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XXL-Leseprobe: Eversea - Ein einziger Moment

Natasha Boyd

 

Verlag LYX, 2015

ISBN 9783802598005 , 80 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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1


Du weißt, dass du im Lowcountry von South Carolina bist, wenn sich das Lenkrad deines alten roten Pick-ups von der feuchten Luft rutschig anfühlt, die Nachrichten im Radio nur davon berichten, welchen Weg der jüngste atlantische Hurrikan voraussichtlich nehmen wird, und das überfahrene tote Tier, dem du gerade noch ausweichen kannst, ein fünf Fuß langer Alligator ist.

Ich erschauerte, als ich die schleimigen Überreste des Reptils hinter mir ließ, und hielt kurz die Luft an. Dann hob ich meinen Pferdeschwanz im Nacken hoch und hoffte, die heiße Brise von South Carolina, die durchs Fenster hereinwehte, würde sich zumindest auf meiner feuchten Haut kühl anfühlen.

Der Vorteil am Herbst war, dass die Touristen schon wieder nach Hause gefahren waren. Der Nachteil, dass das County dann aufhörte, gegen Moskitos und Bartmücken zu sprühen, sodass diese kleinen Scheißviecher Gelegenheit hatten, sich wie verrückt an der »einheimischen Küche« satt zu fressen. Eins davon hatte sich auch in meinen Pick-up verirrt, und ich tat mein Möglichstes, um es zu ignorieren, während ich über die Cross-Island-Brücke fuhr. Aber wenn es die Frechheit besitzen sollte, in einen meiner nackten Fußknöchel zu stechen, dann würde ich rechts ranfahren und es erlegen müssen.

Ich schaute in den Rückspiegel und wollte schon die Spur wechseln, als ein lautes Hupen und dröhnendes Motorengeräusch mich das Steuer zurückreißen ließ. Der Magen zog sich mir zusammen, als ein Motorrad aus meinem toten Winkel rausfuhr. Das hatte ich beinah touchiert. Der Fahrer kam auf meine Höhe und schaute herüber, während ich die Hand zu einer entschuldigenden Geste hob.

Sein Helm hatte ein getöntes Visier, durch das ich nicht durchschauen konnte. Nach ein paar Sekunden hob er grüßend die Hand und rauschte dann röhrend davon. Sein weißes Hemd bauschte sich wie ein Segel. Kalifornisches Nummernschild. Tourist. Das passte.

Ich war für meine Schicht im Grillrestaurant schon spät dran, daher folgte ich dem Beispiel des Bikers und trat das Gaspedal durch. Ein Polizist würde wohl eher den Fremden rechts ranfahren lassen als mich. Oder mir höchstens eine freundliche Ermahnung mitgeben. Wenn du in einer Kleinstadt lebst, dann bist du eben mit fast jedem entweder zur Schule oder in die Kirche gegangen. Auch wenn ich beide schon länger nicht mehr besuchte.

Als ich ankam, blieben mir nur noch ein paar Minuten. Also stellte ich den Wagen ab und rannte hinein.

Der kleine Küstenort Butler Cove Island hatte außerhalb der Saison neuntausend Vollzeiteinwohner, und an manchen Tagen kam es mir vor, als hätte jeder davon einen Schaden. Ich setzte ein falsches Lächeln auf und nickte mechanisch, während ich höflich einem weiteren weisen Rat von Pastor McDaniel lauschte. Der gute Pastor tat so, als würde er puren Eistee trinken, der nicht mit einem Schuss aus dem kleinen Flachmann in seiner Jackentasche versehen war. Im Ernst?

Seine stattliche Erscheinung war in eine Nische gequetscht, und die Knöpfe an seinem Anzughemd sahen aus, als müssten sie einiges aushalten.

Ob er mich diesmal mit dem Gerede über mein Haus verschonen würde? Der Pastor saß im Stadtrat und schien der Ansicht, das gäbe ihm das Recht, richtig dick aufzutragen. »Nun, Miss Keri Ann, deine Großmama würde sicher im Grab rotieren, wenn sie mitansehen müsste, wie das letzte bisschen Immobilienbesitz in eurer Familie so herunterkommt.« Nö. Er fing schon wieder davon an. »Du musst das Anwesen instandhalten.« Verschwörerisch beugte er sich vor. »Soll ich dir nicht am Sonntag nach der Kirche meinen Jasper raufschicken, damit er dir ein wenig unter die Arme greift?«

»Das wäre sehr nett von Ihnen, Herr Pastor.« Es widerstrebte mir, das Angebot abzulehnen, im Ernst. Das Haus meiner Familie war das Letzte von Butler Cove, was den Butlers noch geblieben war, und nun verfiel es. Ich brauchte Hilfe, aber nicht zu dem Preis, dass der Pastor mir einen Gefallen tat. Und daraus, wie seine Knopfaugen hin und her gingen, schloss ich mit Sicherheit, dass ihm die Vorstellung, Jasper und mich zusammenzubringen, durch den Kopf ging. Was gäbe es auch für einen besseren Weg, um an das Haus ranzukommen? Zum Glück war ich mir sicher, dass Jasper und ich unsere Freundschaft beide platonisch belassen wollten. »Ich würde ihn gerne bezahlen, wenn er gegen ein bisschen Schleifen und Streichen nichts einzuwenden hat.«

Der Pastor drückte schnaufend seine Brust ein wenig heraus. »Also nein, davon will ich aber nichts hören. Mein Jasper ist ein Gentleman, der einer Lady hilft, und fertig. Hat er dir schon erzählt, dass er eine Zusage vom Charleston College of Law hat?«

Ich nickte.

»Er ist ein kluger Bursche, der mal weit rumkommen wird. Kann mit seinem Verstand und seinen Händen umgehen. Ich schicke ihn am Sonntag zu dir rüber.« Er fokussierte seinen Blick und schien an der Nasenspitze entlang auf mich zu schauen, obwohl ich seine sitzende Gestalt sicher um mindestens drei Köpfe überragte. »Ich hoffe, ich sehe dich vorher im Gottesdienst.«

Wie kriegte er das bloß hin?! Es musste da eine eigene Schule geben, wo Pastoren lernten, Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich lächelte zaghaft und stellte das Wasser ab, das ich gerade in der Hand hielt.

»Wie wär’s mit ein wenig Wasser, Herr Pastor?«, fragte ich und schaute vielsagend auf seinen hochprozentigen Eistee. Seit sechs Jahren war ich nicht mehr in der Kirche gewesen. Wenn ich diesen Sonntag ging, konnte mich eventuell der Blitz treffen.

Es war ein gemächlicher Abend. Endlich Ruhe nach der verrückten Touristensaison. Die einzigen Leute, die sich noch in dem schummrig beleuchteten Restaurant aufhielten, saßen an der Bar. Eine davon war meine beste Freundin Jazz, die diesen Spitznamen ihrem Lieblingsmusikgenre verdankte, und ein gebeugt dahockender Typ mit Baseballcap und Kapuze, der erst vor fünf Minuten reingekommen war und sich jetzt praktisch auf dem Barhocker in der Ecke einrollte. Er zog ein Handy aus der Tasche seiner Jeans.

Es war schon fast Zeit zu schließen, und ich hoffte sehr, dass er nicht lange bleiben würde. Mal früh ins Bett zu kommen, das konnte ich wirklich brauchen. Und das Lokal pünktlich zu schließen schien mir eine himmlische Aussicht zu sein.

»Was kann ich Ihnen bringen?«, rief ich dem Typ mit dem Kapuzensweater zu, während ich hinter die Bar zurückkam. Er murmelte irgendwas, schaute dabei aber nicht von seinem Handy hoch, in das er eifrig tippte. Ich seufzte und ging noch ein Stück den Tresen hinunter, damit ich ihn verstand. Manche Leute können dermaßen unhöflich sein. Davon hatte ich diesen Sommer schon genug gehabt, und ich denke, das erging nicht bloß mir so. Es war von ein paar Fällen berichtet worden, als Einheimischen der Kragen geplatzt war. Kein Wunder. Die Bezirksverwaltung hatte sogar Plakate aufhängen müssen, in denen man die Einheimischen daran erinnerte, dass der Großteil ihrer finanziellen Mittel aus dem Tourismus kam.

»Einen Burger, medium, mit Pommes. Zum Mitnehmen«, wiederholte der Kapuzentyp, ohne hochzublicken. Der Schirm seines weinroten Caps verbarg sein Gesicht vollständig. »Und einen Bushmills auf Eis, solange ich warte.« Sein Akzent verriet, dass er definitiv nicht von hier war. Er simste schon wieder weiter. Ich seufzte und tippte die Bestellung auf den Touchscreen. Zum Glück besaß ich die Geduld einer Heiligen. Zehn Sekunden später lehnte sich Hector aus der Küche und musterte mich kopfschüttelnd.

»Sorry, Hector. Das ist die letzte, dann kannst du alles ausmachen. Ich mach hier draußen dicht.«

Seine griesgrämige Miene brachte mich zum Lächeln. Wir beschwerten uns jeder mal, aber immer im Guten, denn wir mochten unsere Jobs im Snapper Grill. Den ganzen Sommer über waren die Löhne und Trinkgelder riesig, und in der Nebensaison, wenn die meisten anderen Saisonangestellten weiterzogen, hielten mehr oder weniger wir beide den Laden am Laufen. Richtig was los war dann nur am Wochenende, wenn das Lokal eher als Bar für die Inselbewohner fungierte und weniger als Restaurant. Es war hilfreich, dass unser Besitzer Paulie den Sender mit der lokalen Sportberichterstattung abonniert hatte. Denn die meisten Einheimischen sahen überhaupt nicht ein, dass sie sich ein Premiumabo des Kabelanbieters zulegen sollten, nur um die Spiele der Tigers oder der Gamecocks zu sehen. Hector zog seinen dunklen Schopf wieder in die Küche zurück und murmelte irgendwas auf Spanisch.

»Sooo, was gibt’s in der Welt der Promis denn Neues?« Ich deutete mit dem Kopf auf die Zeitschrift, die Jazz gerade verschlang, und füllte nebenbei ein Glas mit Eiswürfeln und gutem irischem Whiskey.

Jazz schaute hoch und seufzte vor Glück. »Was für eine Wohltat. Monatelang bin ich nicht dazu gekommen, einfach nur rumzusitzen und Klatschblätter zu lesen. Weißt du, meine Mutter duldet sie nicht mal im Haus. Sie sagt, ich würde damit meinen Verstand verflüssigen, während sie meine Studiengebühren zahlt. Ich kann’s gar nicht erwarten auszuziehen, auch wenn ich sie vermissen werde.«

Jazz studierte an der University of South Carolina Beaufort, wohnte aber noch zu Hause, um Geld zu sparen, und jobbte in einem schicken Laden hier im Ort. Ich schenkte meiner Freundin ein mitfühlendes Lächeln und servierte den starken Drink am anderen Ende der Bar.

Der Kapuzenkerl scrollte immer noch mit seinen langen Fingern auf dem Handydisplay und achtete überhaupt nicht auf das Glas, das ich mit einer Serviette darunter auf das polierte Holz direkt vor ihm stellte. Ich seufzte und schlenderte zurück zu Jazz.

»Du weißt ja, dass...