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Auszeit - 25.000 Kilometer mit dem Motorrad durch Südamerika

Andreas Hülsmann

 

Verlag Highlights Verlag, 2015

ISBN 9783945784082 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Kapitel 2

Hektik in Buenos Aires


»Buenos Aires: Am Rio de la Plata gelegene Hauptstadt Argentiniens, zweitgrößte Stadt Südamerikas, ca. 14 Mio. Einwohner, wurde 1536 von den Spaniern gegründet.«

Nach 24 Stunden sind wir am Ziel. Stunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen. Gestern Nachmittag hatten mich meine Eltern und Anne am Bahnhof verabschiedet, und jetzt stehe ich hier in Buenos Aires am Flugplatz und bin froh, wieder ein paar Meter laufen zu können.

Im Flugzeug hatte drangvolle Enge geherrscht. Die 747 war restlos ausgebucht gewesen. Die Sitze dicht an dicht, sodass man sich fast mit den Knien die Ohren hätte zuhalten können. Auch der Service war nicht berauschend. Nach dem Servieren des Abendessens ließen sich die Stewardessen nicht mehr blicken. Keine Getränke, nichts. Von der Besatzung hätte es garantiert niemand bemerkt, wenn ich im Mittelgang mein Zelt aufgeschlagen und mich in den Schlafsack gelegt hätte. Doch das ist nun überstanden, und wir drei sind froh, endlich in Südamerika zu sein.

Bei einer Tasse Kaffee bereiten wir uns auf die erste Herausforderung unserer Reise vor – die Zollabfertigung der Motorräder. Jeder von uns hat seine eigenen Szenarien im Kopf, wie die kommenden Stunden oder vielleicht auch Tage aussehen werden. Egal, was da auch auf uns zukommen mag – klar ist: Es führt kein Weg an den argentinischen Beamten vorbei. Die Berichte, die ich während der Vorbereitungen für diese Reise über das Gebaren der Zöllner gelesen hatte, waren nicht ermutigend gewesen. Man sollte sich auf das Schlimmste gefasst machen. Von Korruption war da zu lesen, von der »Herrschaft des Stempels«. Wer in diesem Land die Befehlsgewalt über das ureigenste Werkzeug aller Bürokraten besaß, der hatte Macht und konnte diese nach Lust und Laune ausleben.

Der Gedanke, von der Laune eines Menschen abhängig zu sein, gefällt mir gar nicht. Dass sich diese Laune mit einigen Zuwendungen verbessern lässt, macht mir sogar Angst. Ich hatte mich also während des ganzen Fluges mit dem Gedanken beschäftigt, wie und womit ich die Laune eines argentinischen Beamten notfalls verbessern könnte.

Der erste Eindruck bestätigt das Gelesene. Beim Eingang in die zollfreie Zone des Cargo-Flughafens, der knapp einen Kilometer vom »International Airport« entfernt liegt, werden unsere Ausweise penibel kontrolliert. Es kommt zu ersten Verständigungsproblemen. Erst als Jo die Zollunterlagen des deutschen Spediteurs vorlegt, öffnen sich für uns die Tore.

In irgendeinem der Gebäude beginnt unsere Odyssee durch den argentinischen Bürokraten-Dschungel. Eine nette junge Dame kontrolliert die Papiere und drückt uns einen Laufzettel in die Hand, auf dem 12 Positionen stehen, die wir »abarbeiten« müssen. Zwölf Positionen – das bedeutet zwölf Stempel. Keiner von uns dreien glaubt mehr daran, dass wir unsere Motorräder heute noch zu Gesicht bekommen.

Zumindest stoßen wir überall auf freundliche Beamte, die bemüht sind, uns trotz der Sprachbarrieren zu helfen. Doch die ganze Angelegenheit zieht sich. Immer wieder werden Vorgesetzte gefragt. Mit dem Carnet de Passages wissen die wenigsten Beamten etwas anzufangen, und so werden wir immer weitergereicht. Motorräder aus Europa werden wohl nicht alle Tage am Flugplatz in Buenos Aires eingeführt. Die Zeit vergeht, ohne dass auch nur ein einziger Stempel auf den Laufzettel kommt.

Doch alles ändert sich schlagartig, als wir wieder einmal vor dem Schreibtisch einer jungen Frau stehen. Schreibtisch? Ja, doch. Da muss irgendwo ein Schreibtisch sein. Denn irgendwo unten auf dem Boden schauen vier hölzerne Beine aus einem Haufen Papier heraus. Die Frau sitzt in einem Verschlag aus Maschendraht. Akten stapeln sich bis unter die Decke. Ich habe den Eindruck, dass in diesem Käfig nicht einmal mehr Platz für einen DIN-A4-Bogen ist. Wir trauen kaum unseren Ohren: Freundlich und in fast akzentfreiem Deutsch fragt sie nach unseren Pässen und den nötigen Papieren.

Sie fordert uns auf, ihr zu folgen und nimmt den bürokratischen Vorgang selbst in die Hand. Wir haben keine Chance, auch nur eine Kleinigkeit davon zu kapieren. Aber wozu auch? Unsere gute Fee erledigt alles für uns. Freundlich lächelnd stürmt sie in jedes Büro, holt ihre Kollegen aus der Mittagspause und lässt nicht locker, bis sie unseren Vorgang bearbeiten und den erforderlichen Stempel auf das Papier setzen.

Zwischendurch erfahren wir, dass sie Sandra heißt und vor einigen Jahren in Deutschland als Austauschschülerin war. Birgit, Jo und ich haben Mühe, mit Sandra Schritt zu halten. Ich habe den Eindruck, dass ihren Kollegen das plötzliche bürokratische Tempo völlig fremd ist. »Für gewöhnlich dauert es ein bisschen länger, aber ab und zu machen wir hier auch mal eine Ausnahme«, sagt Sandra noch zum Abschied und zeigt dabei auf den Eingang des Lagers, wo gerade meine Ténéré in ihrer Holzkiste ans Tageslicht gebracht wird.

Nicht einmal drei Stunden hat die Zollabfertigung gedauert – vermutlich südamerikanischer Rekord. Wir machen uns umgehend daran, die Motorräder zusammenzuschrauben. Immer wieder kommen neugierige Lkw-Fahrer, Lagerarbeiter und Zöllner vorbei und stellen unendlich viele Fragen. »Wohin?«, »Woher?«, »Wie lange soll die Reise dauern?« Für viele ist es unfassbar, dass wir ein halbes Jahr in Südamerika bleiben.

Ich muss feststellen, wie begrenzt meine Spanischkenntnisse doch sind. Nur mühsam kann ich mich verständigen. Birgit ist da besser dran. Sie hat wesentlich eifriger gelernt als ich, hat zu Hause sogar Kurse belegt, und so fällt ihr von Anfang an die Aufgabe des Dolmetschers zu. Birgit muss sich um alle Neugierigen kümmern. Und das alles, während sie unter den ungläubigen Blicken der meist männlichen Zuschauer ihre BMW zusammenbaut.

Mir ist das im Moment nur recht, denn Eile tut Not. Bis 18 Uhr müssen wir aus dem zollfreien Bezirk verschwunden sein, denn dann ist dort für heute Feierabend – und die Beamten schließen die Zone pünktlich. Wollen wir heute noch mit unseren Motorrädern fahren, müssen wir die Maschinen schnell flott machen. Denn wenn es uns in diesem Zeitrahmen nicht gelingt, verschiebt sich alles auf den morgigen Tag. Mit Brecheisen rücken wir den Kisten zu Leibe.

Vorderrad einbauen, Lenker montieren, Batterie anklemmen und noch andere tausend Kleinigkeiten sind zu erledigen, bis die drei Motorräder abfahrbereit vor uns stehen. Mit fliegenden Händen schrauben wir die Enduros zusammen und schaffen es in letzter Minute. Am Tor des Cargo-Flughafens werden noch einmal die Papiere kontrolliert, und dann geht es endlich los.

Auf den ersten Metern überkommt mich ein unglaubliches Bedürfnis: Einfach Gas geben und auf und davon fahren – von der Müdigkeit, die ich schon den ganzen Tag mit mir herumschleppe, ist nichts mehr zu spüren. Ich fühle mich euphorisch, denn jetzt geht das Abenteuer endlich los.

Aber was ist das? Das Stottern des Motors reißt mich aus meinem Hochgefühl. Panik! Für einige Sekunden bin ich nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch dann gewinne ich meine Fassung schnell wieder. Ohne Benzin läuft der beste Motor nicht. Für den Flug mussten wir aus Sicherheitsgründen den Tank leeren – nur eine kleine Reserve wurde uns zugestanden.

Eigentlich hatte ich diese Reserve großzügig bemessen, doch irgendwie ist das Benzin aus meinem Tank verschwunden. Birgit und Jo, die vorausgefahren sind, lesen mich kurze Zeit später am Straßenrand wieder auf. Jo macht sich auf, um für mich ein wenig Benzin zu holen. Es dauert ein Weile, bis er mit einem vollen Reservekanister zurück ist, dann endlich können wir die Fahrt fortsetzen. Wir müssen erst noch einmal zurück zum Flughafen, um das restliche Gepäck zu holen, welches wir bei unserer Ankunft dort deponiert hatten.

Es dämmert schon, als wir alle Taschen und Koffer an den Motorrädern befestigt haben. Nun beginnt die Suche nach einem Zeltplatz, denn wir sind zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 36 Stunden ohne richtigen Schlaf auf den Beinen. Ich habe nur noch den Wunsch, einen Campingplatz zu finden, das Zelt aufzuschlagen und endlich ein paar Stunden zu schlafen.

Doch als ich den Zündschlüssel erneut herumdrehe, tut sich gar nichts. Die Cockpit-Beleuchtung bleibt dunkel und nach dem Druck auf den Startknopf bleibt das gewohnte Motorengeräusch aus. An meiner Ténéré funktioniert nichts mehr. Dieses Mal dauert es etwas länger, bis ich meine Fassung wiederfinde.

Mit fliegenden Fingern untersuchen wir die Elektrik und finden auch relativ schnell den Schaden – die Sicherung ist durchgebrannt. Nach erfolgtem Austausch verläuft jedoch auch der zweite Versuch, die Maschine zu starten, im Sande, denn nun folgt ein Kurzschluss. Es hilft alles nichts, die XT muss näher inspiziert werden. Eigentlich liegen unsere Nerven blank – besonders meine. Doch jeder von uns weiß, dass »rummaulen« jetzt nichts bringt.

Birgit kümmert sich um den Polizisten, dem die Motorräder vor der Ankunftshalle des Flughafens schon länger ein Dorn im Auge sind. Unentwegt redet sie auf den Mann ein, während wir fieberhaft nach dem Fehler in der Elektrik suchen.

Aus den Tiefen meines Koffers krame ich weitere Ersatzsicherungen zu Tage, doch auch der dritte Versuch scheitert und kostet eine weitere Sicherung. Die Suche geht weiter. Es ist eine echte Herausforderung, in der Dunkelheit und übermüdet nach einem elektrischen Schaden zu suchen. Wir rütteln an allen Kabeln, die wir erreichen können. Der Polizist hat sich inzwischen verzogen. Er hat wohl erkannt, dass ich im Moment nicht in der Lage bin, mich von hier fortzubewegen. Es folgt ein weiterer...