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Das Gesicht des Drachen - Ein Lincoln-Rhyme-Roman

Jeffery Deaver

 

Verlag Blanvalet, 2003

ISBN 9783894807863 , 480 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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...Dreißig (S. 282-283)

Als Sam Chang am Morgen seines voraussichtlichen Todestages erwachte, fand er seinen Vater im Hinterhof ihrer Wohnung, wo dieser die langsamen Übungen des Tai-Chi vollführte. Während er dem alten Mann zusah, fiel ihm plötzlich etwas ein: Chang Jiechi würde in drei Wochen siebzig werden. Da die Familie in China bettelarm und ständigen Schikanen ausgesetzt gewesen war, hatte sie seinen sechzigsten Geburtstag nicht angemessen feiern können, obwohl aus diesem Anlass traditionell ein großes Fest stattfinden sollte, um den Übertritt ins hohe Alter und somit die Zeit der Verehrung einzuleiten.

Aber zu seinem nächsten Ehrentag würden sie alles nachholen. Auch wenn Sam Chang nicht leibhaftig an der Feier teilnehmen konnte, würde dies vielleicht wenigstens seiner Seele gelingen. Er betrachtete seinen Vater, der sich wie ein gemächlicher Tänzer durch den kleinen Hof bewegte. Tai-Chi war wohltuend für Körper und Geist, doch der Anblick erfüllte Chang jedes Mal mit großer Traurigkeit, weil er dadurch an eine schwüle Juninacht vor vielen Jahren erinnert wurde. Chang, eine Gruppe Studenten und einige befreundete Dozenten hatten in Peking zusammengesessen und ein paar Leute beobachtet, die ganz in der Nähe in diese ballettartigen Übungen versunken waren.

Es war nach Mitternacht, und sie alle genossen das schöne Wetter und die heitere Stimmung, sich im Kreis von Gleichgesinnten zu befinden und den Beginn dessen zu erleben, was die großartigste Nation der Welt werden sollte: das neue China, das aufgeklärte China. Chang wollte den Studenten an seiner Seite auf eine agile ältere Frau hinweisen, die völlig im Tai-Chi aufging, als die Brust des Jungen mit einem Mal explodierte und er zu Boden fiel. Die Soldaten der Volksbefreiungsarmee hatten begonnen, in die Menge auf dem Platz des Himmlischen Friedens zu schießen. Kurz darauf kamen die Panzer und trieben die Menschen vor sich her, so dass viele unter den Ketten zerquetscht wurden. Das berühmte Fernsehbild des einzelnen Studenten, der einen der Panzer mit einer Blume aufhielt, blieb in dieser furchtbaren Nacht leider eine seltene Ausnahme.

Danach konnte Chang nie wieder beim Tai-Chi zusehen, ohne an diesen Moment denken zu müssen, der ihn in seiner Haltung als bekennender Dissident endgültig bestärkt und sein Leben - und das sei nes Vaters und seiner Familie - für immer verändert hatte. Er blickte auf seine Frau und das kleine Mädchen, das neben ihr schlief und die weiße Stoffkatze im Arm hielt, die Mei-Mei ihr genäht hatte. Schweigend betrachtete er die beiden einen Moment lang. Dann ging er ins Badezimmer, drehte das Wasser auf, zog sich aus und trat unter die Dusche. Irgendwie hatte Mei-Mei am Vorabend noch die Zeit gefunden, alles hier zu scheuern. Er duschte, drehte den Hahn wieder zu, trocknete sich ab und neigte lauschend den Kopf. Aus der Küche drang ein metallenes Klappern an seine Ohren. Mei-Mei schlief noch, und die Jungen konnten nicht kochen. Erschrocken huschte er zum Bett, zog die Pistole unter der Matratze hervor und schlich vorsichtig ins vordere Zimmer. Dann lachte er.