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Der Flatbootmann - und andere Erzählungen

Friedrich Gerstäcker

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2014

ISBN 9783780216656 , 280 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

DER FLATBOOTMANN


 

1. Die Landung


 

Den breiten, mächtigen Mississippi belebte im Monat Juni des Jahres 1850 eine außergewöhnlich große Anzahl von Booten, die alle die Produkte des Nordens den südlicher gelegenen Städten, wie der Hauptstadt Louisianas, New Orleans, entgegenführten.

Der Sommer rückte weiter und weiter vor und die unbehilflichen ‚Flatboote‘, breite, lange, viereckige Kästen, die ganz von der Strömung abhängen, beeilten sich so viel als möglich, den Fluss hinabzukommen, um die südlichen Plätze noch vor dem Eintreten der ungesunden Jahreszeit zu erreichen und wieder verlassen zu können. Hier und da kamen die Boote einzeln herunter, die Leute faul auf dem leicht gerundeten Deck ausgestreckt und die Stunden in lässiger Ruhe verträumend. Dann und wann sah man aber auch ganze Trupps, von Weitem einer Anzahl Schachteln nicht unähnlich, die von eines mutwilligen Knaben Hand dem Wasser preisgegeben worden. Und doch bergen diese von ungehobelten Planken roh genug hergestellten Fahrzeuge oft die wertvollsten Ladungen, von ihren Eigentümern leichtsinnig dem tückischen Strom anvertraut. Versichert war wenigstens keins derselben, und kamen sie glücklich an den Ort ihrer Bestimmung, so blieb ihm ein reicher Verdienst ziemlich gewiss. Hatten sie aber unterwegs ein Unglück, ei nun, so war das eben ein Fall, den niemand ändern konnte, und der frühere Eigentümer kehrte in seine Heimat zurück und begann dort mit seiner Arbeit von Neuem, bis er ein anderes Boot unter den nämlichen Verhältnissen beladen konnte.

Die Eigentümer dieser Boote sind teils Händler aus dem Norden, die von Farmern oder Kaufleuten die Waren und Produkte erst aufkaufen und dann eins oder mehrere dieser Boote zusammen den Strom viele hundert Meilen hinabführen; teils sind es aber auch die Farmer selber, die in ihrer Nachbarschaft nicht hohen Preis genug für ihr Getreide, oder was sie sonst gewonnen, lösen konnten, sich dann gewöhnlich selber ein solches Fahrzeug zusammenzimmern und nun vertrauensvoll dem Süden entgegenschwimmen.

Sind es wirklich die Farmer, so laden sie gewöhnlich nur, was sie selber auf ihren Farmen erbaut oder produziert: Mais, Tabak, Kartoffeln, Äpfel, Pökelfleisch, Whisky, getrocknetes Obst, Zwiebeln usw., oft sogar lebendiges Vieh wie Rinder, Schweine und Schafe.

Die Händler dagegen begnügen sich nicht mit diesen Gegenständen. Außer solchen Produkten, die sie von den Farmern kaufen und bei denen der Whisky nicht selten eine Hauptrolle spielt, nehmen sie gewöhnlich noch Kattune, buntfarbige wollene und seidene Tücher, wollene Decken, Strohhüte, Pulver und Blei, ja nicht selten auch heimlicherweise Waffen mit, um sie im Süden an die Neger zu verkaufen. Allerdings ist es streng untersagt, den Sklaven Waffen und Munition wie auch Whisky zu überlassen, aber verbotener Handel bleibt auch fast stets der einträglichste, und das wussten die Yankee-Händler denn recht gut.

Bargeld besaßen die Neger aber selten oder nie und als Ausgleich für die erhaltenen Waren schleppten sie herbei, was sie ihr eigen nannten: Ferkel, Hühner, Truthühner, Eier usw., und was sie nicht selber hatten, stahlen sie eben in der Geschwindigkeit. Um einen Ausweg sind sie nur selten verlegen.

Solch ein Händlerboot, das zum Unterschied von den übrigen eine kleine rotgrüne Fahne vorn an der Spitze führte, war denn auch gegen Abend in Sicht einer größeren Pflanzung am Mississippi gekommen und der Ruf des Steuernden weckte die Schläfer an Deck. Solange diese Art Fahrzeuge der Strömung ruhig folgen und nichts Außergewöhnliches in ihrem Weg liegt, haben die Leute an Bord im breiten Strom wenig zu tun. Manchmal nur müssen sie wohl einer vorspringenden Landspitze oder einer Insel ausweichen, dann und wann vielleicht einmal aus dem Fahrwasser eines Dampfers zu kommen suchen oder im Strom selber angeschwemmte und gefährliche Stämme vermeiden. Sonst bietet die Schifffahrt auf dem unteren Mississippi ihnen aber nicht viele Hindernisse und nur abends, wenn sie anlegen wollen, bedarf es einiger Arbeit, um das schwerfällige Boot mit seinem breiten Bug gegen das Land zu und an einen sicheren, geschützten Platz zu rudern.

Das geschah denn auch jetzt. Am rechten Ufer wurde eine große, weit ausgedehnte Plantage sichtbar, die mit ihrem weißen, wohnlichen Herrenhaus und einer Anzahl kleiner Negerhütten im Schatten fruchtschwerer Orangen- und Nussbäume lag, und der Yankee hatte sich bald einen Platz ausersehen, der ihm für seine verschiedenen Zwecke entsprechend schien.

Auf diesen Booten sind lange, schwere Ruder angebracht, die nur aus einer Stange mit einem daran befestigten Brett bestehen und an Bord selber festgemacht werden. In diese legten sich die Bootsleute jetzt und ziemlich willig dazu, denn hier, wussten sie recht gut, kamen sie erst in zwei oder drei Tagen wieder fort und konnten sich an Land von der monotonen Wasserfahrt erholen.

„Wetter noch einmal, Bill“, sagte ein baumlanger, kräftig gebauter Bursche aus Illinois mit blonden Haaren und gutmütigen blauen Augen, „wie verdammt hübsch das da drüben am Land ausschaut. Sieh nur die Apfelsinen da drüben – ein ordentlicher Wald; mir läuft das Wasser schon dabei im Maul zusammen.“

„Pah“, brummte Bill, sein Kamerad, der mit ihm an einem Ruder lehnte, „nicht so viel geb ich für das sauersüße Zeug, da ist mir ein Becher Whisky und ein alter, ehrlicher Ohio-Apfel lieber als alle Apfelsinen von ganz Louisiana. Fühle mich überhaupt nicht wohl hier unten zwischen den Wollköpfen und wollte, dass wir schon wieder auf dem Heimweg wären. Hol der Teufel das Bootfahren, wenn er Lust hat!“

„Munter, munter, ihr Leute – greift da besser ein – ihr beide da, Bill und Jack!“, rief in diesem Augenblick der Eigentümer des Boots, der sich an seinem eigenen Bord gern ‚Kapitän‘ nennen hörte. „Wir missen wahrhaftig die Landung, und wenn ihr das Boot nachher stromauf ziehen müsst, wisst Ihr, was das heißt.“

Poleridge, wie der Eigentümer hieß, war eine wetterbraune Gestalt mit eisenharten Zügen und kleinen, grauen, aber nicht ungemütlichen Augen. Ein Yankee von Geburt, hatte er sich fast ein Lebensalter in den verschiedenen Staaten der Union herumgetrieben und endlich in Ohio vorläufig das Land zu finden geglaubt, in dem er sich bleibend niederlassen könne – bleibend heißt das, was derartige Leute eben unter dem Namen verstehen, und wie verschieden ist darin der amerikanische Charakter von dem deutschen. Wo sich der Deutsche einmal niederlässt, wo er sich sein Haus baut und das Land urbar macht, da gedenkt er für seine Lebenszeit auszuhalten. Da düngt und da schafft er und bessert und richtet sich mit jedem Jahr wohnlicher ein; baut Scheunen und Ställe und gewinnt zuletzt den Platz so lieb, dass er von einem Verlassen desselben nichts mehr hören mag. Der Amerikaner dagegen kauft nur immer, um wieder zu verkaufen – ihm ist alles feil. Sein Pferd, sein Hund, sein Gewehr, der Rock – das Hemd, das er auf dem Leibe trägt; wenn ihm jemand einen annehmbaren Preis dafür bietet, zieht er’s, wo er steht, herunter. Ebenso der Platz, auf dem er sich heimisch gemacht, ob er ihn nun ein oder zehn Jahre bewohnt. Anhänglichkeit an die Scholle kennt er nicht; der Boden ist ihm ebenso gut Ware wie irgendetwas anderes, und bietet ihm heute jemand einen guten Preis, so packt er morgen, was ihm geblieben, wieder auf und sucht sich eben einen neuen Ort.

So war der Alte auch schon ein tüchtiges Stück durch die Staaten gezogen; erst mit dem Packen auf dem Rücken, seine Waren durch das Land hausierend; dann, als er sich etwas verdient, mit einem Wägelchen; zuletzt mit zweispännigem Geschirr bald hier, bald da, auf alles rücksichtslos, nur nicht auf den eigenen Vorteil. Ein Vermögen hatte er auch schon in seinem vierundzwanzigsten Jahr gewonnen, und im nächsten musste er wieder mit dem Hausieren beginnen, weil er zu viel auf die einzige Spekulation gewagt und alles verloren – aber was tat’s? Er fing eben wieder von vorne an, verdiente noch einmal, verlor wieder und begann zum dritten Mal, um wieder alles auf ein einziges Flatboot und den tückischen Strom zu setzen. Glückte ihm die Fahrt, so hatte er sein Vermögen verdoppelt, vielleicht verdreifacht – glückte sie ihm nicht – ei, Amerika war groß, und tausend Hilfsquellen und Wege gab es nach allen Richtungen hin für einen unternehmenden Kopf!

Unzählige solche Menschen wohnen dort drüben in dem wunderlichen Land, für Tausende in unserer Heimat das Ziel ihrer Sehnsucht, ihres Hoffens; zähe Naturen alle, die wohl zu biegen, aber nicht zu brechen sind, wie der Hickory ihrer Wälder sich dem Sturm beugen und ihn über sich dahinbrausen lassen muss, um im nächsten Moment wieder so fest und sicher zu stehen wie je.

Das Terrain hier, in das der alte Poleridge jetzt sein Boot gebracht, kannte er ebenfalls genau. Wie oft schon war er hier gewesen und hatte hier mit allem gehandelt, was eben feil sein konnte – vom Neger hinab bis zum Frucht- und Eiermarkt. Auch die Plantagen kannte er, mit wenigen Ausnahmen, wie sie am Mississippi lagen, und wenn er dabei auch nicht mit den Pflanzern selber verkehrte, stand er sich desto besser mit den ‚Aufsehern‘ und – den Negern. Welcher Gefahr er sich dabei aussetzte, wusste er recht gut, aber eben weil er es wusste, fürchtete er sie nicht und ging dem gesetzlichen wie ungesetzlichen Verkehr hier geradeso ruhig entgegen, als ob...