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Die Herrscher der Welt - Wie Mikroben unser Leben bestimmen

Bernhard Kegel

 

Verlag DUMONT Buchverlag, 2015

ISBN 9783832188580 , 382 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Einführung

Wahrscheinlich mögen Sie keine Bakterien. Niemand mag sie. Bakterien verursachen abscheuliche Krankheiten und gedeihen da, wo Chaos und Verfall regieren, das weiß jedes Kind, spätestens seit es Geschichten über die Zahnzerstörer Karius und Baktus gehört hat. Diese Abneigung sitzt tief und ist wohlbegründet. Ganze Heerscharen von Ärzten verschrieben sich dem Kampf gegen Bakterien, und einige haben dabei sogar ihr Leben verloren. Koch, Pasteur, Virchow, die größten Heroen der Medizingeschichte, gelangten zu Ruhm, weil sie wichtige Erkenntnisse über Bakterien gewinnen und Etappensiege über einzelne Erreger erringen konnten. Dass diese Mikroben auch unsere Abwässer reinigen und unschätzbare ökologische Dienste beim Abbau organischer Substanz leisten, dass es ohne sie weder Harzer Käse noch Joghurt oder Essig gäbe … geschenkt. Die Vorstellung, Ihre Umgebung, Ihr Badezimmer, Ihre Küche, der Kühlschrank und die Spüle, ja, Sie selbst könnten mit Unmengen von Bakterien und anderen Mikroben kontaminiert sein, ist Ihnen sicher ein Graus, und vermutlich tun Sie das Menschenmögliche, um dieser unsichtbaren Plage Herr zu werden. Alle tun das.

Keine Angst, ich werde im Folgenden nicht versuchen, Ihr Mitleid zu erwecken, werde nicht über arme schutzlose und bedrohte Mikroben lamentieren, die, statt von uns erbittert bekämpft zu werden, im Grunde Mitgefühl und Wertschätzung verdienten. Das haben diese Winzlinge nicht nötig. Sie sind so unfassbar viel älter als alles, was sich je mithilfe von Beinen, Flügeln oder Flossen über diesen Planeten bewegte oder in seinem Boden wurzelte. Gemessen an ihrer Zahl und der Vielfalt ihrer Lebensstrategien sind Mikroben unangefochten die vorherrschende Lebensform auf Erden. Und sie waren es von Anbeginn. Hätte es einige von ihnen nicht gegeben, die Erde wäre für alle Zeiten der lebensfeindliche Planet geblieben, der sie einmal war, und komplexere Lebensformen, wie wir sie kennen – die Pflanzen, Pilze und Tiere –, wären nie entstanden. Auch ein paar Hundertmillionen Jahre Evolution der Vielzeller haben an ihrer herausragenden Position nichts geändert. Wie bizarr und imposant die vermeintlichen Herrschertiere zu Lande und zu Wasser auch gewesen sein mögen, die Dinosaurier und Ammoniten, Trilobiten und Insekten, Säugetiere und Vögel, der Mensch – die Erde ist seit der Entstehung des Lebens ein Planet der Mikroben gewesen und sie ist es bis heute geblieben.

Doch selbst wenn man guten Willens ist: Wie soll man etwas wertschätzen, das man nicht einmal sehen kann? Killer unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, die Millionen von Menschen auf dem Gewissen haben? Pest, Typhus, Cholera, Diphtherie, Syphilis, Tuberkulose, um nur einige der Wichtigsten zu nennen. Erst mit der Entdeckung des Penizillins und der Entwicklung von Impfstoffen haben diese und viele andere Krankheiten ihren Schrecken verloren – für Menschen, die das Glück haben, in Ländern mit guter medizinischer Versorgung zu leben, keineswegs für alle. Und Meldungen über die bedrohliche Zunahme multiresistenter Bakterienstämme lassen erahnen, dass dieser Triumph über die Mikroben möglicherweise nicht von Dauer sein könnte. Die wichtigsten Waffen, die wir gegen sie in Stellung gebracht haben, beginnen stumpf zu werden.

Ein Autor, der einen derartigen Unsympathen zum Helden seines Buches machen möchte, hat ein Problem. Auf den folgenden Seiten wird es um revolutionäre neue Erkenntnisse der Biowissenschaften gehen, die uns alle angehen und interessieren sollten. Sie betreffen uns Menschen und wahrscheinlich jeden anderen Organismus auf diesem Planeten und sie werden die Art, wie wir uns selbst und das Phänomen Leben sehen, auf eine Weise verändern, die noch gar nicht abzusehen ist. Sie sollten also versuchen, gegenüber Bakterien und den anderen einzelligen Helden, denen Sie auf den folgenden Seiten begegnen werden, zumindest für die Zeit Ihrer Lektüre eine eher entspannt-gelassene Haltung einzunehmen. Obwohl auf fast jeder Seite von ihnen die Rede sein wird, ist dies kein Buch, das in erster Linie von Bakterien und anderen Mikroben handelt. Im Mittelpunkt steht die Verknüpfung von Mikro- und Makrokosmos, das faszinierende Miteinander von überaus versierten Einzellern und allen anderen Lebewesen einschließlich des Menschen. Mit modernsten Methoden sind Wissenschaftler dabei, den Vorhang vor einem Schauspiel zu lüften, das weniger von Krankheit, Siechtum und Tod als von Gesundheit, Kooperation und Arbeitsteilung handelt. Sie werden eine ganz andere und viel freundlichere Seite dieser kleinsten aller Lebewesen kennenlernen. Außerdem haben wir keine Wahl. Entkommen kann man ihnen nicht.

Menschen sind Teil der Natur, Teil der Ökosysteme dieser Erde – Sätze wie diese sind fast schon zu Binsenwahrheiten verkommen, nicht erst in Zeiten des globalen Wandels. Aber wurden sie konsequent zu Ende gedacht? Unser Tun verändert die Welt, hat Auswirkungen auf zahllose Lebewesen, die den Lebensraum mit uns teilen. Umgekehrt sind wir auf sauberes Wasser und saubere Luft angewiesen, brauchen Sauerstoff und Nahrung. Doch Teil der Natur zu sein bedeutet mehr, und der Satz gilt auch umgekehrt: Die Natur ist Teil des Menschen. Sie ist Teil jedes Lebewesens. Erst in den letzten Jahren haben die Wissenschaftler gelernt, wie wörtlich diese Aussage zu verstehen ist.

  

Haben Sie ein Foto von Freunden oder Familienmitgliedern greifbar? Oder vielleicht eine Illustrierte, eine Programmzeitschrift? Was sehen Sie darauf?

Dumme Frage, werden Sie denken, Menschen natürlich. Vermutlich gehören diese Menschen irgendeiner sozialen Gruppe an, einer Familie, einer Peergroup, einem Volk oder einer Ethnie. Es handelt sich jedoch eindeutig um Einzelwesen, um Individuen mit bestimmten Eigenschaften, Kennzeichen und Fähigkeiten, die sie geerbt, gelernt oder auf andere Weise erworben haben.

Aus biologischer Sicht würde man sagen: Es handelt sich um Exemplare der Hominiden-Spezies Mensch (Homo sapiens sapiens). Obwohl wir es ohne technische Hilfsmittel nicht sehen können, wissen wir, dass ihre Körper aus Milliarden winziger Zellen bestehen. Diese Zellen können unterschiedlichste Gestalt annehmen und eine Vielzahl an zum Teil hoch spezialisierten Aufgaben erfüllen, sie sind aber ausnahmslos durch Teilung aus einer einzigen hervorgegangen, der befruchteten Eizelle, und daher genetisch identisch. Nach der Teilung bleiben fast alle Zellen miteinander verbunden und ordnen sich gemäß ihrem genetischen Plan und unter Einfluss der Umwelt zu einem vielzelligen, komplexen Ganzen an – dem Wunder Mensch. Alles, was sie zu leisten imstande sind, vom Verdauen der Nahrung bis zur Errichtung gigantischer Bauwerke, alle ihre Merkmale und Eigenschaften schaffen diese Wesen aus sich selbst heraus, im Zusammenspiel ihrer Zellen und in Kooperation mit anderen Einzelwesen ihrer Art.

In ganz ähnlicher Weise würden wir aber auch Tiere beschreiben, einen Hund, ein Pferd oder einen Elefanten, sogar einen Regenwurm oder einen Schmetterling. Auch sie bewerkstelligen alles, was sie können, aus eigener Kraft oder in Zusammenarbeit mit Artgenossen. Das Gleiche gilt für Pflanzen (obwohl die Verhältnisse hier komplizierter sind). Kurz: Die Tatsache, dass die meisten Organismen einschließlich des Menschen autarke Einzelwesen sind, ist für uns eine Selbstverständlichkeit – und zwar nicht nur für wissenschaftliche Laien. Die Existenz biologischer Individuen bildet die Grundlage vieler Fachdisziplinen, von der Genetik über Anatomie und Physiologie bis zur Evolutionsbiologie.

In letzter Zeit mehren sich jedoch die Zeichen, dass diese unsere Sicht auf die belebte Welt und uns selbst falsch oder zumindest in grober Weise unvollständig ist. Ein wesentlicher, ja entscheidender Teil der Realität ist unserer Aufmerksamkeit entgangen. Wie fundamental dieser Fehler war, lässt sich vielleicht erahnen, wenn man sich folgendes Bild vor Augen führt: Ein Außerirdischer beobachtet ein gähnend leeres Stadion, in dem zwei Mannschaften ein leidenschaftlich geführtes Ballspiel austragen. Nach einer Weile begreift er, worum es dabei geht: Das kleine Runde muss ins Eckige. Offenbar folgt das Ganze bestimmten Regeln, und ein schwarz gekleideter Mann mit Trillerpfeife achtet darauf, dass sie eingehalten werden. Warum wird das Spiel aber in einem riesigen Stadion ausgetragen, auf dessen Sitzreihen sich nur eine Handvoll Zuschauer verlieren, und warum abends, im Dunkeln, sodass man es mit großen Scheinwerfern aufwendig beleuchten muss? Wieso tragen die Spieler bunte Schriftzeichen auf der Brust und warum kämpfen sie bis zum Umfallen? Niemand sieht oder hört zu. Was also sollen die vielen Werbetafeln, die sich dauernd verändern, der riesige Bildschirm, auf dem Spielszenen wiederholt werden, die Lautsprecherdurchsagen, das Feuerwerk, die wehenden Fahnen an den Masten, die Musik, für wen tanzen die jungen Mädchen? Vieles bleibt für den Alien unverständlich, und er sucht nach Erklärungen. Wird das alles veranstaltet, um die Konzentrationsfähigkeit der Spieler auf die Probe zu stellen? Oder damit die, die auf der Ersatzbank sitzen, sich nicht langweilen? Der Außerirdische weiß nicht, dass die gastgebende Mannschaft zu diesem Geisterspiel verdonnert wurde, weil es beim letzten Heimspiel zu schweren Zuschauerausschreitungen gekommen war. Vor allem ahnt er nicht, dass an diesem Spektakel nicht nur die wenigen Menschen beteiligt sind, die sich im Stadion befinden. Für ihn unsichtbar sitzen Millionen von Zuschauern in Kneipen und Wohnzimmern, um das Spiel zur besten Sendezeit an ihren Fernsehschirmen zu verfolgen. Ihnen gilt der ganze Aufwand. Sie sind die eigentlichen Adressaten. Ohne sie würde dieses Spiel so nicht stattfinden.

Bis vor Kurzem befanden...