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Salamitaktik - Vincent Jakobs' 8. Fall

Kathrin Heinrichs

 

Verlag Blatt Verlag, 2014

ISBN 9783934327238 , 233 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

5

Als um halb neun das Telefon klingelte, rechnete ich mit Alexa, der ich die Neuigkeit schon auf die Mailbox gesprochen hatte. Fehlanzeige – Silke war dran. „Hast du’s gehört?“

„Ja, im Radio.“

„Ich fass das einfach nicht“, Silkes Stimme knickte ein.

Offenbar hatte sie zu weinen begonnen. „Erst das Fußballspiel, dann die ausgelassene Feier, Rollos seltsame Ankündigung – und jetzt ist er tot.“

„Moment mal! Welche seltsame Ankündigung?“

„Wie? Du weißt das noch gar nicht?“ Silke hörte unvermittelt auf zu weinen. „Roland hat gestern sein Traineramt niedergelegt.“

„Das gibt’s doch gar nicht!“ Ich war ehrlich platt. „Obwohl sie gerade aufgestiegen sind? Was ist los? Hat er ein besseres Angebot bekommen? Wollte er sich berufich verändern?“

„Wenn ja, dann wusste davon noch nicht mal sein Arbeitgeber was! Roland arbeitete ja bei Theo Nolte – genau wie Andi. Und Nolte selbst hat Rollo auf der Feier nach seinen Zukunftsplänen befragt – er ist beinahe umgefallen, als er gehört hat, dass Rollo aufhören will.“

Oh Mann, Roland Kampmanns Tod war schon schlimm genug, aber diese Neuigkeit warf ein anderes Licht auf das Geschehen.

„Die Party war dann auch ziemlich schnell vorbei, die ganze Gesellschaft stand unter Schock. Du hättest das sehen sollen, wie Rollo nach seiner Ankündigung durch die Menge gewankt und dann sturzbetrunken losgefahren ist.“

Hätte ich das sehen wollen? Eher nicht – auch wenn ich mich inzwischen daran gewöhnt hatte, dass man im Sauerland gelegentlich mit einer Promille zu viel im Blut fuhr. Landleben halt.

„Kampmann ist also anschließend nach Hause gefahren“, versuchte ich die tausend Fragen zu bündeln, die durch meinen Kopf schwirrten. „War das eigentlich sein Haus, das da abgebrannt ist? Hat er es gekauft?“

„Iwo, das hat er gemietet. Von Ulla Nolte und ihrem Bruder. Die werden ihm das günstig überlassen haben.”

„Moment, er hat für Nolte gearbeitet und dann auch gleich dessen Haus gemietet? Hat er vielleicht auch noch jeden Tag ein Wurstpaket gekriegt?“

„Mensch, Vincent, so läuft das nun mal. Es ist gar nicht so leicht, gute Leute ins Sauerland zu holen. Viele bleiben ja lieber in der Großstadt. Da muss man als Arbeitgeber auch schon mal was bieten. Nicht nur die Arbeitsstelle, sondern auch gleich die passende Wohnung – “

„ – und den passenden Fußballverein“, setzte ich fort.

„In gewisser Weise schon. Als Theo gehört hat, dass Roland mal Zweite Bundesliga gespielt hat, hat er ihn sofort abgefscht.“

„Dann war er sicher nicht glücklich, dass der Fisch wieder aus dem Netz schwimmen wollte.“

Mein Satz hing ein Weilchen in der Luft.

„Wo liegt das Haus, in dem Roland gewohnt hat?“

„Kennst du das nicht?“ Silke war überrascht. Typische Reaktion von Leuten, die schon 300 Jahre hier wohnten und sich gar nicht vorstellen konnten, dass Leute, die erst 20 Jahre hier wohnten, keine Ahnung hatten, wer Gerkes Hennes war, wo früher die alte Post gestanden hatte und dass es nach Frielingsen eine Abkürzung gab.

„Das Haus fällt doch sofort auf, wenn man an den Ermeder Fischteichen spazieren geht und dann in diesen holprigen Wirtschaftsweg abbiegt. So eine kleine Hucke aus Fachwerk. Ulla Noltes Elternhaus.“

Ich hatte jetzt tatsächlich eine Vorstellung. Alexa und ich waren dort mal mit dem Hund spazieren gegangen.

„Warst du mal drin in dem Haus?“

„Ja, bei einer Vereinsbesprechung. Ist ganz schnucklig, die Hütte, und Ulla Nolte und ihr Bruder haben vor ein paar Jahren auch mal richtig was reingesteckt. Doc Weingarten hat erst eine Weile selbst drin gewohnt, aber dann hat er die alte Hollmann-Villa gekauft und sie als Ärztehaus vermarktet. Dort hat er jetzt seine Praxis und eine schicke Dachgeschosswohnung mit Blick auf den Markt. Ich kann’s ihm nicht verdenken. Sein Elternhaus ist nett, aber wohnen wollte ich da nicht: Die Decken total niedrig, die Fenster klein – und man lebt am Ende der Welt. Aber Roland hat es genossen – mitten im Wald und jenseits von allem. Dort konnte er seinen Sport machen – joggen, mountainbiken, klettern … Er war echt ziemlich ft! Allerdings – was hat es ihm genutzt?“ Silkes Stimme bebte. „Jetzt ist er tot.“

“Eigentlich ist das ja noch gar nicht endgültig klar”, brachte ich vor, obwohl ich selbst auch nicht daran glaubte. „Ich meine, man hat eine Leiche gefunden. Aber soviel ich weiß, ist sie noch gar nicht als Roland Kampmann identifziert.“

Es war ein sanftes Geräusch, das mich herumfahren ließ.

Im Raum stand Paul – im Schlafanzug und auf nackten Füßen. Er sah mich mit großen Augen an. Sein Mund stand offen, als wollte er etwas sagen. Neben ihm sein gelbschwarzes Fußballkuschelkissen. Es war ihm aus den Händen gefallen. „Paul“, sagte ich in den Hörer hinein. „Du bist auf?!“

Er zögerte einen Moment, dann drehte er sich um und lief weg.

6

Paul war am Ende. Zum ersten Mal war der Tod in sein Leben getreten – zwar war da jemand gestorben, den er gar nicht näher kannte, aber es waren die Umstände des Todes, die ihn aufs Heftigste erschütterten. Er saß, in eine Decke gewickelt, auf seinem Bett und versuchte tapfer, keine Träne zu vergießen. Ich hatte mir seinen Schreibtischstuhl herangezogen und mich vor sein Bett gesetzt.

„Wenn man verbrennt“, brachte Paul mit leiser Stimme hervor, „dann verbrennt ja alles mit. Dann sind also auch die roten Turnschuhe verbrannt.“

„Vermutlich, ja.“ Es war befremdlich, sich diese Dinge so konkret vor Augen zu führen.

Paul ging noch weiter. „Und wie fühlt sich das an, wenn man verbrennt?“

„Gott sei Dank weiß ich das nicht.“

Paul überlegte schon weiter. „Was ist wohl schlimmer? Zu wissen, dass man gerade brennt – oder die Hitze, die einem Schmerzen bereitet?“

„Wahrscheinlich keins von beiden“, gab ich zu bedenken.

„Ich könnte mir vorstellen, dass Roland geschlafen hat, als das Feuer ausgebrochen ist. Vermutlich ist er im Schlaf bewusstlos geworden und dann erstickt. Wenn man so will, ist es nicht der allerschlimmste Tod, den man erleiden kann.“

„Weil man nichts mitbekommt?“

Ich nickte.

„Trotzdem ist es schlimm.“ Paul legte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Ich streichelte sein Bein.

„Papa?“

„Ja?“

„Meinst du, jemand hat das Feuer gelegt?“

„Das weiß ich nicht, Paul. Noch hat die Polizei das nicht herausgefunden. Aber es gibt viele Gründe, wie ein Brand entstehen kann. In letzter Zeit hat es wenig geregnet, da reicht manchmal ein Funke, um eine Katastrophe anzurichten. Vielleicht hat Roland eine Zigarette geraucht und ist dabei eingeschlafen. Angeblich hat er auf der Feier ein bisschen was getrunken.“

„Es könnte auch der Kamin gebrannt haben“, fel es Paul ein.

„Ich meine, es könnte ein Funke aus dem Kamin gesprungen sein – wie bei Tims Opa.“

„Theoretisch ja. Allerdings glaube ich nicht, dass Roland im April den Kamin angemacht hat. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten“, beeilte ich mich zu sagen, „manchmal kommt es zu einem Brand, wenn ein technisches Gerät defekt ist. Ein Fernseher, eine Musikanlage – was auch immer.“

„Vielleicht hat er auch eine Kerze angelassen“, überlegte Paul.

„Auch das.“

„Oder ein Meteorit ist in das Haus eingeschlagen.“

„Hmm, ja vielleicht. Ganz vielleicht.“

Wir schwiegen eine Weile.

Dann ein einzelner Satz. „Ich glaube, ich muss jetzt mal eine Weile allein sein.“

Mein Sohn konnte mich immer wieder überraschen. Er war acht Jahre alt. Er hatte gerade etwas Schreckliches gehört. Er liebte seinen Vater, da war ich mir sicher. Trotzdem musste er jetzt mal eine Weile allein sein.

„In Ordnung, Paul, du weißt ja, wo du mich fndest.“

Er nickte, ohne mich anzusehen. Ich stand auf und war schon an der Tür, als er doch noch etwas sagte. „Papa, ich hoffe, dass du nicht von einem Meteorit getroffen wirst.“

Ich merkte, dass meine Augen feucht wurden, aber ich versuchte tapfer, es mir nicht anmerken zu lassen.

„Das ist schön, Paul. Dasselbe hoffe ich für dich.“

7

Das mit dem Meteoriten erledigte sich schnell. Die Information dazu bekam ich vom Sheriff. Der Sheriff war Dieter Rehmes. Zumindest war er der Sheriff unserer Straße. Hauptberufich war er Feuerwehrmann, wobei Wilma Wortmann behauptete, das sei eigentlich sein Nebenberuf. Sein Hauptberuf sei eben Sheriff.

Feuerwehrleute sind ja bekanntlich souverän, mutig und meist auch noch sehr attraktiv. So attraktiv, dass man ihnen Kalender widmet. Dieter schien mir in jeder Hinsicht ein Gegenbeispiel zu sein. Er stand häufg mit nacktem Oberkörper am Wegrand, gab den Anwohnern Tipps, die sie nicht hören wollten, trug aber im Gegenzug dem alten Kaschulke die Getränkekästen ins...