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Ludwig van Beethoven - Musikführer

Arnold Werner-Jensen

 

Verlag Schott Music, 2015

ISBN 9783795786267 , 434 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Kammermusik mit Klavier

Sonaten für Violine und Klavier

Es ist ein recht schwer nachvollziehbarer Umweg, den die Gattung Violinsonate in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts genommen hat. Nachdem nämlich J. S. Bach mit seinen Sechs Sonaten für Violine und konzertierendes Cembalo für einen ersten Höhepunkt der Gleichberechtigung beider Instrumente im gemeinsamen Musizieren gesorgt hatte, kam unerwartet eine Phase, in der das Tasteninstrument das Melodieinstrument dominierte und bisweilen zum reinen Begleitinstrument degradierte. Gelegentlich trug der Violinpart sogar den Vermerk »ad libitum«, konnte also ohne Substanzverlust wegfallen.

Die allmähliche Rückbesinnung auf ein ausgewogenes und sinnvolles Miteinander im Sinne eines gleichberechtigten, konzertanten Musizierens läßt sich gut an der Werkreihe beobachten, die W. A. Mozart für diese Kombination schuf: ganz allmählich tritt die Violine aus ihrem Schattendasein und erreicht in Mozarts letzten Sonaten wieder die volle musikalische Partnerschaft. Die Gattungsbezeichnung »Sonaten für Klavier und Violine« allerdings blieb als Relikt dieses Umweges erhalten und ändert sich erst ganz am Ende der Sonatenreihe, die Beethoven komponierte.

Beethoven hinterließ nur zehn Sonaten für Klavier und Violine; sie entstanden alle in seiner mittleren, üblicherweise als »konzertant« bezeichneten Schaffensphase. Anders als bei den Cellosonaten gibt es also keine »späte«; lediglich op. 96 steht an der Grenze. Von Mozart übernahm er das bewährte dreisätzige Formmodell mit zwei rahmenden Ecksätzen und einem langsamen Mittelsatz; nur drei der Sonaten erweiterte er um das an dritter Stelle eingefügte Scherzo.

Sonaten für Klavier und Violine op. 12

Komponiert 1797/98, Antonio Salieri gewidmet

Mit diesen drei, nach alter Tradition unter einer Opuszahl zusammengefaßten Sonaten betritt Beethoven das Terrain sehr selbstbewußt und überzeugend. Energisch bezieht er sogleich Position: Duosonaten sind für ihn Schauplätze des konzertanten Miteinanders, jedes der beiden Instrumente kann sowohl führen wie begleiten. Darüber hinaus macht er sich den spezifischen Reiz dieser Instrumentenkombination zunutze: hier steht ein Schlag- und Akkordinstrument einem Melodie-Instrument gegenüber; ihre individuellen spieltechnischen und klanglichen Fähigkeiten werden von ihm gezielt und durchdacht in den Kompositionsprozeß einbezogen. Aus heutiger Sicht ist allerdings zu berücksichtigen, daß die instrumentenbauliche Entwicklung, vor allem beim Klavier, zu Beethovens Zeit auf einem anderen Stand war als heute: der Flügel verfügte bei weitem noch nicht über die Klanggewalt und war überdies heller, obertöniger als heute; die Violine hatte noch die alte geringere Mensur (Saitenlänge und -spannung, Darmsaiten), auch das seit Ende des 19. Jahrhunderts übliche Dauervibrato kannte man nicht.

Sonate D-Dur op. 12,1

Allegro con brio, 4/4 – Tema con variazioni: Andante con moto A-Dur, 2/4 – Rondo: Allegro, 6/8

Beethovens Erstling ist, wie seine Schwesterwerke aus op. 12, dreisätzig, mit eröffnendem Sonatensatz, langsamem Variationensatz und einem Rondo als Finale. Der Beginn des Kopfsatzes führt gleichsam leitmotivisch die neue Gleichberechtigung der Partner mit ihren charakteristischen Unterschieden vor: Nach fanfarenartig auf- und absteigendem Unisono-Beginn werden sogleich die Rollen verteilt; zunächst begleitet das Klavier mit einer selbständigen Achtel-Linie und Akkorden den scharf punktierten Melodiebogen der Violine; beim anschließenden Rollentausch wandert die Achtel-Linie in die Geigenstimme, und der so entschlossen klingende Melodiebogen wird in der rechten Klavierhand durch arpeggierende Triolen figuriert, also mit einer ganz typischen Klavierfigur; die Akkorde aber verbleiben in der linken Hand.

Die Exposition ist sehr ausgedehnt, kontrastreich und vielseitig. Eine spielerische Überleitung mit Passagenwerk und markanten Synkopen führt zum eher verhaltenen, fast ein wenig rezitativisch solistisch alternierenden Seitenthema, das sogleich figuriert wird und in eine triolisch grundierte verhangene Moll-Passage mündet. Eine Fülle von charakteristischen Motiven und Spielfiguren ist über die ganze Exposition ausgebreitet, wovon die kurze Durchführung eine Auswahl aufgreift. Sie rückt unvermittelt mit den mächtigen Akkordfolgen aus der Schlußgruppe nach F-Dur, setzt sich dann mit den Elementen des Hauptthemas auseinander und kombiniert schließlich die begleitenden Achtel mit einem kleinen alternierenden Auftakt-Motiv aus der Schlußgruppe. Eine Coda fehlt.

Das Thema der folgenden Variationen ist ein zweiteiliges, periodisch gebautes Lied, dessen beide Hälften jeweils zunächst vom Klavier allein, dann von der Violine mit dezenter Klavierbegleitung vorgetragen werden; sehr einprägsam ist der stockende Beginn des zweiten Melodiebogens. Die vier Variationen verändern das Thema in klassisch figurativer und charakteristischer Manier: Variation 1 in paraphrasierender melodischer Ausweitung, ganz vom Klavier dominiert; Variation 2 im dichten Gewebe unruhiger Zweiunddreißigstel, angeführt von der Geige; Nr. 3 als Moll-Variation voll expansiver kleinteiliger Unruhe, zwischen Triolen und geradem Metrum schwankend und nun partnerschaftlich eng verzahnt. Variation 4 spielt reizvoll mit Synkopen und einem kleinen Doppelschlag-Motiv und mündet in eine eher besinnliche Coda.

Das Final-Rondo entspricht der traditionellen Erwartungshaltung: Es wird zum spielerisch-konzertanten »Kehraus«, mit einem hüpfendtänzerischen Ritornell-Thema, das durch seine widerborstigen Akzente gegen den Takt und kleine Doppelschläge charakterisiert ist. Im ersten Couplet kommt es zu Imitationsansätzen eines kleinen chromatisch absteigenden Motivs zwischen den Instrumenten. Der kontrastierende Mittelteil des Satzes steht in der terzverwandten Tonart F-Dur und gibt sich über wiegenden Triolen ganz melodieselig. Am Ende geht der Satz unmerklich nach einem Fermaten-Zögern in eine Coda über, die phantasievoll und am Schluß ganz verhalten mit dem Synkopen-Rhythmus aus dem dritten Takt des Hauptthemas spielt .

Sonate A-Dur op. 12,2

Allegro vivace, 6/8 – Andante, più tosto allegretto a-Moll, 2/4 – Allegro piacevole, ¾

Der Kopfsatz dieser Sonate ist ein spielerischer, mit Maßen virtuoser Sonatensatz, dem sein 6/8-Metrum Einheitlichkeit verleiht. Diese wird verstärkt durch die enge motivische Verknüpfung aller Teile des Satzes: das umweglos einsetzende erste Thema präsentiert den motivischen Kern des Geschehens, nämlich die auf- oder abwärtsgerichtete Sekunde, zunächst als absteigende Kette kleiner Vorhalte, anschließend als pausendurchsetzte Tonleiter, jeweils zur hüpfenden Begleitung der Violine; im Seitensatz verwandelt sich dies in ein charakteristisches Auftakt-Motiv, das in beiden Instrumenten alterniert, nachdem zum Seitensatz-Beginn zuvor die melodische Linie unerwartete Umwege über e-Moll und F-Dur nahm.

Die Schlußgruppe steht mit ihrer chromatisch gewundenen Unisono-Linie beider Instrumente zum spielerischen Schwung des Satzes in einem merklichen Kontrast. Die kurze Durchführung setzt sich mit den Bestandteilen der Hauptsatzgruppe auseinander und kehrt die Bewegungsrichtung der Sekundketten auch nach oben um und unterstreicht die zugrundeliegende Tonleiterstruktur der Erfindung. Hier setzt nach der Reprise noch einmal die Coda an, in der Vorhalt und Tonleiterausschnitt, Auf und Ab miteinander verzahnt werden; in den Schlußtakten behält der Motivkern, zwar im Piano verklingend, aber in konsequenter Ausschließlichkeit, das letzte Wort.

Durch den Zusatz »più tosto allegretto« rückt Beethoven den Mittelsatz ausdrücklich vom Charakter eines langsamen Satzes ab; er macht ihn zum nahen Verwandten anderer beschleunigter Mittelsätze, z.B.der 7. und 8. Symphonie, Die Grundtonart a-Moll sichert ihm einen Hauch von Melancholie, die durch die häufigen Punktierungen der melodischen Verläufe jedoch ein wenig geziert wirkt. Der Hauptgedanke wird in beiden Instrumenten alternierend vorgetragen; danach setzt im terzverwandten F-Dur sanftes Fließen ein: leicht chromatisch gefärbte Tonleitergebilde imitieren sich im Taktabstand und münden jeweils in eine expressiv abwärtsgerichtete Intervallgeste der Quinte oder der Sexte. Dieser zarte Satz ist kein ausdrucksvolles Schwergewicht, vielmehr ein verhaltenes Intermezzo, dessen graziöse Leichtigkeit durch ein allzu gebremstes Tempo sehr beeinträchtigt werden kann.

Das Final-Rondo beginnt mit einem sehr gefällig in weichen Synkopen schmeichelnden Thema (»piacevole«) und setzt doch bald in der beginnenden Überleitung durch energisch aufwärtsfahrende Triolen-Passagen deutlichere Akzente. Ein walzerhaft wiegendes Gegenthema in G-Dur markiert das erste Couplet. Der Mittelteil steht in der Subdominante D-Dur und führt in einer neuen Melodielinie die Walzeridee weiter, während im Untergrund des Klavier-Basses sich die kleine motivische...