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Der bleiche Tod der Sarazenen - Historischer Roman

Wolfgang David

 

Verlag SALON LiteraturVerlag, 2014

ISBN 9783939321590 , 458 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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9,99 EUR


 

ERSTER TEIL

I.

Die Nachricht war hochwillkommen: Vojslav bitte Bischof Dodilo um dessen Besuch; er wolle die Taufe empfangen.

Vor Monaten hatte Vojslav, einer der angesehensten Burgherren der Diözese, den Wunsch geäußert, in Glaubensfragen unterwiesen zu werden, worauf ihm der Subdiakon Hoger gesandt worden war. Hoger war nicht mehr der Jüngste, doch verfügte er über einen unerschöpflichen Vorrat an Geduld. Die freilich benötigte er auch. Den ganzen Winter verbrachte er auf der Burg des Slawen – als Zeitvertreib für lange Abende, wie sich zeigte. Mal tat dieser, als sei er bezwungen, dann wieder peinigte er seinen Gast mit spitzfindigen Fragen oder gespielten Wutanfällen. Als der Subdiakon forderte, er müsse sich seiner Beischläferinnen entledigen (zwei Dutzend seien es, bekannte Vojslav freimütig), kam es zum Bruch. Niedergeschlagen kehrte Hoger zurück. Alles schien umsonst gewesen zu sein. Er, Dodilo, hingegen hatte geahnt, dass sich die stolze Heidenseele nach diesem Aufbäumen besiegt geben würde. Und Recht behalten.

Unglücklicherweise lebte Vojslav im östlichsten Winkel des Bistums. Mindestens die Hälfte der Strecke zu ihm bestand aus Straßen, die diese Bezeichnung kaum verdienten, so dass ein geübter Reiter selbst bei trockener Witterung für die Reise mehrere Tage benötigte. Er, Dodilo, war kein geübter Reiter, und man schrieb Ende März. Doch die Angelegenheit war zu wichtig, als dass man sie hätte verschieben dürfen.

Als der Bischof schließlich aufbrach, fand er indes, dass Vojslavs Wandlung besser in den Mai gefallen wäre. Nach mehrtägigem Regen war es wieder kalt geworden, dann hatte es geschneit; nun hagelte es. Zwei Finger dick lag der Schnee auf den Knospen der Wildkirschen. Vorsichtig setzten die Gäule ihre Hufe auf die glitschigen Bohlen der Dämme, schüttelten die Köpfe, wenn zwischen den Fugen Schlamm hochschoss und ihnen gegen die Bäuche spritzte.

Außer Vojslavs Boten begleiteten ihn Hoger, ein weiterer Subdiakon namens Willerich sowie zehn Bewaffnete, Leute des Markgrafen. Die Straße lag wie ausgestorben. Einmal überholten sie einen Kaufmannszug, sieben Ochsengespanne und doppelt so viele Packpferde. Auf den Wagen saßen, in Umhänge aus gefettetem Leder gehüllt, dunkeläugige Männer; Reiter mit ungewöhnlich langen Lanzen beschützten den Trupp. Spanische Sarazenen, wie man aufgrund ihres Aussehens vermuten musste.

Früher als erwartet erreichten sie den vorgesehenen Rastplatz, eine schilfgedeckte Hütte am Ufer eines Flüsschens. Dodilo fröstelte es. Wie gut hatten es die Amtsbrüder in der Heimat! Wohin sie kamen, überschüttete man sie mit Annehmlichkeiten. Das Essen konnte nicht schmackhaft, das Lager nicht weich genug sein. Er hingegen musste mit ungehobelten Menschen in einem Raum nächtigen – auf dem Boden, wenn er Pech hatte. Was die slawischen Gefildevorsteher betraf, so mochte er nicht einmal bei denen anklopfen, die er selbst getauft hatte. Die spöttische Kälte, mit der sie ihn behandelten, und die Schikanen des Gesindes, das so tat, als verstünde es ihn nicht, hatten ihm die Besuche verleidet. Ein Fremder im eigenen Sprengel war er.

Während geheizt wurde, lief er, um die erstarrten Füße zu wärmen, ein Stück flussaufwärts. Er kam nicht weit. Ein Stockentenweibchen, das sich im Ufergras niedergelassen hatte, strich lärmend ab. Er lehnte sich gegen einen Baum, und als sich sein Herz beruhigt hatte, kehrte er um.

Wie befürchtet, kam er zu zeitig. Aus der geöffneten Tür quoll Rauch, drinnen stand der Qualm bis in Höhe des Gürtels. Zum Essen musste er sich mit den anderen auf die verfaulten Dielen setzen, hoffend, dass die Schwaden möglichst rasch zu den Dachsparren aufstiegen. Sein Wohnhaus in der Brandenburg besaß einen Kuppelofen mit Abzug; fror er in harten Wintern trotzdem, umstellte man ihn mit Kohlenbecken. Es war der einzige Luxus, den er sich gönnte, und er schämte sich dessen nicht.

Mit Einbruch der Dunkelheit war das Holz endlich durchgebrannt. Er wickelte sich in einen Pelz und streckte sich auf der einzigen Schlafbank aus. Seine Begleiter, sie hatten vorher jede Ritze im Gebälk mit Moos verstopft, schlossen die Tür. Sogleich wurde es wärmer. Die Fackeln erloschen.

Lange fand er keine Ruhe. Er lauschte den Atemzügen, dem Knacken der Pfosten, dem Pfeifen der Mäuse, dem Räuspern der Wachen, und alles ärgerte ihn. Zitternd erwachte er irgendwann. Die Glut war zu Asche geworden, der Pelz herabgefallen. Er deckte sich wieder zu und schlief sofort ein.

Tags darauf war ihm, als sei er in der Nacht gefoltert worden. Bei jedem Schritt des Pferdes spürte er seine Knochen, im Hals kratzte es und das Frühstück lag im Magen, als sei es nie gekaut worden. Nur das Wetter stellte ihn zufrieden. Die Sonne schien, der Wind hatte nachgelassen. Zuweilen kamen ihnen einzelne Reiter entgegen, die nach deutscher Sitte durch Lüften des Hutes grüßten. Ihre Höflichkeit tat ihm gut. Er lächelte ihnen zu und hielt sich bereit, sie zu segnen, falls dies einer wünschte. Offenbar hatten sie es aber eilig.

Auch gut, dachte er und erschrak. Was war aus dem Mann geworden, der vor fünfzehn Jahren diese Diözese übernommen hatte! Kein Weg war ihm damals zu weit gewesen, keine Seele zu verstockt, keine Gefahr zu groß. Die erste Massentaufe... Wie hatte ihn der Anblick der Geretteten in ihren weißen Gewändern beglückt! Noch heute zehrte er von der Erinnerung daran.

Wo war sie geblieben, jene Begeisterung? Zermahlen war sie worden, zwischen dem Trotz der Unterworfenen und dem Hochmut der Sieger – so wie die Hoffnung, den Tag zu erleben, an dem sich Gott der Verhärteten und Verblendeten erbarmen würde. Dennoch tat er weiterhin seine Pflicht, säte, sich nicht schonend, was seine Nachfolger ernten würden...

Am dritten Tag verließen sie die Straße Richtung Osten. Der Weg wurde so schmal, dass man nur noch paarweise reiten konnte. Schwer passierbare Stellen waren mit Reisigbündeln befestigt, die bei jedem Schritt im Morast versanken. Gegen Mittag wurden sie von vier Reitern überholt, Ortskundige vermutlich, denn sie ritten trotz des federnden Untergrundes im leichten Trab.

„Bitte, bitte!“, rief der Vordere und bedeuteten ihnen, dass sie vorbei wollten.

Als sie vorüber waren, schaute ihnen der Anführer der Eskorte stirnrunzelnd nach. Dann suchten seine Augen die des Bischofs.

„Den einen von ihnen sehe ich zum zweiten Mal“, sagte er. „Zuletzt kam er uns entgegen. Da trug er andere Kleider. Wenn ich nicht irre, haben sie auch die Pferde getauscht.“ Und als ihn Dodilo anblickte: „Ihm fehlt ein Ohr. Als er gestern den Hut hob, legte ein Windstoß die Stelle frei.“

„Und was, mein Sohn, ist daran so bemerkenswert?“

„Weißt du es nicht, Herr? Bis vor gut einem Dutzend Jahren haben wir so Knaben gezeichnet, die uns schmähten oder mit Steinen bewarfen. Auf diese Weise machten wir alle kenntlich, die schon als Kinder gegen uns waren. Wir packen sie noch heute härter an. Wenn irgendwo etwas vorfällt, halten wir uns zuerst an sie. Lass uns umkehren.“

„Das werden wir nicht“, entgegnete der Bischof, eher verblüfft als empört.

„Und wenn hier noch mehr von der Sorte sind?“

„Verstehe ich recht?“

Dodilo stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Ein Kerl wie du, sechs Fuß groß und von den Knien bis zum Scheitel in Eisen gehüllt, fürchtet sich vor ein paar Einohrigen. Schämst du dich nicht?“

Der andere spähte zu Vojslavs Gesandtem, der soeben hinter einer Biegung verschwand. Dabei sagte er: „Du hast leicht reden, Herr. Stößt dir was zu, kommst du geradewegs in den Himmel. Wir alten Sünder haben vorher noch einiges gutzumachen. Da muss man sich jeden Schritt überlegen.“

„Das sagst du mir ins Gesicht?“ Dodilo starrte ihn an. „Was ist, wenn der Slawe morgen stirbt? Hast du das bedacht? Womit werde ich die Preisgabe seiner Seele vor unserem Schöpfer rechtfertigen?“

„Was kümmert es mich? Sie ist in der Hölle gut aufgehoben.“

„Sei still! Du weißt nicht, was du redest.“

„Und ob ich es weiß. Wir kehren um.“

„Das entscheidest nicht du!“, brauste der Bischof auf. „Was nimmst du dir heraus? Der Markgraf befahl dir, mir zu gehorchen.“

„Du irrst, Herr. Wir haben Anweisung, dich bei einem Überfall zu verteidigen, nicht, dir in eine Falle zu folgen.“

„Eine Falle! Glaubst du das wirklich?“

„Fest steht, dass diese Leute nichts Gutes im Schilde führen.“

„Und obwohl du davon überzeugt bist, willst du uns im Stich lassen?“

Der Mann lachte spöttisch.

„Reitet mit uns zurück, und wir beschützen euch weiterhin.“

Dodilo schwieg einen Moment.

„Ich habe nicht die Macht, dich zu zwingen“, sagte er dann eindringlich. „Wisse jedoch: Sollte unsere Mission durch deine Schuld scheitern, wirst du dich dafür verantworten müssen. In dieser Welt zuerst.“

„Wie es kommt, so kommt es“, erwiderte der andere schulterzuckend.

Dodilo gab Willerich ein Zeichen, worauf der nach dem Zügel eines der beiden...