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Der Thron der Finsternis - Roman

Peter V. Brett

 

Verlag Heyne, 2015

ISBN 9783641140762 , 1024 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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13,99 EUR


 

1

Die Suche

333 NR – Herbst

Die Sonne ging unter, als Jardir aufwachte. Er fühlte sich benommen. Er lag in einem Bett, wie es im Norden üblich war – ein einziges großes Kissen anstatt vieler kleiner. Das Bettzeug war grob, ganz anders als die weiche Seide, an die er sich gewöhnt hatte. Der Raum war kreisrund, und ringsum gab es Fenster aus mit Siegeln verstärktem Glas. Er musste sich in einer Art Turm befinden. Im draußen herrschenden Zwielicht dehnte sich unbewohnte Wildnis aus, eine ihm völlig fremde Landschaft.

Wo in Ala bin ich?

Stechende Schmerzen durchzuckten ihn, als er sich bewegte, aber an Schmerzen war er gewöhnt. Er umarmte sie, und sie waren vergessen. Mühsam und mit ungewöhnlich steifen Beinen hievte er sich hoch und setzte sich auf. Er schlug die Decke zurück. Seine Beine steckten von den Füßen bis zu den Schenkeln in Gipsverbänden. Die angeschwollenen, rot, violett und gelb verfärbten Zehen lugten an den Enden heraus, so nahe, aber er hätte sie nicht berühren können. Probeweise krümmte er sie, ohne auf die Schmerzen zu achten, und war zufrieden, wenn er mit der kleinsten Bewegung belohnt wurde.

Es war wie damals, als er noch ein Kind gewesen war und ein anderer Junge ihm den Arm gebrochen hatte. Er erinnerte sich noch lebhaft an das Gefühl der Hilflosigkeit während der Wochen, als der Bruch verheilte.

Unwillkürlich griff er zum Nachttisch und nach seiner Krone. Selbst bei Tage enthielt sie ausreichend gespeicherte Magie, um ein paar gebrochene Knochen zu heilen, vor allem, wenn die Brüche bereits gerichtet waren.

Seine Finger griffen ins Leere. Er wandte den Kopf und blickte einen Moment lang verdutzt um sich, ehe ihm dämmerte, was los war. Seit Jahren behielt er seine Krone und den Speer immer in Reichweite, doch beides fehlte.

Unvermittelt stürzten die Erinnerungen auf ihn ein. Er entsann sich wieder, wie er auf dem Berggipfel mit dem Par’chin gekämpft hatte. Wie der Sohn des Jeph sich in Rauch auflöste, als Jardir ihn angriff. Unmittelbar darauf nahm er wieder eine stoffliche Gestalt an, packte den Speer mit schier übermenschlicher Kraft und wand ihm die Waffe aus den Händen.

Dann drehte sich der Par’chin um und schleuderte den Speer in die Tiefe, als würde er lediglich eine abgeknabberte Melonenschale wegwerfen.

Mit der Zunge befeuchtete Jardir seine rissigen Lippen. Sein Mund war trocken, die Blase war voll, und beide Bedürfnisse mussten befriedigt werden. Das Wasser, das man für ihn bereitgestellt hatte, schmeckte frisch, und mit einiger Mühe gelang es ihm, den Nachttopf zu benutzen, den seine tastenden Finger auf dem Boden unter dem Bett fanden.

Seine Brust war fest bandagiert, und wenn er sich bewegte, knirschten die Rippen. Über den Bandagen trug er ein Gewand aus dünnem Stoff – von gelbbrauner Farbe, wie er bemerkte. Vielleicht war das die Art des Par’chin, ihn zu verspotten.

Der Raum hatte keine Tür, lediglich eine Treppe führte von unten ins Zimmer. In seiner derzeitigen Verfassung reichte das aus, um ihn zu einem Gefangenen zu machen. Es gab weder einen anderen Ausgang, noch ging die Treppe nach oben weiter. Er befand sich in der Spitze des Turms. Der Raum war sparsam möbliert. Neben dem Bett stand ein kleiner Tisch, und es gab einen einzigen Stuhl.

Auf der Treppe erklang ein Geräusch. Jardir erstarrte und lauschte. Seine Krone und den Speer hatte man ihm weggenommen, aber nachdem er jahrelang durch diese beiden Artefakte Magie in sich aufgesogen hatte, war sein Körper Everams Abbild so nahe gekommen, wie es einem Sterblichen überhaupt nur möglich war. Er besaß die scharfen Augen eines Falken, sein Geruchssinn war ausgeprägt wie der eines Wolfs, und er nahm die leisesten Geräusche wahr, ähnlich wie eine Fledermaus.

»Bist du dir auch ganz sicher, dass du mit ihm fertigwirst?«, fragte die Erste Gemahlin des Par’chin. »Ich hatte schon Angst, er würde dich da draußen auf der Klippe töten.«

»Keine Sorge, Ren«, antwortete der Par’chin. »Ohne den Speer kann er mir nichts antun.«

»Am helllichten Tag kann er das schon«, widersprach Renna.

»Nicht mit zwei gebrochenen Beinen«, erwiderte der Par’chin. »Da kannst du ganz beruhigt sein, Ren. Wirklich und wahrhaftig.«

Wir werden ja sehen, Par’chin.

Er hörte einen schmatzenden Laut, als der Sohn des Jeph jeden weiteren Protest seiner jiwah mit einem Kuss auf ihren Mund erstickte. »Du musst ins Tal zurückkehren und die Dinge im Auge behalten. Jetzt gleich, bevor sie Verdacht schöpfen.«

»Leesha Papiermacher ahnt bereits etwas«, bestätigte Renna. »Und mit ihren Vermutungen trifft sie beinahe ins Schwarze.«

»Das spielt keine Rolle, solange es bei Vermutungen bleibt«, meinte der Par’chin. »Stell du dich nur weiterhin dumm, egal was sie sagt.«

Renna lachte kurz auf. »Ay, das fällt mir nicht schwer. Es macht mir Spaß, sie zur Weißglut zu bringen.«

»Vergeude nur nicht zu viel Zeit damit«, mahnte der Par’chin. »Du musst für den Schutz des Tals sorgen, aber so, dass es nicht zu sehr auffällt. Halte dich zurück. Mach den Leuten Mut, aber die Last sollen sie selbst tragen. Wenn ich kann, schlittere ich ins Tal, aber du bist die Einzige, die mich sehen darf. Niemand sonst soll wissen, dass ich am Leben bin.«

»Das schmeckt mir nicht«, meuterte Renna. »Ein verheiratetes Paar muss zusammenbleiben.«

Der Par’chin seufzte. »Es geht aber nicht anders, Ren. Mit dieser List habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Ich kann es mir nicht leisten zu verlieren. Wir sehen uns ja bald wieder.«

»Ay«, entgegnete Renna. »Ich liebe dich, Arlen.«

»Und ich liebe dich, Renna«, sagte der Par’chin. Wieder küssten sie sich, und dann hörte Jardir rasche Schritte, als die Frau die Turmtreppe hinunterlief. Der Par’chin jedoch kletterte weiter nach oben.

Jardir überlegte kurz, ob er so tun sollte, als ob er schliefe. Vielleicht würde er dann etwas erfahren, oder das Element der Überraschung verschaffte ihm einen Vorteil.

Letzten Endes verzichtete er darauf. Ich bin der Shar’Dama Ka. Mich zu verstellen ist unter meiner Würde. Ich will dem Par’chin in die Augen blicken und sehen, was aus dem Mann geworden ist, den ich früher einmal kannte.

Er stemmte sich im Bett hoch und umarmte die Woge aus Schmerzen, die durch seine Beine schoss. Seine Miene war gelassen, als der Par’chin eintrat. Dieser trug schlichte Kleidung, ähnlich der, die er bei ihrer ersten Begegnung anhatte. Ein weißes, verblichenes Baumwollhemd, eine abgetragene Hose aus grobem Drillich, über der Schulter eine lederne Kuriertasche. Er ging barfuß, Hosenbeine und Hemdsärmel waren hochgekrempelt, damit die Siegel zu sehen waren, die er sich mit Tinte in die Haut eintätowiert hatte. Das sandfarbene Kopfhaar hatte er sich abrasiert, und unter den zahllosen Tätowierungen konnte Jardir das vertraute Gesicht kaum noch erkennen.

Selbst ohne seine Krone spürte Jardir die Macht der Symbole, doch die Stärke, die sie verliehen, forderte einen hohen Preis. Der Par’chin glich eher einem Stück Pergament aus den Heiligen Rollen der Bannsiegel als einem Menschen.

»Was hast du mit dir angestellt, alter Freund?« Er hatte die Worte nicht laut aussprechen wollen, aber irgendetwas trieb ihn dazu.

»Du wagst es noch, mich als deinen Freund zu bezeichnen, nach allem, was du mir angetan hast?«, entgegnete der Par’chin. »Ich habe mich nicht zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Du bist schuld daran!«

»Ich?«, fragte Jardir verblüfft. »Habe ich etwa Tinte genommen und deinen Körper damit verunstaltet?«

Der Par’chin schüttelte den Kopf. »Du hast mich in der Wüste ausgesetzt, damit ich dort verrecke. Ohne Waffen und ohne eine schützende Zuflucht. Und du hast genau gewusst, dass ich mich eher dem Horc verschreiben würde, als mich von den alagai töten zu lassen. Mein Körper war das Einzige, was du mir nicht weggenommen hast, das Einzige, was mir blieb, um darauf Siegel zu zeichnen.«

Das genügte, um Jardir zu verraten, wie der Par’chin hatte überleben können. In Gedanken sah er seinen Freund allein in der Wüste, blutend und kurz vor dem Verdursten, wie er alagai mit den bloßen Händen tötete.

Es war großartig. Er hatte grenzenlosen Ruhm auf sich gehäuft.

Der Evejah verbot das Tätowieren der Haut, aber er verbot viele Dinge, die Jardir bereits getan hatte, um im Sharak Ka zu obsiegen. Er wollte den...