungen früh verstorben), hofften irgendwann, dass er nie wieder vor ihrer Tür auftauchen würde. Gab es etwas Peinlicheres, als wenn man einem wütenden Zwölfjährigen nichts entgegenzusetzen hatte?

Calls mürrische Miene, sein unordentliches schwarzes Haar und die misstrauischen grauen Augen waren auch seinen Nachbarn wohlbekannt. Er fuhr gerne Skateboard, obwohl es eine Weile gedauert hatte, bis er es rausgehabt hatte; von seinen ersten Versuchen zeugten noch Dellen in einigen Autos. Oft traf man ihn vor dem Schaufenster des Comic-Shops, der Spielhalle und des Videospielgeschäfts an. Sogar der Bürgermeister kannte ihn. Es wäre auch schwer gewesen ihn zu vergessen, nachdem er sich während der Parade am 1. Mai an dem Verkäufer des Tiergeschäfts vorbeigedrückt und einen Nacktmull mitgenommen hatte, der eigentlich an eine Boa constrictor verfüttert werden sollte. Das blinde, runzlige Tier hatte ihm leidgetan, weil es sich nicht wehren konnte – gerechterweise sollte erwähnt werden, dass er auch die weißen Mäuse befreit hatte, die als Nächste auf der Speisekarte der Schlange gelandet wären.

Call hätte nie gedacht, dass die Mäuse zwischen den Beinen der Paradeteilnehmer Amok laufen würden, doch Mäuse sind nicht sonderlich schlau. Er hätte allerdings auch nicht erwartet, dass die Zuschauer vor den Mäusen flüchten würden, aber auch die Menschen sind nicht die Schlauesten, wie sein Vater ihm später erklärt hatte. Es war nicht Calls Schuld, dass die Parade danach vorbei war, doch alle – vor allem der Bürgermeister – taten so. Und dann hatte Calls Vater ihn auch noch gezwungen, den Nacktmull zurückzugeben.

Calls Vater hielt nichts vom Stehlen.

Seiner Meinung nach war es fast so schlimm wie Magie.

Callum zappelte auf dem harten Stuhl vor dem Sekretariat und fragte sich, ob er am nächsten Tag noch zur Schule gehen und ob ihn andernfalls überhaupt jemand vermissen würde. Unaufhörlich ging er die verschiedenen Methoden durch, mit deren Hilfe er durch die Magierprüfung rasseln wollte – am besten so spektakulär wie möglich. Sein Vater hatte seine Ratschläge gebetsmühlenartig wiederholt: Denk an gar nichts. Oder konzentrier dich auf das Gegenteil dessen, was diese Ungeheuer von dir verlangen. Oder konzentrier dich auf den Test eines anderen Kandidaten. Call rieb sein Schienbein, das schon den ganzen Morgen krampfte und wehtat; so war das manchmal. Je größer er wurde, umso mehr tat es weh. Immerhin würde es ihm deswegen leichtfallen, den körperlichen Teil der Prüfung zu verhauen – wie immer der aussah.

Weiter vorne im Gang hörte er die anderen Schüler, deren Turnschuhe im Sportunterricht auf dem polierten Holzboden quietschten und die sich lauthals gegenseitig herausforderten. Call wünschte, er dürfte nur ein einziges Mal mitspielen. Auch wenn er nicht so schnell war wie die anderen und schlechter das Gleichgewicht halten konnte, hatte er doch Energie für zwei. Wegen seines Beins hatte er ein Attest für den Sportunterricht, und schon in der Grundschule war sofort ein Lehrer herbeigeeilt, sobald er in der Pause rennen, springen oder klettern wollte. Ständig musste er sich anhören, dass er langsamer machen musste, weil er sich sonst wehtat. Wenn er nicht auf sie hörte, würden sie ihn reinschicken.

Als gäbe es nichts Schlimmeres als ein paar blaue Flecke. Als könnte es seinem Bein noch schlechter gehen.

Seufzend starrte Call durch die Glastüren der Schule auf den Parkplatz, wo sein Vater gleich vorfahren würde. Sein Auto konnte man nicht verfehlen – er fuhr einen silbern glänzenden Rolls Royce Phantom von 1937. So etwas gab es in der ganzen Stadt nur einmal. Calls Vater betrieb das Antiquitätengeschäft Now and Again auf der Main Street und konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als kaputte Dinge anzunehmen und ihnen neuen Glanz zu verleihen. Um den Rolls am Laufen zu halten, musste er fast jedes Wochenende daran herumfrickeln. Außerdem bat er Call ständig, den Wagen zu waschen und mit einem sonderbaren alten Autowachs zu polieren, damit er nicht rostete.

Der Rolls Royce hielt sich prächtig – ganz im Gegensatz zu Call. Er betrachtete seine Sneakers, mit denen er auf den Fußboden tippte. Wenn er wie heute Jeans trug, fiel es nicht auf, dass mit seinem Bein etwas nicht stimmte, doch sobald er aufstand und den ersten Schritt machte, war es nicht mehr zu übersehen. Seit der Babyzeit hatte er eine Operation nach der anderen und tausend Physiotherapien über sich ergehen lassen, die alle nicht geholfen hatten. Er humpelte immer noch leicht, als balancierte er auf einem Schiff, das auf dem Meer schaukelte.

Als er jünger war, hatte er oft Pirat gespielt oder sich als tapferen Seemann mit Holzbein ausgegeben, der nach einem langen Kanonengefecht mit dem sinkenden Schiff unterging. Call hatte Piraten und Ninjas gespielt, Cowboys und Alien-Forscher.

Doch Magie war in keinem seiner Spiele vorgekommen.

Das nicht, niemals.

Jetzt hörte er einen brummenden Motor und stand auf; doch dann setzte er sich ärgerlich wieder hin. Es war doch nicht sein Dad, nur ein blöder roter Toyota. Kurz darauf eilte Kylie Myles, die auch in seiner Stufe war, in Begleitung einer Lehrerin an ihm vorbei.

»Viel Glück bei deinem Ballett-Casting«, sagte Ms Kemal zu Kylie und machte sich wieder auf den Weg in den Klassenraum. »Danke«, erwiderte Kylie und warf Call einen komischen, irgendwie abschätzigen Blick zu. Normalerweise würdigte Kylie ihn keines Blickes. Das war eines ihrer Hauptmerkmale, wie die glänzenden blonden Haare und ihr Rucksack mit dem Einhorn drauf. Wenn sie sich im Flur begegneten, sah sie an ihm vorbei, als wäre er unsichtbar.

Call kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie ihm auch noch halbherzig zuwinkte, bevor sie zu dem Toyota ging. Vorne saßen ihre Eltern und wirkten nervös.

Fuhr sie etwa auch dorthin? Unmöglich, dass sie auch an der Eisernen Prüfung teilnahm. Und wenn doch …

Er hievte sich aus dem Sessel. Wenn sie das wirklich vorhatte, musste sie gewarnt werden.

Viele Kinder glauben, es wäre etwas Besonderes, hatte Calls Vater mit unverkennbarem Widerwillen gesagt. Von ihren Eltern ganz zu schweigen. Das gilt vor allem für Familien, die seit Generationen magische Fähigkeiten haben. In anderen Familien, in denen die Magie fast ausgestorben ist, setzt man darauf, dass ein magisches Kind sie wieder an die Macht bringen kann. Aber die Kinder ohne magische Verwandte können einem am meisten leidtun. Die denken, es geht dort zu wie im Film.

Doch es ist überhaupt nicht wie im Film.

In diesem Augenblick fuhr Calls Dad mit quietschenden Bremsen vor der Schule vor, sodass Call Kylie nicht mehr sehen konnte. Er humpelte durchs Schultor nach draußen, doch als er endlich an dem Rolls Royce angekommen war, bog der Toyota der Myles bereits um die Ecke und war bald außer Sicht.

Aus der Warnung wurde offenbar nichts.

»Call.« Sein Vater war ausgestiegen und lehnte an der Beifahrertür. Sein schwarzer Schopf – das dichte schwarze Haar hatten sie gemeinsam – wurde an den Schläfen grau, und trotz der Hitze trug er ein Tweedjackett mit Lederflicken an den Ellbogen. Call fand, sein Vater sah oft wie Sherlock Holmes in den alten BBC-Filmen aus; hin und wieder war jemand richtiggehend überrascht, dass er keinen englischen Akzent hatte. »Bist du so weit?«

Call zuckte die Achseln. Wie sollte man für etwas bereit sein, das einem angeblich das ganze Leben versauen konnte, wenn man es falsch anging? Oder richtig, in seinem Fall. »Kann man sagen.«

Sein Vater hielt ihm die Tür auf. »Gut. Steig ein.«

Innen war der Rolls ebenso makellos wie außen. Call war überrascht, als er seine alten Krücken auf der Rückbank entdeckte. Er hatte sie nicht mehr benutzt, seit er vor Jahren von einem Klettergerüst gefallen war und sich den Fuß verstaucht hatte – an seinem guten Bein. Nachdem sein Vater eingestiegen war und den Motor angelassen hatte, fragte er: »Wieso hast du die mitgenommen?«

»Je schlimmer du aussiehst, umso größer ist die Chance, dass sie dich ablehnen«, sagte sein Vater mit grimmiger Miene und warf einen Blick nach hinten, als er vom Parkplatz fuhr.

»Das grenzt an Pfuschen«, entgegnete Call.

»Call, man pfuscht, um zu gewinnen. Man kann nicht pfuschen, um zu verlieren.«

Call verdrehte die Augen und ließ seinen Vater glauben, was er wollte. Er würde nur im äußersten Notfall auf Krücken gehen, doch er hatte keine Lust, sich zu streiten. Jedenfalls nicht heute, nachdem sein Vater bereits beim Frühstück den Toast hatte anbrennen lassen und Call angeherrscht hatte, als er sich beschwerte, dass er zur Schule gehen musste, obwohl er gleich wieder abgeholt werden würde. Das sah seinem Vater nicht ähnlich.

Jetzt beugte er sich über das Lenkrad und umklammerte mit der Rechten die Gangschaltung, um mit viel zu viel Wucht in einen anderen Gang zu schalten.

Call betrachtete die Bäume, an denen sie vorbeifuhren, mit ihren Blättern, die sich gerade gelb färbten, und rief sich ins Gedächtnis, was er über das Magisterium wusste. Als sein Vater erstmals über die Lehrer und die Art, wie sie ihre Lehrlinge aussuchten, gesprochen hatte, musste...