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Königsjäger - Roman

Joe Abercrombie

 

Verlag Heyne, 2015

ISBN 9783641155599 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Die Auserwählten

Er zögerte nur einen Augenblick, aber das genügte Dorn, um ihm den Rand ihres Schildes in die Eier zu rammen.

Sie hörte Brands Stöhnen selbst über das Geschrei der anderen Jungen, die darauf hofften, dass sie verlor.

Dorns Vater hatte immer gesagt: Der Augenblick, in dem du zögerst, ist der Augenblick, in dem du stirbst, und sie hatte bislang ihr Leben im Guten und vor allem im Schlechten nach diesem Grundsatz geführt. Also verzog sie das Gesicht zu einem kämpferisch-herausfordernden Zähnefletschen – ohnehin ihr liebster Gesichtsausdruck – und forderte Brand noch härter als zuvor.

Sie rempelte ihn mit der Schulter an, und ihre Schilde krachten knirschend aneinander. Der Sand spritzte unter Brands Hacken beiseite, als er rückwärts über den Strand stolperte, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. Er schlug nach ihr, aber sie duckte sich und wich dem Hieb aus, führte ihr Holzschwert tief und erwischte ihn an der Wade, direkt unter dem zuckenden Saum seines Kettenhemds.

Eins musste man Brand lassen: Er klappte nicht zusammen, er schrie nicht einmal auf, sondern hüpfte nur mit verzerrtem Gesicht einen Schritt zurück. Dorn lockerte ihre Schultern und wartete darauf, dass Meister Hunnan ihren Sieg ausrufen würde, aber ihr Lehrer stand so ruhig da wie die Statuen in der Gotteshalle.

Manche Waffenmeister taten so, als seien die Übungsschwerter echt, und brachen den Kampf nach einem Streich ab, der mit einer Stahlklinge tödlich gewesen wäre. Aber Hunnan sah seine Schüler gern am Boden liegen, erniedrigt, nach einer harten Lektion. Bei den Göttern, Dorn hatte auf Hunnans Kampfplatz genug harte Lektionen lernen müssen. Jetzt gab sie das Gelernte nur zu gern weiter.

Mit einem spöttischen Lächeln – ihrem zweitliebsten Gesichtsausdruck – wandte sie sich an Brand und kreischte: »Komm schon, du Feigling!«

Brand war stark wie ein Bulle und hatte jede Menge Kampfgeist, aber er humpelte und war müde, und Dorn nutzte den Umstand aus, dass der Strand zum Wasser hin leicht abfiel. Sie hielt die Augen fest auf ihren Gegner gerichtet, wich einem Schlag aus, dann noch einem, tauchte unter einem ungeschickten Schwinger hindurch und glitt an seine ungedeckte Seite. Die beste Scheide für eine Klinge ist der Rücken deines Feindes, hatte ihr Vater immer gesagt, aber die Seite tat es auch. Ihr Holzschwert krachte mit einem Aufprall, als ob ein Holzscheit gespalten würde, gegen Brands Rippen. Ihr Gegner begann hilflos zu taumeln, und Dorn grinste nur noch breiter. Es gab kein besseres Gefühl auf der Welt, ja, nichts fühlte sich so gut an, als wenn man es jemandem gerade so richtig gezeigt hatte.

Sie setzte ihre Stiefelsohle auf seinen Hintern und gab ihm einen Schubs, bis er auf allen vieren in die Welle flog, die gerade über den Strand schwappte und sein Schwert mit sich riss, bis es in den Algen hängen blieb.

Dann trat sie zu Brand hin, der mit gequältem Blick zu ihr aufsah, das nasse Haar an den Kopf geklatscht und die Zähne noch blutverschmiert von der Kopfnuss, die sie ihm zuvor verpasst hatte. Vielleicht hätte er ihr leidtun sollen, aber es war schon lange her, dass Dorn sich so etwas wie Mitgefühl hatte leisten können.

Stattdessen drückte sie ihm ihre eingekerbte Holzklinge gegen den Hals und fragte: »Und?«

»Na gut.« Er machte eine schwache Handbewegung, als ob er sie verscheuchen wollte, dabei fehlte ihm zum Sprechen fast die Luft. »Ich habe verloren.«

»Ha!«, schrie sie ihm ins Gesicht.

»Ha!«, schrie sie den enttäuschten Jungen rund um den Kampfplatz entgegen.

»Ha!«, schrie sie nun selbst zu Meister Hunnan hinüber, und triumphierend riss sie Schwert und Schild in die Höhe und schwenkte beides unter dem Himmel, der Regentropfen auf sie hinunterspuckte.

Vereinzeltes Klatschen und Raunen war die einzige Reaktion. Zwar war ihr klar, dass es selbst für wesentlich armseligere Siege schon mehr Applaus gegeben hatte, aber sie war ja nicht wegen des Beifalls hier.

Sie war hier, um zu siegen.

Manchmal wurde ein Mädchen von Mutter Krieg berührt und landete mit den Jungen auf dem Kampfplatz, wo man ihm den Umgang mit Waffen beibrachte. Unter den kleineren Kindern gab es immer einige Mädchen, aber mit jedem Jahr, das verging, wandten sie sich doch den Dingen zu, die sich mehr für weibliche Wesen schickten, und die, die es nicht taten, wurden schließlich in die richtige Richtung gestupst, gestoßen und schließlich geschlagen und getreten, bis das schändliche Kroppzeug ausgerottet war und auf dem Kampfplatz nur noch die edlen Krieger standen.

Wenn die Vansterländer über die Grenze kamen, wenn die Inselbewohner zum Plündern einfielen, wenn Diebe in der Nacht erschienen, dann hatten die Frauen von Gettland schnell eine Klinge zur Hand und kämpften gegebenenfalls bis zum Tod; viele von ihnen waren beim Kämpfen ziemlich gut. So war das immer schon gewesen! Aber wie lange war es her, dass eine Frau die Prüfungen bestanden und die Eide geschworen und sich einen Platz auf einer Heerfahrt erstritten hatte?

Es gab Geschichten. Es gab Lieder. Aber selbst die Alte Fen, der älteste Mensch in Thorlby – manche sagten, der ganzen Welt –, hatte so etwas in ihren ewig langen Lebzeiten nicht gesehen.

Bis jetzt.

Harte Arbeit. Ablehnung. Schmerzen. Aber am Ende hatte Dorn sie geschlagen. Sie schloss die Augen, spürte, wie der salzige Wind von Mutter Meer ihr schweißnasses Gesicht küsste, und dachte daran, wie stolz ihr Vater gewesen wäre.

»Ich habe bestanden«, flüsterte sie.

»Noch nicht.« Dorn hatte Meister Hunnan noch nie lächeln sehen. Aber sie hatte auch noch nie erlebt, dass er so finster dreinblickte wie jetzt. »Ich sage, welche Prüfungen du ablegen musst. Und ich entscheide, wann du bestanden hast.« Er sah zu den Jungen hinüber, die in ihrem Alter waren. Die Sechzehnjährigen, einige schon mit stolzgeschwellter Brust, weil sie ihre eigenen Prüfungen erfolgreich hinter sich gebracht hatten. »Rauk. Du kämpfst als Nächster gegen Dorn.«

Rauks Augenbrauen hoben sich, dann sah er Dorn an und zuckte die Achseln. »Warum nicht?« Er trat aus der Reihe seiner Mitschüler auf den Kampfplatz, zog die Schildriemen straff und nahm ein Übungsschwert zur Hand.

»Rauk«, sagte Hunnan, dessen knotiger Finger weiterwanderte, »und Sordaf und Edwal.«

Das triumphierende Glühen sickerte aus Dorn heraus wie die letzten Wassertropfen aus einem maroden Badezuber. Unter den Jungen wurde Gemurmel laut, als Sordaf in das Sandgeviert hineinwalzte – groß, langsam und ohne besonders große Fantasie, aber wie dafür gemacht, jemanden zu treten, der schon am Boden lag. Mit seinen dicken Fingern zurrte er die Schnallen seines Brustpanzers fest.

Edwal – schnell und schmal, der Kopf ein Gewirr brauner Locken – zögerte, bevor er ihm folgte. Dorn hatte ihn stets für einen der Besseren gehalten. »Meister Hunnan, drei von uns …«

»Wenn du einen Platz auf einer Heerfahrt des Königs willst«, erklärte Hunnan, »dann tust du, was dir gesagt wird.«

Sie wollten alle einen Platz, fast genauso sehr wie Dorn. Edwal sah grimmig nach links und rechts, aber niemand sagte etwas. Zögernd trat er neben die anderen und nahm ebenfalls ein Übungsschwert.

»Das ist aber keine gerechte Aufteilung.« Dorn war es gewohnt, tapfer aller Unbill ins Gesicht zu sehen, egal, wie schlecht die Chancen standen, aber jetzt klang ihre Stimme wie ein verzweifeltes Blöken. Wie ein Lamm, das hilflos ins Messer des Metzgers getrieben wird.

Hunnan tat das mit einem Schnauben ab. »Dieser Kampfplatz ist das Schlachtfeld, Mädchen, und auf dem Schlachtfeld geht es halt nicht gerecht zu. Betrachte das als die letzte Lektion, die du hier erhalten wirst.«

Darüber wurde vereinzelt gelacht. Vermutlich waren das die Jungen, denen sie bei anderer Gelegenheit ordentlich eins übergezogen hatte. Brand sah hinter ein paar flatternden Haarsträhnen zu ihr hinüber, eine Hand gegen den blutenden Mund gepresst. Andere sahen zu Boden. Sie wussten alle, dass es ungerecht war. Aber es war ihnen egal.

Dorn biss die Zähne zusammen, legte die Schildhand kurz auf den kleinen Beutel, der um ihren Hals hing, und drückte ihn. Sie gegen den Rest der Welt, so ging es nun schon länger, als sie sich erinnern konnte. Und eins war Dorn ganz sicher – eine Kämpferin. Sie würde ihnen einen Kampf liefern, den sie nicht so schnell vergessen würden.

Rauk machte eine ruckartige Kopfbewegung, um den anderen anzuzeigen, dass sie ausschwärmen sollten, um sie einzukreisen. Das war vielleicht sogar von Vorteil für sie. Wenn sie schnell genug zuschlug, konnte sie einen von der Herde trennen und hatte dann zumindest den Hauch einer Chance gegen die beiden anderen.

Sie sah ihnen in die Augen und versuchte zu erkennen, was sie planten. Edwal zögerte und blieb zurück. Sordaf war wachsam, den Schild erhoben. Rauk ließ das Schwert baumeln und warf sich vor den Zuschauern in Pose.

Hätte sie doch nur sein Lächeln abstellen können. Wenn sich diese strahlende Miene in Blut verwandeln würde, wäre sie schon zufrieden.

Und tatsächlich fror sein Lächeln ein, als sie ihren Kampfesschrei ausstieß. Rauk fing ihren ersten und auch noch den zweiten Schlag mit seinem Schild ab, dass die Splitter flogen, doch dann narrte sie ihn mit ihren Augen, und er hob den Schild, während sie im letzten Moment einen tiefen Schlag führte, weit ausholte und ihm einen kräftigen Hieb gegen die Hüfte verpasste. Er schrie auf und drehte sich zur...