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Revolution - Anleitung für eine neue Weltordnung

Russell Brand

 

Verlag Heyne, 2015

ISBN 9783641162757 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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18,99 EUR


 

Kapitel 2

Gelassenheit jetzt

Die Situation, in der wir uns befinden, lässt sich nur als geisteskrank bezeichnen. Wie kommt es, dass dieses ungerechte, ausbeuterische System weiterhin am Laufen gehalten wird? Quentin Crisp, der scharfzüngige britische Dandy, dem Sting mit seinem Song An Englishman in New York ein Denkmal gesetzt hat, sagte einmal: »Charisma ist die Fähigkeit, Menschen unter Verzicht von Logik zu beeinflussen.« Wenn dem so ist, dann müssen David Cameron, Donald Rumsfeld und Rupert Murdoch trotz ihrer einschläfernden Hackfressen von uns allen unbemerkt über einen Sex-Appeal wie Elvis verfügen, um diesen ungleichen Reigen weiterzutanzen.

Es gibt keinen logischen Grund, ein derlei ungerechtes und destruktives System aufrechtzuerhalten, insofern müssen diese unerkannten Sexbomben dahinterstecken. Das effektivste Werkzeug für die Aufrechterhaltung des Status quo ist unser Glauben, dass es nicht möglich sei, daran etwas zu ändern. »Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – wenn man von all den anderen absieht, die man von Zeit zu Zeit immer mal wieder ausprobiert hat.« Diesen Satz sprach Winston Churchill, als er erfuhr, dass die Briten ihn nach dem Sieg Englands im Zweiten Weltkrieg abgewählt hatten.

Angeblich fiel ihm der Spruch in der Badewanne ein, was nicht unbedingt der beste Ort ist, um Epigramme abzusondern, vor allem, wenn man gleichzeitig seine Zigarre trocken halten muss. Auf jeden Fall ist es für die Eliten an der Spitze ganz praktisch, dass es keine Alternative zu diesem System gibt, in dem sie selbst einen mit unermesslichem Luxus ausgestatteten Elfenbeinturm bewohnen. Wie schön, dass keine Aussicht auf Veränderung besteht. Wie passend, dass jede Alternative, die infrage käme, entweder konsequent ignoriert oder vehement diskreditiert wird.

Die Einsicht, dass es möglich ist, mein Leben zu ändern und meinen klaren Verstand wiederzuerlangen, war ein integraler Bestandteil der Überwindung meiner Alkohol- und Drogensucht. Und ich bin der festen Ansicht, dass diese Einsicht auch auf gesellschaftlicher Ebene unabdingbar ist.

Sie haben vermutlich schon bemerkt, dass ich immer mal wieder Gott erwähne. Zumindest falls Sie nicht ausgerechnet der Typ sind, der auf seiner Jacht rumlungert und nur oberflächlich in diesem Buch herumblättert, während die russischen Schwestern herumnörgeln und der Schampus schal wird. Doch ehrlich gesagt sind Oligarchen ohnehin nicht die Zielgruppe dieses Buchs. Falls Sie trotzdem einer sind, möchte ich Sie bitten, das Buch für die Nachwelt an Deck abzulegen und sich ins salzige Nass zu stürzen.

Der Grund, warum ich Gott immer wieder erwähne, ist, dass ich an Gott glaube. Das mag für eine Menge Leute überraschend klingen – immerhin haben wir 2015, und wir leben in einer technologisch fortgeschrittenen, säkularen Kultur.

Gott wird heutzutage in erster Linie in Verbindung gebracht mit beschränkten Weißen und zornigen Dunkelhäutigen. Der (verstorbene) Friedrich Nietzsche hat Gott zwar für tot erklärt, doch seitdem beobachten wir eine Entwicklung, die der britische Autor G. K. Chesterton so beschrieben hat: »Dass Gott tot ist, bedeutet nicht, dass die Menschen nunmehr an gar nichts mehr glauben, sondern im Gegenteil, dass sie bereit sind, an so gut wie alles zu glauben.«

Ich bin dafür ein gutes Beispiel. Als Dreizehnjähriger glaubte ich an Lakeside, als Achtjähriger an Kekse, mit siebzehn war ich fanatischer Wichser und mit neunzehn begeisterter Drogenkonsument, bevor ich schließlich im Kloster des Prominentendaseins landete.

Im Anschluss an meinen ebenso aufschlussreichen wie verwirrenden Besuch bei der Eröffnung des Mind Shop, stattete ich meiner alten Schule einen Besuch ab, einerseits um zu sehen, ob sie tatsächlich so schlimm war, wie ich sie in Erinnerung hatte, andererseits um festzustellen, ob es damit vielleicht noch weiter abwärts gegangen war. Jedes Mal wenn ich vor jungen Leuten stehe, habe ich das Gefühl, die anwesenden Respektspersonen erwarten von mir, dass ich Weisheiten absondere im Stil von »Macht ’n Bogen um die Drogen«, »Wenn ich es geschafft habe, schafft ihr es auch« oder »Ihr müsst lernen, euch an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen«, um damit klarzustellen, dass man als Individuum widrige Umstände überwinden kann.

Das verursacht mir Unbehagen, denn genau darum geht es mir nicht. Ich kann das Establishment nicht ausstehen, und mir steht nicht der Sinn danach, in seinem Auftrag irgendwelche ausgelutschten Predigten zu halten. Im Gegenteil, ich muss mich bei solchen Gelegenheiten jedes Mal ziemlich zusammenreißen, um die Jugendlichen nicht dazu aufzurufen, zu randalieren, ihre Zeugnisse zu verbrennen oder ihre Schule in Brand zu setzen.

Dieser extremistische Hang zum Destruktiven scheint irgendwie in mir zu stecken. Wenn ich in der Schulaula stehe, in der ich Jahrzehnte zuvor nach der Liane geangelt habe, an der ich mich wie ein pummeliger Tarzan aus der Provinz geschwungen habe, und mich jene Teenager – erfüllt von Castingshow-Ambitionen und Spielkonsolen-Eskapismus – mit großen Augen anstarren und mir erklären, dass sie »auch mal berühmt werden« wollen, zucke ich zusammen und würde ihnen am liebsten erzählen, dass sie total verarscht werden. Dass sie in tragischer Weise von der vorherrschenden Kulturproduktion in die Irre geführt wurden.

Trotz all der Qualen, die ich infolge meiner Alkohol- und Drogensucht durchlebt habe, würde ich nicht auf die Lehren und Erfahrungen verzichten wollen, die ich daraus gewonnen habe, und schon gar nicht so weit gehen, anderen Leuten – und erst recht nicht jungen Leuten – zu erklären, sie sollen die Finger von dem Zeug lassen.

Der Kampf gegen Drogen ist in Wirklichkeit ein Kampf gegen die Drogenabhängigen (wozu Bill Hicks einmal die schöne Bemerkung gemacht hat: »Wenn es einen Krieg gegen die Drogen gibt und wir ihn verlieren, sind die Drogensüchtigen die Gewinner«) und insofern ein gutes Beispiel für die Perfidie des Systems auf individueller, juristischer und globaler Ebene.

Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit. Menschen zu kriminalisieren, die krank sind, ist sowohl grausam als auch hinterlistig. Und darüber hinaus nutzlos wie nur irgendwas – kein Drogensüchtiger, der etwas auf sich hält, wird sich auch nur im Geringsten um den rechtlichen Status der Droge seiner Wahl scheren. Das Einzige, was durch die Kriminalisierung erreicht wird, ist ein unsicherer und unkontrollierter Drogenkonsum, die Dämonisierung der Konsumenten und die Schaffung einer internationalen kriminellen Ökonomie. Sie wissen das, ich weiß das, doch was wirklich beunruhigend ist, die Leute, die an dieser Praxis festhalten, wissen es ebenfalls. Daher stellt sich die Frage, warum wird an dieser Praxis festgehalten? Wer profitiert davon?

Nun, in dieser Frage kann ich eine gewisse Kompetenz für mich beanspruchen. Ich habe bisher zwar noch keine Regierung gestürzt oder eine neue, gerechtere Gesellschaftsordnung entworfen, in der das Leben mehr Freude macht, weshalb einiges in diesem Buch spekulativ bleiben mag, doch immerhin habe ich es – mit tatkräftiger Hilfe von vielen Seiten – geschafft, mich aus einer Situation herauszumanövrieren, in der Saufen und Drogen Konsumieren mir als einzige Lösung für meine Probleme erschienen, und stattdessen einen Zustand zu erreichen, in dem ich mittlerweile seit Jahren Tag für Tag weder Drogen noch Alkohol zu mir nehme. Wie ist das passiert?

Als desorientierter kleiner Junge in Essex, der darauf wartete, dass Lakeside endlich eröffnet, und der den doppelgesichtigen grinsenden Patriarchen Ronald McDonald verehrte, empfand ich eine diffuse Unzufriedenheit. Ich liebte meine Mutter, kam mit meinem Stiefvater nicht richtig klar und betete meinen abwesenden Vater an. Ich war einsam und frustriert. Meine Mutter war häufig krank, ich fühlte mich zu Hause nicht wirklich heimisch, sondern wurde stets von einer gewissen Unruhe und Unsicherheit geplagt. Dieses Gefühl der Entfremdung und Gereiztheit machte mich anfällig für Verlockungen von außen. Haben Sie jemals versucht, sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der überhaupt nichts mit Ihnen zu tun haben will? Das ist nicht einfach. Haben Sie jemals mit jemandem gestritten, der aufgehört hat, Sie zu lieben, und dann festgestellt, dass Sie kein Ass mehr im Ärmel haben? Keinerlei Verhandlungsmasse. Wenn Sie einen x-beliebigen Fremden ansprechen und ihm sagen, dass er Sie nie wiedersehen wird, wenn er nicht auf Ihre Forderungen eingeht, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, dass dieser Fremde sich vor Ihnen zu Boden werfen und Sie bitten wird zu bleiben. Im Gegenteil – man wird Ihnen den Rücken zukehren und sich aus dem Staub machen.

Zufriedene Leute sind schwer zu steuern. Wir sind permanent unzufrieden, und als Therapie bietet man uns irgendwelche Placebos an. Meine Intention beim Schreiben dieses Buches war, Ihnen zu helfen, sich besser zu fühlen. Ihnen einen Ausweg aus Ihrer Gefühlsmisere aufzuzeigen.

Und genau das ist es, worauf es meiner Überzeugung nach ankommt. Wann sind Sie zum letzten Mal jemandem begegnet, der glücklich war? Richtig glücklich? Die einzig wirklich glücklichen Leute sind Kinder, psychisch Kranke und Moderatoren im Frühstücksfernsehen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es möglich ist, sich glücklicher zu fühlen, denn ich selbst fühle mich um Längen besser als früher. Ich beginne zu verstehen, wie die Lösung aussehen könnte, was in erster Linie daran liegt, dass ich auf meiner langen und beschwerlichen Suche danach oft genug auf dem Holzweg war. Was mich qualifiziert, ein Buch darüber zu schreiben, wie man sich selbst und die...