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Das Regenmacher-Phänomen - Widersprüche im Konzept der lernenden Organisation

Stefan Kühl

 

Verlag Campus Verlag, 2015

ISBN 9783593430386 , 226 Seiten

2. Auflage

Format PDF, ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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22,99 EUR

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Von Regenmachern, Veränderungsprojekten und Managementkonzepten - Vorwort
Am Anfang meines Buchprojektes stand eine Irritation. Diese Irritation stellte sich erstmals bei einer Analyse von Entwicklungshilfeprojekten in der Zentralafrikanischen Republik ein. Bei der Begutachtung verschiedener Projekte zur Wirtschaftsförderung, Infrastrukturentwicklung und Gesundheitserziehung sprang die Diskrepanz zwischen den offiziellen Darstellungen und der alltäglichen Realität der Projektbeteiligten förmlich ins Auge. Während in den Projektanträgen, Planungen und Beschreibungen Prinzipien wie Selbstorganisation, Partizipation, fortwährende Kommunikation, permanenter Lernprozess und klare Zielsetzung dominierten, schienen die Projekte im Alltag nach ganz eigenen, widersprüchlichen und umstrittenen Regeln zu funktionieren. Die so positiv klingenden Leitbilder, an denen sich diese Projekte vermeintlich orientierten, hatten mit der von den Beteiligten wahrgenommenen Realität nur wenig gemein (vgl. dazu Kühl 1998).
Es hätte nahegelegen, diese doppelte Realität auf den schwierigen politischen und wirtschaftlichen Kontext von Entwicklungshilfeprojekten im Allgemeinen und eine Mischung aus Bürgerkriegsfolgen, ausgeprägt postkolonialen Verwaltungsstrukturen, korrupten Beamten und zum Teil inkompetenten Projektmitarbeitern in Zentralafrika im Besonderen zurückzuführen. Später musste ich aber feststellen, dass sich die Erlebnisse mit den zentralafrikanischen Entwicklungshilfeprojekten nicht grundsätzlich von Erfahrungen mit Veränderungsprojekten in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern, Hochschulen und Armeen in Industrieländern unterscheiden. Auch hier herrscht eine unübersehbare Diskrepanz zwischen den propagierten Leitbildern für einen 'guten' Organisationswandel und der von den Beteiligten wahrgenommenen Realität. Während die Organisationsgestalter unter so eingängigen Konzepten wie 'lernende Organisation' oder 'wissensbasierte Firma' von der Möglichkeit plan- und steuerbaren Wandels ausgehen, sind die konkreten Veränderungsprozesse durch Probleme, Widersprüchlichkeiten und Konflikte geprägt.
Die Erklärungen der Managementliteratur für diese Diskrepanz zwischen den hehren Prinzipien ihrer Leitbilder und Konzepte auf der einen und den Problemen, Widersprüchen und Konflikten in konkreten Veränderungsprozessen auf der anderen Seite lassen wohl nicht wenige Leserinnen und Leser ratlos zurück. Auf einen Nenner gebracht, führt die Literatur diese Widersprüche lediglich auf Umsetzungsprobleme zurück und liefert häufig unter neuen, attraktiv klingenden Namen Rezepte, wie die Veränderungsprozesse durch noch mehr und noch bessere Zielfindung, Partizipation, Selbstorganisation, Mitarbeitermotivation und Lernen doch noch erfolgreich gestaltet werden können. Die Namen ändern sich - aus der 'Change Organization' von gestern wird die 'lernende Organisation', und wenn sich dieses Konzept verbraucht haben wird, die 'intelligente Organisation' - aber die Praxistipps für Organisationswandel bleiben weitgehend die alten. Angesichts dieser angeblich so erfolgreichen Praxistipps verwundert es jedoch, dass Mitarbeiter in Veränderungsprojekten noch immer unter so vielen Widersprüchlichkeiten und Dilemmata 'leiden'.
In Abgrenzung von dieser Art Managementliteratur geht es mir in diesem Buch darum, die Diskrepanz zwischen Leitbildern 'guten' Organisationswandels und den Widersprüchlichkeiten in Veränderungsprozessen nicht einer mangelhaften Umsetzung von Veränderungskonzepten anzukreiden, sondern die vermeintlich rationalen Vorstellungen von Organisationswandel dafür verantwortlich zu machen. Es ist eine zentrale Einsicht der systemtheoretischen Organisationsforschung, dass Unternehmen, Verwaltungen, Armeen, Krankenhäuser oder Hochschulen nur sehr begrenzt nach den offiziell propagierten Rationalitätsannahmen funktionieren; deswegen nimmt diese Forschungsrichtung besonders die Differenzen zwischen den verschiedenen Abteilungen und Teams und zwischen verschiedenen hierarchischen Ebenen in den Blick. Aus der Perspektive dieses Differenzierungsansatzes innerhalb der Systemtheorie werden die Widersprüchlichkeiten, Paradoxien und Dilemmata in Organisationen nicht mehr als pathologische Zustände diskriminiert, sondern vielmehr als Kernbestandteil in Veränderungsprozessen verstanden, die lediglich notdürftig durch modische Leitbilder überdeckt werden können.
Trotz dieser Grundskepsis gegenüber Rationalitätsannahmen über Organisationswandel wäre es aber ein Trugschluss zu glauben, auf rational klingende Leitbilder wie lernende Organisation verzichten zu können. Und an dieser Stelle kommen die Regenmacher ins Spiel: Es ist eine in der Zwischenzeit weitgehend akzeptierte Beobachtung der Naturwissenschaften, dass die in Teilen Afrikas verbreiteten Regenmacher in der Regel keinen Regen produzieren. Aber trotzdem wäre es problematisch, wenn traditionelle Kulturen auf ihre Regenmacher verzichteten. Ihr Nutzen, darauf haben schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ethnologen und Soziologen hingewiesen, besteht nicht so sehr im offiziellen Auftrag der übernatürlichen Produktion von Niederschlägen, sondern vielmehr darin, für Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft zu sorgen. Der Regenmacher bietet der Gemeinschaft die Möglichkeit, anhand der Frage von Regen oder Trockenheit zu diskutieren, ob ihnen die Götter und Geister gewogen sind. Der Regenmacher-Effekt beschreibt die Einsicht, dass viele gesellschaftliche Institutionen zwar nicht das erreichen, was sie versprechen, dafür aber andere nützliche, nicht sofort sichtbare Funktionen haben.1
Die zentrale These dieses Buches lautet, dass wir bei den zurzeit im Management gehandelten Konzepten wie der lernenden Organisation, der wissensbasierten Unternehmung oder des agilen Systems einen solchen Regenmacher-Effekt beobachten können. Diese mehr oder minder neuen Managementkonzepte versprechen bewährte, vermeintlich rationale Prinzipien für einen erfolgreichen Organisationswandel. Nur wenn man einen Veränderungsprozess nach bewährten Prinzipien - wie klare Zielsetzung, Identifikation der Mitarbeiter, Partizipation und Kommunikation, permanentes Lernen - organisiere, könne man mit einem Erfolg der Veränderungsmaßnahmen rechnen.2 In diesem Buch wird die Schlüssigkeit dieser Prinzipien grundlegend hinterfragt, ohne aber die neuen, wandlungsorientierten Managementkonzepte gleich als nutzlos verdammen zu wollen. Wie bei den Regenmachern gibt es auch bei den neuen Managementkonzepten einen versteckten, nicht sofort sichtbaren Nutzen. Der versteckte Nutzen der aktuell gehandelten Leitbilder besteht darin, den Mitarbeitern in einer Situation hoher Verunsicherung Orientierung zu geben. Genauso wie es zweifelhaft ist, ob Regenmacher wirklich Regen machen, ist es fragwürdig, ob die Prinzipien 'guten' Organisationswandels zum Erfolg der geplanten Veränderungsmaßnahmen führen. Aber sie halten in Momenten radikaler Umbrüche das Gemeinwesen in Betrieben, Verwaltungen, Verbänden oder afrikanischen Dörfern zusammen.
Die drei Seiten der Organisation
In der Auseinandersetzung mit Konzepten wie der lernenden Organisation, der wissensbasierten Firma oder des agilen Systems gehe ich von der Annahme aus, dass man systematisch drei Seiten einer Organisation unterscheiden muss (vgl. Kühl 2011: 90f.). Bei der Schauseite handelt es sich um die Fassade der Organisation. Sie soll durch ihre Ausschmückungen, durch ihre Ornamente oder auch nur ihre Ebenmäßigkeit etwas darstellen (vgl. Rottenburg 1996: 191ff.). Organisationen präsentieren nach außen hin eine möglichst attraktive 'Fassade', um die Zuneigung der Kunden zu erhalten, eine positive Grundhaltung der Massenmedien ihnen gegenüber zu erzeugen oder um Legitimierung durch die politischen Kräfte zu bewirken. Was im hinteren Teil des 'Geschäfts' abläuft, ist nicht völlig unwichtig, aber das Überleben einer Organisation hängt in vielen Fällen maßgeblich davon ab, dass die 'Fassade' mit ihren 'Schaufenstern' entsprechend verschönert wird. Bei der formalen Seite handelt es sich um das offizielle Regelwerk, an das sich die Mitglieder gebunden fühlen. Dies ist die Seite der Organisation, die am ehesten die Assoziation von Organisationen als Maschinen weckt. Wie Maschinen setzten sich auch Organisationen aus präzise definierten Einzelteilen zusammen. Jedes Einzelteil diene dabei einer genau festgelegten Funktion innerhalb der Maschinerie (vgl. Ward 1964: 37ff.). Die informale Seite einer Organisation lässt sich am ehesten mit der Metapher des Spiels beschreiben. Wenn man sich die informale Seite einer Organisation ansieht, dann fühlt man sich ein bisschen an das 'Fußballspiel der Tiere' aus Walt Disneys 'Tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett' erinnert. Das 'wilde Leben in der Organisation' erinnert an ein Spiel auf einem runden, schräg geneigten Spielfeld mit einer Vielzahl von Toren, bei dem die Beteiligten nach Lust und Laune zusätzliche Bälle ins Spiel werfen können und jeder bei einem Treffer höllisch aufpassen muss, dass ein Tor ihm auch zugeschrieben wird (vgl. Weick 1976: 1).
Aus meiner Sicht stellen Konzepte wie lernende Organisation, wissensbasierte Firma, agile Systeme oder wie die Rezepte für rationalen Organisationswandel in Zukunft auch immer heißen mögen, erst einmal 'nur' Veränderungen auf der Schauseite der Organisation dar. Während Organisationen sich früher vorrangig mit ihren rationalen Formen der Organisationsstruktur präsentiert haben, preisen sie jetzt immer mehr ihre vermeintlich rationalen Formen des Organisationswandels. In diesem Buch nehme ich die Schauseiten der lernenden Organisationen, der wissensbasierten Firmen, der agilen Systeme ernst und zeige, was passieren würde, wenn Organisationen tatsächlich nach diesen als rational präsentierten Prinzipien des Wandels leben würden. Mit diesen Prinzipien, die auf der Schauseite so überzeugend wirken, handelt man sich - so meine These - im Organisationsalltag eine Vielzahl von ungewollten Nebenfolgen ein. Diese Nebenfolgen können erklären, weswegen die lernenden Organisationen, die wissensbasierten Firmen nie so funktionieren, wie sie sich auf ihrer Schauseite präsentieren.
Herausforderungen an ein auch für Praktiker lesbares organisationswissenschaftliches Buch
Die Herausforderung beim Schreiben dieses Buches bestand für mich darin, die Probleme, die Organisationspraktiker in Veränderungsprojekten beobachten, mit Einsichten der Organisationsforschung zu verknüpfen. Es gibt gute Gründe dafür, dass es zwischen der Organisationspraxis auf der einen Seite und der Organisationswissenschaft auf der anderen Seite 'Kommunikationsbarrieren' gibt. Organisationspraktiker müssen in Organisationen kurzfristig Probleme aus der Welt schaffen und identifizieren sich fast zwangsläufig mit den von ihnen praktizierten Lösungen. Organisationswissenschaftlern dagegen geht es um eine möglichst präzise Beschreibung der Organisation. Sie nehmen deswegen häufig eine distanzierte Haltung zu den in Organisationen existierenden Problemen und Lösungsansätzen ein.
Trotz dieser Kommunikationsbarrieren habe ich jedoch die Hoffnung, durch meine Einmischung in die Diskussion über die lernende Organisation und die wissensbasierte Unternehmung eine Brücke zwischen den weitgehend getrennten Welten der Organisationspraxis auf der einen und der tendenziell im wissenschaftlichen Elfenbeinturm verharrenden Organisationstheorie auf der anderen Seite zu schlagen. Organisationswissenschaftlern wird dabei zugemutet, Überlegungen und Thesen in essayistischer Form präsentiert zu bekommen, in einer Form also, die nicht den gewohnten Kriterien des innerwissenschaftlichen Diskurses entspricht. In diesem zugegebenermaßen etwas länger geratenen Essay greife ich zwar vielfach auf illustrierende Geschichten 'aus dem Leben' der Organisationen zurück, führe sie aber nicht mit den in der Organisationswissenschaft üblichen ausführlichen Methoden- und Falldarstellungen ein. Trotz dieses Abweichens von den üblichen wissenschaftlichen Standards können aber auch Organisationswissenschaftler - vorausgesetzt, sie lassen sich durch den essayistischen Charakter dieses Textes nicht abschrecken - die eine oder andere These, die eine oder andere Beobachtung entdecken, die die wissenschaftliche Auseinandersetzung über Organisationswandel voranbringen kann.
Organisationspraktiker können insofern beruhigt sein, als es sich nicht um ein 'typisch wissenschaftliches Buch' handelt. Obwohl dieses Buch auf der systemtheoretischen Organisationswissenschaft basiert, werden die Überlegungen in einer Form präsentiert, die auch Praktikern zugänglich ist. Organisationspraktikern wird aber abverlangt, sich mit einer Sichtweise von Organisationen auseinanderzusetzen, die nicht den gängigen Vorstellungen von 'Erfolgsversprechen' und 'Schlüssigkeit' entspricht. Die Überlegungen in diesem Buch haben zwar den Anspruch, 'praktisch' zu sein, sie sind aber nicht dafür geschaffen, eins zu eins in konkretes Handeln umgesetzt zu werden. Wer die Hoffnung hat, am Ende dieses Buches eine Checkliste mit dem Titel 'Was Sie ab nächster Woche anders machen müssen' zu finden, wird enttäuscht sein. Wer sichere Wege für größeren organisationalen Erfolg, finanziellen Reichtum oder ein optimales 'Change Management' erwartet, der sollte dieses Buch besser zur Seite legen.