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Der Duft von Oliven

Sigrid Wohlgemuth

 

Verlag Der Kleine Buch Verlag, 2015

ISBN 9783765021251 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

1. Kapitel


Anna blinzelte in die Spätnachmittagssonne. Sie setzte sich auf und strich den inzwischen getrockneten Sand von ihren Beinen. Dann hielt sie sich die Hand schützend über die Augen und sah zu, wie der leichte Wind die Wellen ans Land trieb.

War es die Liebe zu Ilías, dem kretischen Bauern, die sie alles im rosaroten Licht sehen ließ? Wenn sie an Zuhause dachte, an Köln, die Stadt mit ihrem oft deprimierend grauen Himmel, an den herrischen Vater, dem sie nichts gut genug machen konnte, fröstelte sie. In diesem Moment stieg Ilías aus dem Wasser. Er kam im Laufschritt auf sie zu, ließ sich neben ihr auf das Badetuch fallen und zog sie in seine Arme.

»He!«, schrie Anna, »du machst mich wieder total nass.« Sie stieß ihn in die Rippen. Ilías schüttelte sein Haar. Anna quiekte, als die Wassertropfen sie trafen. Er lachte und streckte sich aus, schlug die Füße übereinander, verschränkte die Arme im Nacken.

Kaum zu glauben – Anna ließ ihre Augen über Ilías’ Körper schweifen – dieser Mann möchte mit mir zusammenleben.

Im Schneidersitz schob sie sich neben ihn.

»Und, hattest du genug Zeit, um darüber nachzudenken?« Ilías stützte sich auf die Ellbogen und sah Anna liebevoll an.

»Worüber?«

»Anna, ich meine es ernst.«

»Ich soll zu dir nach Kreta ziehen?«

»Liegt es an meinem Griechisch, dass du mich nicht verstehst?«

»Scherz nicht rum.« Anna verzog den Mund zu einer Schnute.

»Nun gut. Du willst es nicht anders.« Er richtete sich auf. Anna bemerkte ein schelmisches Zucken um seine Mundwinkel. »Du bist die Frau meiner Träume! Wenn ich dich anschaue, mit deinen langen blonden Haaren und dem athletischen Körper, könnte ich vor Glück verrückt werden! Deine himmelblauen Augen ziehen mich magisch an, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe!« Anna lachte verlegen, um nicht vor Rührung zu weinen, und entgegnete schnippisch: »Ach, es geht dir nur um mein Aussehen?«

Ilías griff nach ihrer Hand. »Lass mich ausreden. Ich bewundere deine Intelligenz, deine Aufgeschlossenheit, dein Einfühlungsvermögen. Ich liebe dich, vertraue dir und will dich nicht mehr loslassen.« Anna wollte ihm die Hand entziehen, doch Ilías verstärkte den Griff. »Wir kennen uns lang genug, um eine Entscheidung zu treffen. Seit zwei Jahren liegen dreitausend Kilometer zwischen uns. Das langt jetzt, Anna!«

»Es gibt viel zu bedenken«, warf sie ein.

»Und was?«

»Wo werden wir wohnen? Und wie sieht es mit einem Job aus?«

»Ist dir das wichtig?«

»Ja.«

»Mein Einkommen wird für uns beide reichen. Und ich bin sicher, du wirst an der Schule arbeiten können mit deinem perfekten Griechisch und den vielen anderen Sprachen.«

Er wollte sie in seine Arme ziehen, doch Anna entschlüpfte ihm, rannte zum Meer.

Am Ufer entlangschlendernd, die Füße im kühlen Wasser, schaute sie auf die Wellen. Dann streiften ihre Augen die Landschaft. Umschlossen von hohen Bergen lag die Thólos-Bucht, wenige Kilometer vom Dorf Kavoúsi entfernt. Nach Süden breiteten sich Olivenhaine aus, vom salzigen Sturm gebeugte Äste trugen kleine Früchte. Tamarisken standen am Strand und spendeten den überwiegend griechischen Badegästen Schatten. Um eine kleine Süßwasserader herum schwirrten Hornissen. Ein holländisches Pärchen hatte seinen Wohnwagen im Schutz der Sträucher geparkt. Die beiden saßen gerade an einem Campingtisch beim Essen. Griechische Musik schallte aus einem Holzhaus herüber, einige Tische und Stühle standen davor. Der Besitzer der Taverne stellte gerade Erfrischungen auf ein Tablett. Eine Gruppe Einheimischer stand im Meer und unterhielt sich Wasser tretend. Zwischendurch tauchten sie tiefer hinein oder schwammen auf dem Rücken, ohne das Gespräch zu unterbrechen.

Anna blickte auf die Weite des Meeres, das sich bis zum Horizont erstreckte.

Die Frau seiner Träume. Nein, ich zweifle nicht. Weder an Ilías’ Liebe noch daran, dass ich genau hier mein Leben führen will. Sie drehte sich zu dem Mann um, der fortan alles mit ihr teilen wollte. Er winkte, und sie schrie über die Brandung hinweg: »Ich will!«

Mit ausgebreiteten Armen lief sie auf ihn zu. Sie sah, wie er aufsprang und einen Freudentanz aufführte, dass der Sand hochspritzte. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl ergriff Besitz von jeder Faser ihres Seins.

2. Kapitel


Ágios Nikólaos, Frühjahr 1980

Langsam erwachte Thália aus der Narkose. Sie schaute auf die Uhr, die im Aufwachraum an der sonst kahlen Wand hing. Dreizehn Uhr zehn.

Eine Schwester saß am Schreibtisch, vertieft in eine Krankenakte. Zeit, dass ich nach Hause komme, dachte Thália. Vorsichtig erhob sie sich, doch ein leichter Schwindel drückte sie sofort zurück ins Kissen. Beim nächsten Versuch stützte sie sich vorsorglich auf die Ellbogen. Mit Schwung flog die Tür auf und der Arzt eilte herein. Sogleich erhob sich die Schwester und stellte sich ans Bettende.

Der Gynäkologe zog sich einen Stuhl heran. Seine Augen ruhten auf Thália.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er.

»Ein wenig schummrig.«

»Das kommt von der Narkose.«

Thália nickte.

»Haben Sie Schmerzen?«

»Nein.«

»Der Eingriff ist ohne Komplikationen verlaufen. Sie werden in den nächsten Tagen Schmierblutungen haben. Sollten diese verstärkt auftreten, dann kommen Sie bitte zur Untersuchung. Ansonsten erst in zehn Tagen zur Kontrolle.«

Sie nickte ein weiteres Mal.

»Thália, ich möchte Ihnen vorschlagen, die Pille zu nehmen.«

Sie schaute auf.

»Das war Ihre zweite Abtreibung innerhalb von achtzehn Monaten. Sie sind neunzehn Jahre alt. Auch in den ersten Schwangerschaftswochen ist jeder Eingriff eine Belastung und eine hormonelle Umstellung für den Körper. Haben Sie die Pille schon einmal ausprobiert?«

»Nein. Ich habe meinen Zyklus immer nachgerechnet und war mir sicher.«

»Ich werde Ihnen eine aufschreiben. Wenn sich Ihre Periode wieder eingestellt hat, beginnen Sie bitte damit.«

Während er ihr das Rezept ausstellte, versuchte Thália, aufzustehen. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Unterleib. Sie stöhnte auf.

»Haben Sie jemanden, der Sie nach Hause bringt?«

»Nein, ich fahre mit dem Bus. Niemand weiß …«

»Schonen Sie sich einige Tage, und keine schwere Last in den nächsten sechs Wochen. Wir sehen uns.« Zum Abschied reichte er ihr die Hand.

Vor dem Krankenhaus stieg Thália in ein Taxi und ließ sich zur Bushaltestelle bringen, die sich in der Innenstadt befand. Im Bus zog sie das Rezept aus der Handtasche, zerriss es in kleine Fetzen und steckte es in den Aschenbecher, der an der Rückenlehne des Sitzes vor ihr befestigt war.

Künstliche Hormone nehme ich nicht, nachher bekomme ich nie ein Baby, dachte sie, lehnte den Kopf an die Scheibe und dämmerte vor sich hin, bis der Bus in Tourlotí, ihrem Dorf, anhielt.

Sommer 1982

Thália stand in der Küche und bereitete das Mittagessen vor, als Emmanouíl sich hinter sie schlich. Er schlang die Arme um ihre Taille.

»Wie geht es meiner bezaubernden Frau?« Zärtlich küsste er ihren Nacken.

»Sie ist glücklich, ihren Ehemann zu sehen.«

»Wenn uns einer zuhörte, dächte er, wir wären einem anderen Jahrhundert entsprungen, so förmlich reden wir miteinander.« Er lachte.

»Nun, wir sind erst zwei Wochen verheiratet, sozusagen in den Flitterwochen.« Sie schmiegte sich eng an ihn. Sogleich zog er sie mit sich ins Schlafzimmer.

Endlich habe ich den Mann fürs Leben gefunden. Und einen Vater für meine Kinder. Jetzt brauche ich weder meinen Zyklus nachzurechnen noch die Pille zu schlucken.

Emmanouíl schob sie sanft aufs Bett, öffnete ihre Bluse, und Thália gab sich seinen Liebkosungen hin.

3. Kapitel


Anna schnürte den Rucksack zu. Sie schwang ihn auf die Schulter, ergriff die beiden Koffer. Dann schaute sie sich ein letztes Mal um, bevor sie sich energisch umwandte und die Treppe hinunterlief. Vor dem Haus wartete bereits das bestellte Taxi. Der Fahrer verstaute das Gepäck und hielt ihr die Beifahrertür auf.

»Jetzt kann’s losgehen«, sagte Anna und zwinkerte ihm zu. Sie bemerkte, dass sich die Wangen des älteren Fahrers leicht röteten. »Auf zum Kölner Flughafen.«

»Wohin soll die Reise denn gehen, junges Fräulein?«

Er startete den Wagen. Sie beugte sich nach vorn und blickte in den Seitenspiegel. Das Haus, in dem sie wohnte, verschwand in der...