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Im Schatten des Apfelbaums - Roman

Simone Kettendorf

 

Verlag Der Kleine Buch Verlag, 2015

ISBN 9783942637626 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,49 EUR


 

Tag 1, erste Woche


„Und hier befindet sich die Küche.“

Madame Monod stieß die Tür mit einer für ihr Alter sehr schwungvollen Bewegung auf. Klara folgte ihr in einen geräumigen Raum, der ebenerdig durch eine schmale, in altes Holz gefasste Glastür in den Garten hinausführte. Ihr Blick schweifte für ein paar Sekunden nach draußen. Eine Terrasse aus grauen Steinplatten umgab die Hälfte des Hauses und ermöglichte es, sich einen idealen Platz im Freien auszusuchen. Auch die Küche war genauso, wie sie sich immer eine ideale Küche vorgestellt hatte: Vielleicht etwas moderner eingerichtet, aber mit Blick ins Grüne.

„Sie können mit einem Gasherd umgehen?“, riss die Vermieterin sie aus ihren Gedanken und Klara nickte, obwohl sie sich dessen nicht so sicher war. Sie trat an den massiven Holztisch, der alt, ja fast antik anmutete, genauso wie die Einrichtung im gesamten Haus. Trotz Klaras Vorliebe für das Moderne und Schlichte spürte sie den Charme dieses Raums, der ihr so viele Geschichten erzählen konnte.

Es sah hier alles so anders aus als in ihrer Wohnung in Köln und dennoch spürte Klara sofort, dass dies für sie der richtige Ort war zum Loslassen, Vergessen und für einen Neuanfang. Hier würde sie sich wohlfühlen und ihre alte Stärke wiederfinden. Und vielleicht würde sie noch einiges andere entdecken und verstehen lernen. Deshalb war sie schließlich hier.

„Das Häuschen ist etwas zu groß für nur eine Person. Ich hoffe, es gefällt Ihnen trotzdem.“ Klara hörte nur mit halbem Ohr zu und warf hin und wieder ein „Oui, Madame“ und „Selbstverständlich, Madame!“ ein, während sie weiter ihren Gedanken nachhing. Sie würde hier nicht einsamer sein als in Köln. Ist die Einsamkeit nicht dann am größten, wenn man sich inmitten von Menschen, die man kennt, verloren fühlt? Hier kannte sie niemanden, zumindest noch nicht.

Schließlich folgte sie Madame Monod ins obere Stockwerk, über eine schmale Holztreppe, die bei jedem Schritt knarrte.

„Diese Treppe ist fast 300 Jahre alt.“ Madame Monod lächelte stolz. „Wir haben sie von draußen nach drinnen versetzen lassen, als wir das Haus umgebaut haben. Sie müssen wissen, dass dies hier einmal eine große Scheune war. Die Treppe führte von außen auf den Heuboden. Unten im Salon hängt noch ein altes Foto – das Gebäude ist wirklich kaum wiederzuerkennen.“

Madame Monod öffnete eine alte Holztür, die den Weg in ein romantisch eingerichtetes Schlafzimmer preisgab. Klara stieß einen Begeisterungsschrei aus. Ihr Blick fiel zuerst auf einen alten Waschtisch, dessen Ablagefläche aus Marmor war. So ein Schmuckstück hatte ihre Großmutter auch besessen, bevor sie es auf dem Sperrmüll entsorgt hatte. Was ihre Oma Luise wohl davon hielte, wenn sie wüsste, wo sich Klara gerade befand? Sie würde nach Frankreich ans Meer fahren, um sich etwas zu erholen, hatte sie ihren Großeltern erzählt, damit diese sich nicht beunruhigen. Dies war aber nur die halbe Wahrheit.

Sanft strich Klara über die geblümte Bettdecke. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie in dem französischen Eichenbett zwei aneinandergeschmiegte Körper in inniger Umarmung. Irritiert schob sie diesen Gedanken beiseite. Sie hatte dieses Haus für sich alleine gemietet und wollte das Bett mit niemandem teilen.

Inzwischen stand sie mit Madame Monod auf der mit Steinplatten eingefassten Terrasse, die man auch direkt über das Wohnzimmer erreichen konnte. Als Klara den Hausschlüssel entgegennahm, war ihr auf einmal etwas mulmig zumute und sie zögerte den Abschied einen Moment hinaus. Trotz der vielen neugierigen Fragen war ihr Madame Monod sympathisch. Das Alter der kleinen, zierlichen Frau schätzte sie auf Mitte 70. Sie wirkte resolut, aber auch mütterlich. Ihre einfache und ehrliche Art gefiel Klara.

„Sie müssen heute Abend unbedingt zum Aperitif vorbeikommen und meinen Mann kennenlernen. Er ist momentan auf unserem Feld, erntet Gemüse und Obst. Er wird sich bestimmt sehr über Ihren Besuch freuen.“

Das Haus der Vermieter, ebenfalls ein altes Fachwerkhaus, befand sich auf dem gleichen Grundstück, nur einen Steinwurf von ihrem entfernt. Klara nahm die Einladung gerne an. Schließlich war sie hierhergekommen, um die Gemeinde Gironde und deren Bewohner kennenzulernen. Was lag näher, als bei ihren Vermietern anzufangen? Sicherlich würden sie ihr Fragen stellen. Sie musste sich eben wappnen und plausible Antworten bereithalten. Wie viel der Wahrheit wollte sie preisgeben?

*

„Bitte, nehmen Sie doch noch etwas von dem Gebäck, das sind echte bretonische Galettes.“

„Danke, sie schmecken wirklich ausgezeichnet.“ Klara griff beherzt zu.

„Und einen Pommeau darf ich Ihnen sicherlich auch noch einschenken.“ Monsieur und Madame Monod gaben sich wirklich die größte Mühe, damit sich ihr Sommergast bei ihnen wohl fühlte. Klara fand es sehr nett von ihnen, sie gleich am ersten Abend einzuladen. Sie musste nur aufpassen, dass ihr das süffige Getränk aus Äpfeln auf nüchternem Magen nicht zu Kopfe stieg. Mit Alkohol im Blut wurde sie oft unvorsichtig und allzu gesprächig.

Monsieur Monod erschien Klara als einfacher, aber warmherziger Mensch, der sein Herz auf der Zunge trug. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er direkter wurde.

„Mademoiselle Klara, wir fragen uns schon die ganze Zeit, warum eine so reizende junge Dame alleine zwei Monate in unserem beschaulichen Ort verbringen will. Nicht, dass ich Ihnen die Lust auf die Normandie nehmen möchte, aber hier in Gironde sagen sich wirklich Fuchs und Hase gute Nacht.“ Klara war auf diese Frage gefasst und hatte eine Antwort vorbereitet. Nur war es mit einem kleinen Schwips nicht ganz so einfach sich daran zu halten. Gerne hätte sie sich dem netten, vertrauenswürdigen Ehepaar anvertraut.

Sie überwand diese Gefühlswallung schweren Herzens und erzählte den Monods von ihrem Kunststudium an der Fachhochschule in Köln und dass sie einmal Restaurateurin von Kunstwerken werden wolle. Ein Semester vor Studienabschluss benötige sie nach einigen stressigen Monaten nun etwas Ruhe und Abstand. Was lag da näher, als diese Ruhe an der mit kunsthistorischen Schätzen überreichen Normandie zu suchen? Dies entsprach zwar alles der Wahrheit, war aber nicht der eigentliche Grund ihrer Reise. Das Ehepaar Monod gab sich jedoch fürs Erste damit zufrieden.

Als sie sich schließlich verabschiedete, hatte sie das Gefühl, Freunde gefunden zu haben. Sie wog sich bereits in Sicherheit und stand schon mit einem Bein auf dem Kiesweg, als ihr Monsieur Monod noch hinterherrief: „Woher können Sie eigentlich so gut Französisch? Reisen Ihre Eltern oft nach Frankreich?“

Klara zuckte zusammen, fasste sich aber schnell wieder: „Das gute Sprachgefühl wurde mir wohl in die Wiege gelegt. Es fiel mir immer sehr leicht, Sprachen zu lernen.“ Und ohne sich nochmals umzudrehen, eilte sie schnellen Schrittes auf ihre Gîte zu, wie die Häuschen hier genannt wurden.

„Irgendetwas verheimlicht das Mädchen vor uns“, meinte Madame Monod nachdenklich, „und kommt sie dir nicht auch irgendwie bekannt vor? Trotzdem bin ich mir sicher, dass ich ihr noch nie begegnet bin.“

Ihr Mann lächelte: „Du wirst es herausfinden, meine liebe Marguérite! Da bin ich mir ganz sicher.“

*

Klara lag an diesem Abend noch lange wach. Sie war aufgewühlt. Was sollte sie antworten, wenn man sie nach ihrem Reisegrund fragte? Wenn sie es nur selbst genau wüsste! Es war der innigste Wunsch ihrer Mutter gewesen, aber nach dem Grund dafür konnte sie ihre Mutter nicht mehr fragen.

Schließlich holte sie ihr Tagebuch hervor, blätterte darin und begann, an einer schwarz umrahmten Stelle zu lesen. Eigentlich kannte sie diese Zeilen bereits in- und auswendig, aber es war wie ein Zwang, sie immer und immer wieder lesen zu müssen.

31. Juli

Ich kann es immer noch nicht fassen! Morgens wache ich auf und denke, dass alles nur ein Alptraum war, und abends lege ich mich in dem stillen Haus schlafen und hoffe, dass es am nächsten Tag wieder von ihren Stimmen hallen wird – vom erfrischenden Lachen meiner Ma und der schönen dunklen Stimme meines Dads. Ja, er war mein geliebter Papa, und das wird er in alle Ewigkeit bleiben, was immer mir auch Mama über ihn erzählt hat. Es ist nicht von Bedeutung!

Wie schlecht muss es das Schicksal mit mir meinen, dass es mir beide gleichzeitig nahm! Was immer man mir über eine göttliche Existenz beigebracht hat, ich kann nur noch an das abgrundtief Schlechte und Böse glauben. Kein Gott der Welt würde mich so strafen.

Ich bin stumm vor Schmerz. Mein Herz will weinen, aber meine Augen sind wie ausgetrocknet. Meine Seele schreit, aber meine Stimme versagt. Deshalb habe ich mich heute entschlossen alles niederzuschreiben, denn ich muss irgendetwas tun, um nicht durchzudrehen. Ich muss mich der schrecklichen Wahrheit stellen. Zudem habe ich Angst, Mamas letzte Worte zu vergessen, bevor ich ihre Bedeutung herausgefunden habe.

Der schrecklichste aller Tage begann damit, dass Mama aus dem Koma erwachte. Da war Papa schon...