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Sozialstaat Österreich zwischen Kontinuität und Umbau - Bilanz der ÖVP/ FPÖ/ BZÖ-Koalition

Herbert Obinger, Emmerich Talos

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2007

ISBN 9783531902876 , 241 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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38,66 EUR


 

1 Theorien wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung (S. 13)

Zur Erklärung von Entstehung, Reichweite, Konfiguration imd Funktion des Wohlfahrtsstaates und seiner im internationalen Vergleich unterschiedlichen Expansionsdynamik existiert eine Vielzahl an Theorien (vgl. als Überblick Flora et al. 1977, Cameron 1978, Alber 1982, Schmidt 1982, 2000, Skocpol/Amenta 1986, Lessenich 2000, Huber/Stephens 2001, Siegel 2002, Myles/Quadagno 2002).

Diese Theoriestrange lassen sich zu vier Schulen, nämlich funktionalistischen, konflikttheoretischen, institutionellen sowie internationalen Ansätzen verdichten. Diese Theorieschulen stehen nicht nur in einer der Reihenfolge der Auflistung entsprechenden chronologischen Hierarchie zueinander, sondern weisen in sich eine betrachtliche Vielfalt auf, die in diesem Abschnitt nur verkürzt dargestellt werden kann. Gemeinsam ist ihnen, dass sie mit Ausnahme eines jüngeren internationalen Theorieansatzes, der die Veränderungen in der internationalen politischen Ökonomie als fundamentale Bedrohung des Sozialstaates ortet, in erster Linie die Genese und Entfaltung des Wohlfahrtsstaates zum Gegenstand haben und damit nicht explizit zur Erklärung kontraktiver Sozialpolitik formuliert wurden.

1.1 Entstehung und Expansion des Wohlfahrtsstaates

Der älteste Theorieansatz sieht die Entstehung des Wohlfahrtsstaates als Reaktion auf die im späten 19. Jahrhundert einsetzenden tiefgreifenden ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Umwalzungen. Eine erste Variante rückt vor allem den sozio-ökonomischen Strukturwandel und den daraus resultierenden Problemdruck als Triebkräfte staatlicher Sozialpolitik in den Mittelpunkt.

Phänomene wie die Entfeudalisierung, Industrialisierung, Urbanisierung und Bevölkerungswachstum führten gleichermaßen zur Erosion und Überlastung der traditionellen familiälen, kirchlichen, kommunalen und berufsgenossenschaftlichen Sicherungssysteme und erzeugten neben neuen Risiken ein soziales Vakuum, welches durch sozialpolitische Intervention des Staates gefüllt werden musste (Wagner 1911).

Gleichzeitig stellte der ökonomische Aufschwung erst die Ressourcen für die staatlich organisierte Bearbeitung der neuen sozialen Bedarfslagen bereit (Zollner 1963, Wilensky 1975). Iversen/Cusack (2000) haben diesen Ansatz wiederbelebt, indem sie die jüngere Expansion des Wohlfahrtsstaates als funktionale Reaktion auf Deindustrialisierungsprozesse und den dadurch ausgelösten sozialpolitischen Kompensationsbedarf interpretieren.

Eine zweite, makrosoziologische Theorievariante (Flora et al. 1977, Alber 1982) betrachtet den Wohlfahrtsstaat als Ergebnis eines breit gefacherten Modernisierungsprozesses, der neben der Industrialisierung samt ihren Folgeerscheinimgen auch die Ausdifferenzierung des Nationalstaates, Sakularisierung und Demokratisierung als Antriebkrafte wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung umfasst und damit ungleich politiksensibler ist als ein rein sozio-okonomischer Funktionalismus.

Die konflikttheoretischen Theoriestromungen rucken die politischen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Leitbildern und Ordnungsvorstellungen in den Mittelpunkt der Erklärung. Umfang und konkrete Ausgestaltung wohlfahrtsstaatlicher Intervention resultieren aus den außerparlamentarischen Machtverhältnissen von Arbeit und Kapital, der parteipolitischen Farbung der Regierung sowie den Legitimationsstrategien der politischen Eliten, welche die Sozialpolitik zur Generierung von Massenloyalität instrumentalisieren.

Damit zerfällt diese Schule in eine klassensoziologische, eine parteiendifferenztheoretische sowie eine elitentheoretische Richtung. Die Machtressourcen der Arbeiterbewegung stehen im Mittelpunkt der insbesondere in Skandinavien beheimateten klassensoziologischen Theorieschule (Korpi 1980, Esping-Andersen 1990).

Zentral steht ein klassenbezogener Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital, der entlang der gesellschaftlichen Macht- und Krafteverteilungen entschieden wird. Der Wohlfahrtsstaat ist dabei Ergebnis einer mit Hilfe bzw. innerhalb der demokratischen Institutionen bewerkstelligten politischen Ausbalancierung der asymmetrischen Machtrelationen zwischen Arbeit und Kapital in der zentralen Konfliktarena des Arbeitsmarktes.

Klassenübergreifende Koalitionen zwischen industriellen und agrarischen Lohnarbeitern begünstigen dabei die Etablierung eines universalistisch-egalitaren Sozialstaats sozialdemokratischer Prägung. Die Vertreter der Parteiendifferenzthese (Schmidt 1982, Castles 1982) legen den Fokus hingegen auf die parlamentarischen Krafteverhältnisse und die parteipolitische Zusammensetzung der Exekutive.