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Total Diffus - Erwachsenwerden in der jugendlichen Gesellschaft

Malte Mienert

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN 9783531910932 , 176 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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26,99 EUR


 

Partnerschaft statt Freundschaft in der Eltern-/Kindbeziehung (S. 139-140)

„Ich habe keine Hoffnung mehr für die Zukunft unseres Volkes, wenn sie von der frivolen Jugend von heute abhängig sein soll. Denn die Jugend ist ohne Zweifel unerhört rücksichtslos und frühreif. Als ich noch jünger war, lehrte man uns gutes Benehmen und Respekt vor unseren Eltern. Aber die Jugend von heute will alles besser wissen und ist immer mit dem Mund vorweg."
(Hesiod, 800 v.Chr.)

Der Wandel, der sich in der Gesellschaft vollzieht, hat auch ihre kleinste Zelle erreicht. Eltern beobachten heute, dass sich das Zusammenleben mit ihren eigenen jugendlichen Kindern anders gestaltet als damals, als sie selbst jugendliche Kinder waren. Interessant dabei ist, dass das, was die Eltern in ihrer Kindheit als negativ und belastend erfahren haben, genau das ist, was sie sich heute wünschen für den Umgang mit den eigenen Kindern.

Die klare Vormachtstellung, die Eltern früher gegenüber ihren Kindern gehabt haben, also die alles gebietende Autorität, ist heute verloren gegangen. Der Wechsel von der Kommando- zur Verhandlungsfamilie hat für die Jugendlichen neue Freiheiten gebracht. Obwohl sich die Eltern diese damals für sich selbst gewünscht hätten, empfinden sie sie heute durchaus als eine Belastung. Was würden sie dafür geben, so manch langwierige Diskussion mit einem klaren Kommando abkürzen zu können! Die neue Macht der Kinder Ursachen für diesen Wandel in den Familien sind der veränderte Stellenwert von Kindern und die veränderten Machtverhältnisse in der Familie.

Der Stellenwert hat sich dadurch geändert, dass Kinder heute nicht mehr regulärer Bestandteil einer normal verlaufenden Biografie sind. Es ist inzwischen nicht mehr selbstverständlich, Kinder zu bekommen. Wer heute welche bekommt, tut dies aus bestimmten selbstbezogenen Erwartungen heraus. Eltern versprechen sich etwas davon: eine sinnvolle Ergänzung in der eigenen Biografie, emotionales Wohlbefinden, Zufriedenheit. Das ist neu und war früher nicht der Fall.

Dieses Gefühl von Zufriedenheit kann sich bei Eltern nur einstellen, wenn sie von ihren Kindern auch gemocht werden. Aus diesem Grund können sie sich über deren Bedürfnisse nicht einfach hinwegsetzen, wodurch sie sich sehr viel stärker in einer emotionalen Abhängigkeit von ihren Kindern befinden, die – sobald sie dies bemerken – auch mehr Druck auf sie ausüben wollen und können. Kinder sind also heute in der Lage, den Eltern emotionale Zuwendung zu entziehen und sie damit zu bestrafen. Eine derartige emotionale Abhängigkeit von den Eltern gab es früher nicht in diesem Maße. Ob die Kinder die Eltern mochten oder nicht, spielte keine große Rolle.

Heute ersetzen viele Erziehungsberechtigte das autoritäre Verhalten ihrer eigenen Eltern durch ein partnerschaftliches oder sogar freundschaftliches Verhältnis und versprechen sich davon einen emotionalen Zugewinn statt wie früher Alterssicherung. Damit wächst auch der Druck auf die Kinder und Jugendlichen. Kinder sind noch sehr stark auf die emotionale Zuwendung der Eltern angewiesen und geben ihnen daher auch viel zurück. Sobald sie sich aber aus der Familie herausorientieren und sich zunehmend auf Freunde oder intime Partner fokussieren, wird das, was sie sich von ihnen versprochen haben, zu einem immer knapperen Gut, und der Druck wächst.

Liebesentzug – die schärfste Waffe In Verhandlungen zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern wird die Androhung von Liebesentzug daher auch gegenseitig zur stärksten Waffe. Das sieht man an der Art der Sanktionen, die Eltern gegenüber ihren Kindern wählen. Körperliche Bestrafungen, die ohnehin verboten sind, verlieren immer mehr an Bedeutung, wenn die Kinder älter werden, da selbstverständlich die Angst der Eltern wächst, der Stärke der Kinder nicht mehr gewachsen zu sein.