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Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen - Die Geschichte der Shirin-Gol

Siba Shakib

 

Verlag C. Bertelsmann, 2001

ISBN 9783894807054 , 320 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Eine süße Blume und eine Muttermalschwester

In Afghanistan hat fast jeder Name eine Bedeutung. Shirin-Gol heißt Süße Blume. Zu behaupten, in dem Moment ihrer Geburt habe ihre Mutter eine süße Blume gesehen, den süßen Duft einer Blume gerochen oder gar an eine süße Blume gedacht, wäre erfunden und nichts als reine Sozialromantik verwestlichter Fantasie.
Wahrscheinlich hat Shirin-Gols Mutter, wie alle Mütter dieser Welt, bei der Geburt ihrer fünften Tochter, ihres neunten Kindes, große Schmerzen durchgestanden, und wahrscheinlich hat sie sich in diesem Moment überlegt, wie sie mit ihrem ohnehin geschwächten Körper und schlaffen Brüsten noch ein weiteres Kind stillen soll. Und wahrscheinlich ist sie froh gewesen, als sie das Kind aus ihrem Körper gezogen und gesehen hat, dass es nur ein Mädchen ist, denn wäre Shirin-Gol ein Junge gewesen, hätte er noch mehr Milch gebraucht, noch mehr Aufmerksamkeit. Die Mutter hätte ihn öfter auf dem Arm tragen müssen, sie hätte ein Fest zu seiner Geburt geben und ein Schaf schlachten, Geld für seine Beschneidung auftreiben und ihn zum Mullah schicken müssen, damit er den Koran lernt.
Nein, Allah ist gütig und hat ihr dieses Mal nur eine Tochter geschickt.
Genau genommen ist der Herrgott immer gütig gewesen zu Shirin-Gols Mutter. Er hat ihr als erstes Kind einen Sohn in den Bauch gelegt, sodass ihr Mann sich wie ein echter Mann fühlen konnte, ihr weder die Zähne ausschlagen noch sich von ihr scheiden lassen oder sie in ihr Vaterhaus zurückbringen musste.
Zur Sicherheit und damit alles bleibt, wie es ist, hat Gott ihr nach dem ersten gleich wieder einen Jungen geschickt. Und auch das dritte Kind ist ein Sohn.
Dann hat der Herrgott auch mal an Shirin-Gols Mutter gedacht und ihr dreimal hintereinander Töchter geschickt. So hat sie endlich Hilfe bekommen, bei der vielen Arbeit mit dem Ehemann und den drei Söhnen, dem Feldbestellen, Brotbacken, Kleidernähen, Schafehüten, Kühemelken, Essenkochen, Teppichknüpfen und was sonst noch an Arbeit anfällt.
Die nächsten beiden Kinder werden wieder Jungen, für jeden von ihnen schlachtet Shirin-Gols Vater ein Schaf, jeder der beiden muss beschnitten werden, aber zumindest müssen diese beiden nicht zum Mullah, weil ja schon die ersten drei Söhne der Familie den Koran gelernt haben.
Und im Jahr nach den beiden nicht mehr so wichtigen Brüdern kommt schließlich Shirin-Gol auf die Welt. Für den Vater ist das weder gut noch schlecht. Für die Mutter ist es gut.

Shirin-Gol ist ein ruhiges Kind, und sie hat es gut im Leben. Die meiste Zeit ihres Kleinmädchenlebens lassen alle sie in Ruhe. Sie sitzt im Schatten an der Ecke der Lehmhütte auf dem sandigen Boden, sieht zu, wie die Mutter und der Vater, die älteren Brüder und Schwestern das kleine Feld bestellen, die wenigen Schafe melken, den Esel tränken, den Staub aus der Hütte fegen, Teppiche knüpfen, Essen herbeischaffen, Brot backen, das Überleben der Familie jeden Tag und irgendwie von neuem hinbekommen.
Shirin-Gol wird von der Schwester mit dem Muttermal auf der Wange jeden Morgen an die Ecke gesetzt, bekommt ein Stück Brot in die Hand, hat keine andere Aufgabe, als sich möglichst ruhig zu verhalten, einfach nur zuzusehen, zu begreifen, worauf es im Leben eines Mädchens ankommt: nicht auffallen, arbeiten und den Befehlen der Jungen und Männer folgen.
Erst als sie etwa zwei Jahre alt ist, erhebt Shirin-Gol sich zum ersten Mal allein, kommt aus ihrer Ecke vor der Hütte, macht ein paar Schritte, geht zur Muttermalschwester, die vor der Hütte hockt und Wäsche wäscht, hockt sich neben sie, planscht mit ihrer kleinen Hand in der Seifenlauge herum, bekommt eine auf die Finger, pinkelt auf den Boden, wird von der Muttermalschwester wieder an ihren Platz getragen und hingesetzt.
Alles das sieht der Herrgott und erinnert sich in diesem Moment wieder an Shirin-Gols Mutter, und es fällt ihm auf, dass er zwei Jahre lang vergessen hat, Shirin-Gols Mutter ein neues Kind in den Bauch zu pflanzen. So beeilt der gütige Herrgott sich nachzuholen, was er versäumt hat, und als Shirin-Gol noch nicht ganz drei Jahre alt ist, bekommt sie gleich zwei Brüder auf einmal in ihren kleinen Mädchenschoß gelegt und ist von nun an tagein, tagaus beschäftigt mit den Zwillingen.
Sie hebt nur noch selten den Kopf, bekommt nicht mehr mit, was die Mutter und älteren Schwestern, der Vater und älteren Brüder den ganzen Tag lang treiben.

Das nächste Mal, als die kleine Shirin-Gol aufblickt und sieht, was in der Welt um sie herum geschieht, ist der Tag, an dem die Zwillinge ihre ersten Schritte machen, ohne dass Shirin-Gol sie an der Hand führt. Der eine läuft gerade von rechts nach links und der andere von links nach rechts, die beiden krachen mit den Köpfen zusammen, fallen um, fangen an zu schreien, sehen beide Hilfe suchend zu ihrer Schwester Shirin-Gol. Da schlägt ganz in der Nähe eine Rakete ein, die erste, aber durchaus nicht die letzte, die Shirin-Gol in ihrem Leben hören soll, die Zwillinge verstummen, torkeln beide verängstigt zu ihrer Schwester, vergraben die Köpfe in ihre Kleinmädchenröcke. Die Mutter blickt erschrocken auf, die älteren Brüder rennen vom Feld zurück, die älteren Schwestern kreischen, der Vater macht eine besorgte Miene und sagt, mehr zu sich selber, dann stimmt es also doch. Die Russen sind da.
Die Russen? Wer sind die Russen? Unsere Nachbarn? Warum sind sie gekommen? Was wollen sie von uns? Wir haben doch selber nichts, sagt die Mutter mit hoher und lauter Stimme.
Der Vater sieht seine Söhne an und sagt, wir müssen in die Berge. Früher haben die Engländer unser Land besetzt und über unser Schicksal bestimmt, jetzt versuchen es die Russen. Früher haben die Engländer ein Auge auf unsere Frauen und Töchter geworfen, jetzt sind es die Russen. Früher haben die Engländer unser Land und unsere Religion entehrt und beschmutzt, uns entmündigt und entmachtet, unsere Freiheit geraubt und den Boden unserer Heimat verunreinigt, jetzt sind es die Russen. Wir haben keinen anderen Weg, es ist Zeit, dass auch wir uns den Mujahedin anschließen, gegen die Russen in den Krieg ziehen und, wenn es sein muss, bis zum letzten Tropfen unseres Blutes gegen sie kämpfen.
Bis zum letzten Tropfen.
Das sind die letzten Vaterworte, an die Shirin-Gol sich erinnert, der Vater reiht sich mit den älteren Brüdern auf, betet, gibt jedem der Brüder ein Gewehr und Munition, verschwindet aus Shirin-Gols Leben und der Lehmhütte und hinterlässt eine Menge Platz. Zum Essen, zum Sitzen, zum Zwillingeaufpassen, zum Läuse-aus-den-Haaren-der-Zwillinge-Pulen, zum Wollespinnen, zum Kleidernähen, zum Teppichknüpfen, zum Zuckerkleinhacken, zum Kornmahlen, zum Zusammensitzen und Reden über den Krieg, die Verletzten, die Toten, die Russen, zum Ausbreiten der Schlafmatten und Decken in der Nacht.
Shirin-Gol und die Zwillinge schlafen fortan nicht mehr in der Ecke hinter der Feuerstelle im Boden, bekommen mehr zu essen und dürfen mehr reden. Nur noch die Schüsse, Raketeneinschläge und Bombenexplosionen in den Bergen erinnern an die Brüder und den Vater, die nur noch gelegentlich auftauchen, kurz bleiben und gleich wieder verschwinden.
Shirin-Gol sammelt gerade auf dem Feld die letzten mickrigen katchalou, Kartoffeln, ein, da geht ein Mann hastig an ihr vorbei. Er trägt einen anderen Mann auf der Schulter, der über und über voll ist mit Blut. Der mit dem Blutigen über der Schulter bleibt stehen und dreht sich zu ihr herum. Sie erkennt, dass es einer ihrer älteren Brüder ist, und lächelt. Der Bruder lächelt nicht zurück, fragt, warum trägst du kein Kopftuch?, geht weiter und verschwindet hinter der Lehmhütte.
Shirin-Gols Mutter kommt aus der Hütte, ohne die Farbe in ihrem Gesicht. Madar. Mutter.
Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht steht vor der Hütte, hält mit beiden Händen den Wasserkrug aus Ton vor ihren Bauch und sagt viele kleine Worte, die Shirin-Gol nicht hören kann, weil Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht auch ihre Stimme verloren hat.
Shirin-Gol steht da, starrt Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund an. Gerade überlegt Shirin-Gol, wer die Farbe aus dem Gesicht von madar und die Stimme aus ihrem Mund geklaut hat, ob es der Blutige gewesen ist oder ob madar selber sie in die Nische gelegt und vergessen hat, sie mit hinauszubringen. Gerade überlegt Shirin-Gol, da haut Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund den Wasserkrug aus Ton auf die Erde, dass er bricht und zu tausendundein kleinen Scherben aus Ton wird.
Farbe weg. Stimme weg. Wasserkrug weg.
Shirin-Gol nimmt die Zwillinge an die Hand, dreht sich um, ohne Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund-und-ohne-Wasserkrug-aus-Ton-in-der-Hand noch mal anzusehen und geht zurück ins Feld zu den mickrigen katchalou, die unter der Erde sind und es gut haben, weil es dort kühl ist und weil dort keine Mutter ist, die Wasserkrüge aus Ton zerbricht.

Nachts kommen noch mehr Männer, bekannte und unbekannte, der Vater und die anderen älteren Brüder. Shirin-Gol hört, wie sie den Boden hinter der Hütte aufhacken, geht hinaus, sieht, wie der Blutige, den ihr Bruder auf seiner Schulter angeschleppt hatte, in das ausgehobene Loch gelegt und das Loch zugeschaufelt wird. Die Männer weinen, schultern ihre Gewehre und Kalaschnikows und verschwinden wieder in die Dunkelheit der Nacht.
Am nächsten Morgen hockt nur noch Shirin-Gols Mutter an dem zugeschaufelten Loch. Sie hat ein schwarzes Tuch über dem Kopf, wiegt ihren Körper hin und her, als hätte sie Schmerzen, jammert und wimmert und hört selber dann nicht auf, als Shirin-Gol ihr einen frischen Tee bringt.
Shirin-Gol dankt Gott, dass madar ihre Stimme wiedergefunden hat, betet ein schnelles Gebet, dass Gott machen soll, dass sie auch die Farbe in ihrem Gesicht wiedergefunden hat und dass sie das schwarze Tuch nicht über den Kopf gezogen hat, weil sie vielleicht auch ihre Augen, ihre Nase und ihren Mund verloren hat. Aber hätte sie ihren Mund verloren, dann könnte sie auch nicht jammern, denkt Shirin-Gol und beschließt zu tun, als hätte sie gestern Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund-und-ohne-Wasserkrug-aus-Ton-in-der-Hand nicht gesehen.
Was ist?, fragt das kleine Mädchen und legt so viel Unbekümmertheit in ihre Stimme, wie Gott gewillt ist ihr zu schenken.
Was soll schon sein?, schluchzt madar, nimmt das Tuch vom Kopf, um einen Schluck von dem Tee zu trinken, und da sieht Shirin-Gol es mit eigenen Augen. In der Nacht hat madar die Farbe aus ihrem Haar verloren.
Und dann erfährt Shirin-Gol, dass Gott den Blutigen in dem Loch genau aus diesem einen Grund getötet hat, nämlich damit madar die Farbe in ihrem Gesicht verliert, die Stimme in ihrem Mund verliert, den Wasserkrug aus Ton verliert, die Farbe aus ihrem Haar verliert und damit das Mutterherz bricht und das Mutterhaar weiß wird.
Noch versteht Shirin-Gol nicht, wie das alles zusammenhängt, doch je weiter die Sonne wandert, um sich am Ende des Tages im Westen zu versenken, desto mehr erfährt Shirin-Gol über den Mann im Loch und darüber, was der mit den plötzlich weißen Mutterhaaren zu tun hat.
Der Mann auf der Schulter ihres Bruders, der Mann, der jetzt in dem Loch im Boden hinter der Hütte liegt, ist nämlich ein Märtyrer, gefallen im Namen des Propheten, des Koran und des Islam.
Shirin-Gol hat längst von Märtyrern gehört, sie hat aber immer fest geglaubt, Märtyrer würden bei Gott höchstpersönlich und damit im Paradies leben und nicht in Löchern in der Erde. Aber jetzt hat sie es ja mit eigenen Augen gesehen, in dem Loch hinter der Hütte liegt ein leibhaftiger Märtyrer. Ein shahid.
Shirin-Gol erfährt auch, dass dies durchaus nicht der letzte shahid in ihrem Leben bleiben wird und dass dieser shahid früher ein richtiger Mann gewesen ist, einer, den Shirin-Gol gekannt hat, sogar einer aus ihrer Familie, genau genommen einer ihrer Brüder, der zweite Sohn, den Gott ihrer Mutter geschenkt hatte, der erste, den er ihr wieder genommen und zu sich geholt hat, und genau aus diesem Grund nämlich hat ihre Mutter schreckliche Schmerzen, die sie vielleicht töten werden, und genau aus diesem und keinem anderen Grund nämlich hat sie über Nacht weiße Haare bekommen.
Shirin-Gol nimmt die Zwillinge an die Hand, hockt sich an das zugeschaufelte Loch im Boden und macht es wie ihre Mutter und alle anderen auch, weint, versteht nicht, schließt die Augen und fragt Gott, warum er das tut. Erst schickt er den Müttern Söhne, die ihnen ans Herz wachsen, Söhne, an die sie sich gewöhnen. Dann lässt er die kleinen Söhne zu großen Söhnen werden, schickt die Russen in die Heimat und die Söhne in die Berge, wo sie sterben und zu shahid werden und den Müttern das Herz brechen - und alles das nur, damit sie am Ende weiße Haare bekommen? Es wäre doch viel einfacher, wenn er von vornherein keine Söhne schickt und den Müttern gleich weiße Haare gibt.
Und falls er vorhaben sollte, das Gleiche mit Shirin-Gol zu tun, wenn sie groß und Mutter ist, dann soll er das lieber gleich bleiben lassen, denn sie will weder die viele Arbeit mit den Jungen, schließlich erlebt sie bereits mit den Zwillingen, wie viel Aufwand und Aufmerksamkeit Jungen brauchen und wie viel Verantwortung sie bedeuten, noch will sie, wenn Gott vorhat, ihre Söhne auch als shahid sterben zu lassen, die Schmerzen aushalten müssen. Und die vom vielen Weinen verquollenen Augen und die weißen Haare will sie schon gar nicht haben.
Gottes Wege sind unerschöpflich, sagt Shirin-Gols älteste Schwester von nun an jeden Tag. Am vierzehnten Tag nach dem Brudertod malt sie sich die Lippen rot und die Augen schwarz und geht hinunter ins Dorf.
Wohin gehst du? Warum malst du deine Lippen an? Warum trägst du keinen Schleier? Was werden die Leute sagen? Sie werden hinter deinem Rücken reden. Du beschmutzt die Ehre unseres Vaters, unserer lebenden Brüder und unseres toten Märtyrerbruders. Im Namen des Propheten und des Islam, du bringst Schande und Unglück über uns.
Shirin-Gol sagt alles das und alles andere, was sie gelernt hat zu glauben und zu befolgen, doch die Schwester hört nicht auf sie, geht ins Dorf, kommt erst am nächsten Morgen zurück, hat vier Kalaschnikows dabei, eine Kiste mit Handgrananten, eine mit Munition, vier Hosen, vier Helme und ein Pferd, was alles das für sie getragen hat.
Wie viele waren es?, fragt die Mutter. Vier, sagt die Schwester und senkt den Blick.
Ich will mit, ruft Shirin-Gol, als die Schwester und jetzt auch die Nächstältere zwei Wochen darauf wieder die Lippen rot anmalen und wieder ins Dorf gehen. Nein, das willst du nicht, sagt die Älteste, zieht unter ihrem Rock ein Messer hervor, hält es Shirin-Gol an die Brust, sieht ihr dabei fest in die Augen und fragt, oder getraust du dich, russische Soldaten aufzuschlitzen?
Ich will mit, ruft Shirin-Gol, als die beiden Älteren und jetzt auch die Muttermalschwester nach weiteren Wochen wieder ins Dorf gehen und sie selber nichts anderes tut, als aufs Feld zu gehen, den Boden der Hütte zu fegen, Essen zu kochen, das Blut aus den Kleidern der Schwestern zu waschen, den Zwillingen zuzusehen und sie zu trösten, wenn sie mit den Köpfen gegeneinander rennen.
Das wirst du noch früh genug müssen, sagt die Muttermalschwester, sieht Shirin-Gol in die Augen, schluckt ihre Tränen hinunter, küsst sie auf die Stirn, zieht ihren Schleier übers Gesicht und verschwindet ins Dorf.
Ich will aber jetzt mit, jammert Shirin-Gol, die vor ihrer Waschschüssel hockt, als ihre Schwestern am Abend zurückkommen, ihre blutigen Röcke in die Lauge werfen, dass das Wasser und der Schaum hochspringen und Shirin-Gol patschnass wird. Die Schwestern beachten Shirin-Gol nicht, seufzen müde, hocken sich hin und sortieren und verstecken die russischen Kalaschnikows, Munition, Handgranaten, Minen, Stiefel, Helme und was sie den russischen Soldaten sonst noch abgenommen haben.
Dieses Mal waren es nur zwei, sagt die eine Schwester.
Sie sind vorsichtig geworden, sagt die andere. Es hat sich herumgesprochen, wie gefährlich es ist, in die Dörfer zu kommen und sich an afghanischen Frauen zu vergreifen. Allah sei Dank. Sie haben Angst.
Angst? Die russischen Soldaten? Die Feinde der Heimat, des Propheten, des Koran, des Islam und der Freiheit? Die, die ihren Bruder zu einem shahid im Erdloch gemacht haben? Die Männer in den Uniformen, mit den schweren Stiefeln, mit den Gewehren, den Minen, haben Angst vor ihren Schwestern? Das sind Märchen, die Schwestern erfinden sie nur, um sich wichtig und Shirin-Gol neidisch zu machen.
Shirin-Gol schleicht ihren Schwestern heimlich hinterher. Sieht alles mit eigenen Augen. Doch erst Jahre später wird sie verstehen, dass es keine Märchen waren.

Die Brüder, der Vater, die anderen Männer aus dem Dorf sind in den Bergen und kämpfen gegen die Russen und die Soldaten der Regierung. Andere russische Soldaten kommen in die Dörfer, plündern, rauben, stehlen, verschleppen Frauen und auch kleine Mädchen.