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Das Marsprojekt (5). Die schlafenden Hüter - Sci-Fi-Action auf dem Mars

Andreas Eschbach

 

Verlag Arena Verlag, 2012

ISBN 9783401801537 , 364 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

1. Ein Senator auf Abwegen

Die Straßenlaternen flackerten trübe und überall lag Müll. So was zeigten sie in den offiziellen Berichten nie. Auch auf den unaussprechlichen Gestank, der in der Luft lag, war er nicht vorbereitet gewesen.

Immerhin würde niemand auf die Idee kommen, ein Senator könnte sich in so eine Gegend verirren, noch dazu zu Fuß.

Zumindest hoffte Hjalmar Bjornstadt, Senator für Nordeuropa und Vorsitzender des Ausschusses für Raumfahrtangelegenheiten, dies inständig. Er trug seine älteste Jacke und dazu eine verblichene Jeans, die er noch irgendwo im hintersten Winkel seines Kleiderschranks gefunden hatte. Inzwischen kam er sich selber lächerlich vor, wie er sich immer wieder verstohlen nach allen Seiten umsah. Bisher hatte er keinen Verfolger entdecken können. Das musste allerdings nichts heißen. Er war nicht gerade das, was man erfahren in Spionageangelegenheiten nennen konnte.

Endlich, die Hausnummer, die er gesucht hatte. Er ging die Treppenstufen hinunter und zuckte erschrocken zurück. Er war auf etwas Weiches, Nachgiebiges getreten. Es war schon zu dunkel, um zu erkennen, um was es sich handelte, und er wollte es auch gar nicht so genau wissen. Mit Gänsehaut am ganzen Körper klopfte er an die Tür: Dreimal schnell, Pause, einmal, Pause, zweimal schnell – so, wie sie es vereinbart hatten.

Es kam ihm endlos vor, bis geöffnet wurde. Vor ihm stand ein etwa siebzig Jahre alter Mann mit rot-grau meliertem Haar und buschigen, absurd aussehenden Koteletten. Er lächelte beim Anblick seines Besuchers. »Ah, guten Abend, Sen–«

»Keine Namen, wenn ich bitten darf«, fiel ihm Bjornstadt ins Wort.

»Schon gut«, meinte der Mann und trat beiseite, um den Senator einzulassen. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Hier sind Sie sicher.« Er schloss die Tür. »Es ist Ihnen auch niemand gefolgt, seit Sie die U-Bahn an der Haltestelle Kenyatta verlassen haben. Niemand außer einem jungen Mann meines Vertrauens, der auf Sie aufgepasst hat.«

Bjornstadt holte überrascht Luft. Und er hatte niemanden bemerkt!

»Wie schön«, meinte er schließlich, nachdem er den Schock überwunden hatte. »Können wir gleich anfangen?«

»Empfiehlt sich. Kommen Sie.«

Bjornstadt folgte dem Mann durch einen schmalen Flur in den hinteren Teil des Gebäudes, vorbei an einer unaufgeräumten Küche, die nach altem Fett und Gewürzen roch, und einem Badezimmer, das keine Tür besaß, nur einen Perlenvorhang.

»Eine anonyme Videomail, das war es, was Sie wollen, nicht wahr?«, vergewisserte sich der Mann, während er an einem Schlüsselbund, den er aus einer Tasche seiner unförmigen Hose gezogen hatte, eine ganz bestimmte Codekarte suchte.

»Genau«, sagte Bjornstadt.

»Sie wissen, dass die Zustellung sich ziemlich hinziehen kann?« Der Mann beäugte eine grüne Karte, schüttelte den Kopf und suchte weiter. »Jede Mail wird in kleine Datenpakete zerlegt, ehe sie auf die Reise geht, und wenn so ein Datenpaket keinen Abrechnungscode hat, kommt es immer ganz zuletzt an die Reihe, schlängelt sich sozusagen in die Lücken der Datenströme …«

Der Senator furchte unwillig die Stirn. »Ich weiß, wie das Mailsystem funktioniert. Und es gibt gute Gründe, warum es eine Videomail sein muss.«

»Video heißt, dass Sie ziemlich viele Datenpakete auf die Reise schicken. So was kann lange unterwegs sein.« Er hatte die richtige Schlüsselkarte gefunden, schob sie in den Leseschlitz der Tür am Ende des Flurs. »Das muss Ihnen klar sein.«

»Das ist es, keine Sorge«, sagte Bjornstadt. »Umso dringender, dass wir endlich anfangen.«

Der Name des Mannes mit den einst grellroten Haaren und dem altmodischen Backenbart war Ian Noone – zumindest nannte er sich so und unter diesem Namen war er unter Informationstechnikern eine Berühmtheit. Seinen wirklichen Namen hatte auch Bjornstadt nicht herausfinden können. Er hatte Noone vor vielen Jahren mit einem Gutachten vor Gericht zu einem Freispruch verholfen. Da war Bjornstadt noch Professor für internationales Recht an der Universität von Quebec gewesen. Ohne besondere Sympathie für den Mann zu hegen, hatte er einfach nur die Gesetzeslage dargelegt und Noone so eine Verurteilung erspart. Nach dem Prozess hatte Noone ihm verschwörerisch zugeraunt, er, Bjornstadt, habe nun etwas gut bei ihm.

Bjornstadt hatte nicht im Traum daran gedacht, jemals im Leben auf dieses Angebot zurückzukommen.

Bis jetzt.

Die Tür, die Noone aufschloss, führte in eine … Ja, was? Eine Garage? Einen Raum jedenfalls, dessen Wände voller Regale standen, die bis zur Decke reichten und bis in die letzten Winkel vollgestopft waren mit Werkzeug, Computern aller Bauarten, Kisten, Kästen, Kartons und unidentifizierbaren Maschinen. In der Mitte des Raumes stand eine Art Telefonkabine, nur größer. In ihr befand sich ein Tisch mit einer altertümlichen Tastatur, einer Kamera und einem Bildschirm.

»Bitte sehr«, sagte der alte Mann. »Hier sind Sie ungestört. Unabhörbar nach IDPA-Standard Stufe drei, mit integrierter Abschirmung gemäß –«

»Ersparen Sie mir das technische Gebrabbel«, sagte Bjornstadt. »Fangen wir lieber an. Was muss ich tun?«

Noone deutete einladend auf die Tür des großen grauen Kastens. »Sie gehen da rein, tippen die gewünschte E-Mail-Adresse ein –«

»Eintippen?«

»Bei einer anonymen Mail geht es nicht anders.«

»Gut. Und weiter?«

»Sie drücken die Aufnahmetaste. Die Kamera stellt sich automatisch ein. Und dann reden Sie.«

Also gut. Bjornstadt vergewisserte sich noch einmal, dass die Tür geschlossen und verriegelt war. Draußen wedelte Noone mit den Händen, hob die Finger. Zehn. Was wohl hieß, er solle höchstens zehn Minuten reden, weil die Zustellung sonst ewig dauern würde. Jaja. Der Senator nickte unwillig.

Vertrauen war gut, Kontrolle war besser. Bjornstadt zog ein kleines Kästchen aus der Tasche, schaltete es ein, wartete, bis das Signal auf der Oberseite aufleuchtete. Grün. Das hieß, die Abschirmung funktionierte. Zumindest, wenn er dem Techniker vom Sicherheitsdienst vertrauen wollte, der es ihm vor einiger Zeit gegeben hatte.

Das allerdings war gerade die große Frage: Wem in seiner Umgebung durfte er noch vertrauen?

Er zog die Tastatur zu sich heran, musterte die Buchstaben darauf. Es war Ewigkeiten her, seit er das letzte Mal so ein Gerät benutzt hatte. Mühsam tippte er die Mailadresse seiner Exfrau ein, kontrollierte auf dem kleinen Schirm, dass sie richtig geschrieben war. Dann hielt er einen Moment inne, versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er sagen wollte. Es war so viel. Zehn Minuten würden nicht reichen.

Zumal es ihn einige Anstrengung kosten würde, sie davon zu überzeugen, ihm zu glauben.

Gut. Am besten, er fing einfach an. Ehe sich die Gedanken in seinem Kopf verknoteten. Er drückte die Aufnahmetaste, fixierte den kleinen Punkt im Objektiv der Kamera und sagte: »Hallo Irene. Ich bin’s. Bitte lösch diese Mail nicht gleich, sondern lass mich erklären, warum ich dich kontaktiere und warum auf diese Weise.«

Es war alles so lange her. Vielleicht war das die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen, an der Universität … Aber er hatte ja unbedingt in die Politik gehen müssen, hatte es in Kauf genommen, dass seine Ehe daran zerbrochen war.

Bjornstadt fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich weiß nicht, was du gedacht hast, als du das erste Mal gehört hast, dass ich den Vorsitz des Raumfahrtausschusses übernehme. Ausgerechnet ich, der ich von Weltraumfahrt so gut wie nichts verstehe. Ich, der ich in meinem ganzen Leben nur einen einzigen Raumflug unternommen habe und auch der ging nur bis zur McAuliffe Station und zurück … Aber so geht das manchmal in der Politik. Du erinnerst dich sicher, dass mein eigentlicher Ehrgeiz dem Finanzministerium galt. Daran hat sich seither nichts geändert. Ich dachte, ehrlich gesagt, im Raumfahrtausschuss ließen sich am ehesten Möglichkeiten für dramatische Einsparungen finden – eine naive Vorstellung, wie ich heute weiß. Ich hatte gehofft, mich rasch profilieren und dann auf den Posten des Finanzministers wechseln zu können …« Er seufzte. »Wozu erzähle ich dir das alles? Weil ich will, dass du verstehst.«

Er sah auf seine Hände hinab. »Im Grunde begann alles, aus dem Ruder zu laufen, als ich auf den unseligen Gedanken kam, die Marssiedlung zu schließen. Wobei ich mir gar nicht mehr sicher bin, ob es nicht Tom Pigrato war, der damalige Statthalter, der mich auf diese Idee brachte … Ist ja auch egal. Jedenfalls, ich stellte eine Beispielrechnung auf – was die Marssiedlung die Erde jedes Jahr kostet und wie man mit ihrer Schließung das Haushaltsdefizit bereinigen könnte – und legte sie zuerst ein paar Abgeordneten vor, von denen man sagte, sie stünden der Heimwärtsbewegung nahe. Leute, die dieses Vorhaben unterstützen würden und die anfingen, es ernsthaft zu diskutieren. Auf den Fluren und Gängen, in der Cafeteria und den Nebenräumen der Parlamentsgebäude ging es bald um nichts mehr anderes.«

Bjornstadt hob den Kopf, blickte wieder in das gläserne Auge der Kamera. »So ist das gelaufen. Ich habe mich mit der Heimwärtsbewegung eingelassen, in der Hoffnung, meine Karriere zu beschleunigen«, sagte er und fügte bitter hinzu: »Stattdessen muss ich nun um mein Leben fürchten.«

Er versuchte, das Bild seiner geschiedenen Frau vor seinem inneren Auge heraufzubeschwören. Sich vorzustellen, wie sie ihn ansehen, was für ein Gesicht sie machen würde. Er...