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Versteck

Dick Francis

 

Verlag Diogenes, 2015

ISBN 9783257606485 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[5] 1

Ich schaute meinen Freund an und sah einen Mann vor mir, der mich bestohlen hatte. Befremdend. Ein Schlag ins Gesicht.

Jody Leeds erwiderte meinen Blick halb lächelnd, noch immer ungläubig.

»Wie bitte?«

»Ich nehme meine Pferde weg«, sagte ich.

»Aber… ich bin doch dein Trainer.« Er hörte sich verblüfft an. Seine Stimme und sein Gesicht drückten aus, daß Besitzer sich niemals von ihrem Trainer trennten. Das gab es einfach nicht. Nur Barbaren und Exzentriker liefen mit ihren Pferden von einem Stall zum anderen, und als so jemand kannte er mich nicht.

Wir standen auf der Rennbahn Sandown Park vor der Waage im kalten Wind, während Leute mit Sätteln und Nummerndecken für das nächste Jagdrennen an uns vorbeihasteten. Jody zog die Schultern unter der Schafsfelljacke hoch und schüttelte sein bloßes Haupt. Der Wind wehte ihm Strähnen glatter brauner Haare vor die Augen, und gereizt strich er sie aus der Stirn.

»Bitte, Steven«, sagte er. »Du machst Witze.«

»Nein.«

Jody war klein und untersetzt, ein hart arbeitender Mann [6] von achtundzwanzig, clever, kompetent und beliebt. Seit ich mir vor drei Jahren die ersten Rennpferde zugelegt hatte, war er mein ständiger Berater gewesen, und von Anfang an hatte er mich kaltlächelnd rund um die Uhr bestohlen.

»Du bist doch verrückt«, sagte er. »Ich habe gerade ein Rennen für dich gewonnen.«

Wir standen tatsächlich gerade auf dem Absattelplatz für die Sieger, dem Rasenstück, auf dem Energise, mein neuestes und herausragendstes Hürdenpferd, vorhin seinen strahlenden Jockey abgesetzt hatte, um dampfend, stampfend, selbstbewußt mit dem Kopf zu schlagen und den Applaus der Menge als ihm gebührenden Tribut entgegenzunehmen.

Es war kein wichtiges Rennen gewesen, aber er hatte es gewonnen wie ein Großer. Zu sehen, wie dieser dunkelbraune Blitz bergan dem Ziel entgegenflog, hatte mich mit seltener Bewunderung und Freude erfüllt… wenn nicht sogar mit Liebe. Energise war schön, mutig und platzte vor Siegeswillen, und eben weil er hier gesiegt – und so gesiegt – hatte, wollte ich meinen halbherzigen Entschluß, mich von Jody zu trennen, endlich in die Tat umsetzen.

Wahrscheinlich hätte ich Ort und Zeit dafür besser wählen sollen.

»Ich habe Energise bei der Auktion für dich ausgesucht«, sagte er.

»Ich weiß.«

»Und auch deine anderen Sieger.«

»Ja.«

»Und deinetwegen habe ich mir einen größeren Stall zugelegt.«

[7] Ich nickte kurz.

»Du kannst mich doch jetzt nicht hängenlassen!«

Die Ungläubigkeit war in Ärger umgeschlagen. Seine klaren blauen Augen bekamen einen streitlustigen Ausdruck, und die Muskeln um seinen Mund strafften sich.

»Ich nehme die Pferde weg«, wiederholte ich. »Und mit Energise fangen wir an. Du kannst ihn gleich hierlassen, wenn du fährst.«

»Du bist ja verrückt.«

»Nein.«

»Wo kommt er denn hin?«

Darüber war ich mir selbst noch nicht im klaren. Ich sagte: »Das regle ich schon alles. Laß ihn einfach hier im Stall und fahr ohne ihn heim.«

»Dazu hast du kein Recht!« Wilder Zorn blitzte aus seinen Augen. »Was bist du bloß für ein Scheißkerl!«

Und doch war das Recht auf meiner Seite, das wußte er so gut wie ich. War der Besitzer unzufrieden, konnte er jederzeit den Trainer wechseln; daß von dem Recht selten Gebrauch gemacht wurde, tat nichts zu Sache.

Jody war starr vor Wut. »Ich nehme das Pferd mit, und nichts wird mich davon abhalten.«

Mit seinem Trotz bewirkte er erst recht, daß ich es ihm zeigen wollte. Entschieden schüttelte ich den Kopf. »Nein, Jody«, sagte ich. »Das Pferd bleibt hier.«

»Nur über meine Leiche.«

Er zitterte vor Kampfeslust am ganzen Körper.

»Du hast nicht mehr die Vollmacht, in meinem Namen zu handeln«, sagte ich, »und das werde ich den Zuständigen im Waageraum jetzt gleich mitteilen.«

[8] Er starrte mich böse an. »Du schuldest mir Geld«, sagte er. »Erst wenn du mich bezahlt hast, kannst du mir die Pferde wegnehmen.«

Ich zahlte meine Rechnungen bei ihm stets pünktlich und schuldete ihm nur das Geld für den laufenden Monat. Sofort zog ich mein Scheckbuch aus der Tasche und zückte meinen Stift.

»Ich schreibe dir einen Scheck aus.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage.«

Er nahm mir das Scheckbuch aus der Hand, riß es mittendurch und warf es mit der gleichen Bewegung hinter sich, so daß die ganzen losen Scheckhälften im Wind davonflatterten. Erstaunte Gesichter wandten sich uns zu, und die Presse wurde aufmerksam. Einen öffentlicheren Ort hätte ich mir für den großen Krach, der sich hier anbahnte, kaum aussuchen können.

Jody schaute sich um. Blickte auf die Männer mit den Notizbüchern. Witterte Verbündete.

»Das wird dir noch leid tun«, sagte er. »Dir zieh ich das Fell über die Ohren.«

Das Gesicht, das mich vor fünf Minuten noch ganz freundlich und gutgelaunt angelächelt hatte, war wie verwandelt. Selbst wenn ich jetzt einlenken und um Entschuldigung bitten würde, ließe sich die alte Beziehung nicht wiederherstellen. Das Vertrauen war zerstört und der Riß nicht mehr zu kitten.

Jodys heftiger Widerstand hatte mich aggressiver werden lassen als eigentlich beabsichtigt. An meinem Entschluß änderte das nichts, auch wenn ich jetzt mehr kämpfen mußte, um ihn durchzusetzen.

[9] »Mach, was du willst«, sagte ich, »aber meine Pferde behältst du nicht.«

»Du ruinierst mich!« schrie Jody.

Die Presseleute kamen ein paar Schritte näher heran.

Jody warf ihnen rasch einen Blick zu. Bosheit überkam ihn, und Gehässigkeit verzerrte seine Züge. »Ihr reichen Mistkerle, ihr schert euch einen Dreck darum, wem ihr schadet!«

Ich ließ ihn einfach stehen, ging in den Waageraum und sagte mich wie angekündigt von ihm als Trainer los. Ich unterschrieb Formulare, mit denen ihm die Vollmacht, in meinem Namen zu handeln, entzogen wurde, und hielt außerdem in einer handschriftlichen Notiz fest, daß ich ihm ausdrücklich untersagt hatte, Energise von Sandown Park zu entfernen. Niemand bestritt, daß ich dazu berechtigt war; man begegnete aber dieser Person, die sich so kurz und plötzlich der Dienste eines Mannes entledigte, welcher ihr vor zehn Minuten noch einen Sieger beschert hatte, etwas kühl.

Ich erzählte ihnen nicht, daß diese Person sehr lange gebraucht hatte, um der Tatsache, daß er beschwindelt wurde, ins Auge zu sehen. Ich erzählte ihnen nicht, daß ich meinen Verdacht lange als unbegründet verworfen und Jody alles mögliche zugute gehalten hatte, bevor ich meiner Sache schließlich sicher war.

Ich sagte auch nichts davon, daß Jodys erste Reaktion auf die Eröffnung, daß ich ihm meine Pferde wegnehmen wollte, für mich ausschlaggebend gewesen war.

Er hatte es nämlich versäumt, die naheliegende Frage zu stellen.

Er hatte nicht gefragt, warum.

[10] Als ich aus dem Waageraum kam, hatten Jody und die Presseleute den Absattelring verlassen. Rennbahnbesucher eilten zur Tribüne, um sich das bevorstehende Jagdrennen, den Höhepunkt des Nachmittags, anzuschauen, und auch die Funktionäre, die ich gerade in Anspruch genommen hatte, machten sich auf die Beine.

Mir lag nichts an dem Rennen. Ich hielt es für besser, zu den Stallungen zu gehen und mit dem Wächter am Tor zu reden, damit er aufpaßte, daß Energise sich nicht in Luft auflöste. Da der Wächter aber in der Regel böse Buben am Eindringen und nicht gute Rennpferde am Rausgehen hindern sollte, durfte man, selbst wenn er hilfsbereit war, vielleicht nicht allzuviel von ihm erwarten.

Er saß in seinem Wachhäuschen, ein stämmiger Mann mittleren Alters in einer marineblauen Sergeuniform mit Messingknöpfen. Über einem Heizofen, der einen aussichtslosen Kampf gegen die Dezemberkälte führte, hingen mehrere Klemmbretter mit Listen an der Wand.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich komme wegen meines Pferdes –.«

»Hier können Sie nicht rein«, fiel er mir barsch ins Wort. »Besitzer ohne Trainer haben keinen Zutritt.«

»Das weiß ich«, sagte ich. »Ich möchte nur sicherstellen, daß mein Pferd hierbleibt –.«

»Um welches Pferd geht’s?«

Wie viele Leute auf kleineren Machtpöstchen hielt er es nicht für nötig, jemand ausreden zu lassen oder auch nur freundlich anzusehen.

»Energise«, sagte ich.

Er kniff die Lippen zusammen und überlegte, ob er mir [11] Auskunft geben sollte. Wahrscheinlich kam er zu dem Ergebnis, daß außer mangelnder Hilfsbereitschaft nichts dagegen sprach, denn schließlich sagte er widerwillig: »Ist das so ein Schwarzer, der von Leeds trainiert wird?«

»Ja.«

»Der ist weg«, sagte er.

»Weg?«

»Genau. Pfleger hat ihn vor ein paar Minuten abgeholt.« Er zeigte mit dem Kopf in die Richtung des Platzes, wo die Pferdetransporter parkten. »Leeds war bei ihm. Wenn Sie mich fragen, sind die inzwischen auf und davon.« Der Gedanke schien ihm zu gefallen. Er grinste.

Ich überließ ihn seiner Schadenfreude und lief den von Sträuchern gesäumten Weg entlang zu dem großen, kiesbestreuten Platz, auf dem planlos Dutzende Pferdetransporter geparkt waren. Jodys Transporter war rehbraun mit rot abgesetzten Feldern an den Seiten, und er setzte gerade aus seiner Parklücke, um zwischen zwei Wagenreihen zu wenden und den Platz zu verlassen.

Ich...