dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Kunst unterrichten - Die Vermittlung von Kunstgeschichte und künstlerischem Arbeiten

Klaus-Peter Busse

 

Verlag Athena Verlag, 2015

ISBN 9783898968690 , 158 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

14,99 EUR


 

2 Die Didaktik des Kunstunterrichts


Bildumgangsspiele und Blickfelder: Zielsetzung des Projekts


Wer sich heute als Lehrerin und Lehrer in der Schulpraxis, als Studentin und Student oder als Referendarin und Referendar in der Lehramtsausbildung ein Bild von der Kunstdidaktik und ihrer Forschung machen will, das von der Theorie direkt in die Praxis führt, erkennt ein weites Feld von Ansätzen, Handlungsmodellen und Forschungsdebatten. Es gibt heute sehr viele kunstdidaktische Fachbücher, die viele Forschungsinteressen der Fachdidaktik darstellen, eine beachtliche Zahl neu entwickelter Lehrbücher für die Unterrichtspraxis und ebenso viele Meinungen darüber, wie man Kunstunterricht machen kann. Dieses weite Feld ist von den Hochschulen geprägt (was in der Geschichte der Kunstpädagogik nicht immer so war), an denen Lehramtsstudiengänge angeboten werden, von sehr vielen fachlichen Publikationen, von einem beachtlichen Engagement in lokalen und überregionalen Tagungen und von Fachzeitschriften.

Auch gibt es Handlungsgerüste, die unveröffentlicht in den Fachseminaren der zweiten Ausbildungsphase praktiziert werden und die maßgeblich die Entwicklung des Kunstunterrichts beeinflussen. Die Fachleiterinnen und Fachleiter orientieren sich dabei an ihrem Erfahrungswissen, an didaktischen und curricularen Standards, aber auch an den Forschungen der Hochschulen. Die Kunstpädagogik ist ebenfalls durch Meinungen und Voreinstellungen der Personen geprägt, die Kunst unterrichten. Dieses »hidden curriculum« hat sich durch die berufliche Professionalisierung und durch den persönlichen wie institutionellen Umgang mit Kunst und Didaktik gebildet.

Alle, die sich für die Kunstdidaktik interessieren, erkennen ein komplexes Geflecht von Wissensbeständen, Forschungsmeinungen, Erwartungen und Normbildungen in einem breiten Konsens darüber, was Kunstunterricht ist und leisten soll. Er vermittelt »Kunst«, künstlerisches Arbeiten (»ästhetische Praxis«) und den analytischen Umgang mit Kunst und Bildern. Dies ist zugegebenermaßen sehr vage formuliert, und deshalb beginnen hier die Debatten. Denn was ist »Kunst«? Machen Kinder und Jugendliche im Unterricht »Kunst« oder etwas anderes? Was ist analytischer Umgang mit Kunst? Welche Kunst ist das, die sie untersuchen sollen? Warum sollen sie das lernen? Und was ist mit den vielen Bildern, die man nicht der Kunst zurechnet? In der Geschichte der Kunstdidaktik sind diese Fragen sehr unterschiedlich beantwortet worden, und bis heute werden sie debattiert. Kunstpädagogische Kongresse bieten hierzu ein nicht immer willkommenes Forum, wenn universitäre Positionen dargestellt werden und sich in den Mittelpunkt zu drängen scheinen. Eine neue Form der Fortbildung von Kunstlehrerinnen und Kunstlehrern als partizipatives und projektorientiertes Modell zu entwerfen, ist sicherlich dringlich. Statt Metadiskurse zu pflegen (in denen fortwährend theoretische Grundlagen erörtert werden), wäre es inzwischen up-to-date, konkrete inhaltliche Fragen zu entwickeln: wie man beispielsweise Unterrichtssequenzen zu obligatorischen Themen der gymnasialen Oberstufe so plant, dass sie wissenschaftlichen Standards entsprechen.

Einerseits ist die Vielfalt der kunstdidaktischen Debatte sehr belebend und macht das Fach spannend, andererseits sind eine Annäherung, Vergleichbarkeit und Strukturierung der vielen Sprachen der Kunstdidaktik für die Personen wünschenswert, die im beruflichen Alltag stehen, einen konsekutiven Studiengang bewältigen müssen und die Verantwortung für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern tragen. Dies betrifft auch jene Personengruppen, die Themen für Prüfungen an Schulen und Hochschulen festlegen (was in den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt ist). Zwar führt man immer wieder ins Feld, dass »Kunst« der Bereich des Unvorhersehbaren und letztlich nicht Festlegbaren sei (und für viele gilt diese Behauptung sogar für den analytischen Umgang mit »Kunst«), dennoch legen Prüfungssysteme Leistungserwartungen fest. Auch deshalb ist die Suche nach einer gemeinsamen Sprache der Kunstdidaktik und nach Orientierungen sinnvoll. Diese Sprache wird vielleicht bald erforderlich werden, wenn Hochschulen und Schulen in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern das Praxissemester einführen. Bevor dieses Modell im Fach Kunst kollabiert, müsste man sich darauf verständigen, was überhaupt vermittelbar ist. Diese Vermittlung hat eine doppelte Perspektive. Eine Fachdidaktik untersucht immer die Inhalte und Methoden, die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit den Themen des Fachs lernen sollen (wobei sie auf ihre Bezugswissenschaft angewiesen ist), und sie untersucht, wie diese Inhalte und Methoden vermittelbar sind. Angenommen, es gäbe jenes Unvorhersehbare der »Kunst« tatsächlich, worüber heute alle sprechen (jener Freiraum des Kreativen, Nicht-Linearen, Unplanbaren): Dann müsste man wissen, wie man diesen Freiraum in eine Unterrichtspraxis übersetzt. Kinder und Jugendliche müssten also lernen, so zu denken und zu handeln. Hierfür gibt es viele ausgesprochen gute Beispiele. Aber es gibt im Umgang mit Kunst auch das Gegenteil: das an ihr Erfassbare und Nachvollziehbare. Auch hierfür gibt es wichtige Beispiele. Ein Schulfach benötigt hierfür einen gesellschaftlichen Konsens: Warum sollen junge Menschen den unvorhersehbaren und den nachvollziehbaren Umgang mit Kunst lernen? Darüber hinaus findet die Erörterung dieser Frage in einem internationalen Kontext statt.[4] Sie ist längst nicht mehr nur Angelegenheit der Bundesländer, sondern ein Interesse der UNESCO und anderer Vereinbarungen. Die Debatte hat die Beschaulichkeit partieller Interessen längst verlassen, und der »Bildungsbericht 2012« gibt einen guten Überblick über die Situation des Faches in allen Bereichen. Der unvermeidbaren Internationalisierung der kunstdidaktischen Debatte steht dennoch ein Regionalismus gegenüber, bedingt durch die föderalistische Bildungspolitik und durch die lokale Wirkung von Ausbildungsstandorten an Hochschulen, die nicht unerheblich ist.

Wie schwierig allerdings die Lösungen dieser vielen Probleme sein werden, zeigen ein kurzer Blick in die aktuelle Kunst und die Frage, wie man analytisch mit Kunst umgehen kann. Der belgische, in Mexiko lebende Künstler Francis Alÿs sammelte über Jahre in allen Teilen der Welt Kopien oder Repliken eines Portraits der Heiligen Fabiola, das ein unbekannter Maler im 19. Jahrhundert im Elsass malte. Das Original gilt als verschollen, aber Alÿs findet über hundert Bilder auf Postkarten, Leinwänden und Drucken. In einem anderen Projekt entdeckt er in Mexiko eine Werbetafel mit dem Bild eines Mannes im Smoking. Alÿs beauftragt in Mexiko City lebende Schildermaler, Kopien dieses Bildes anzufertigen. Er selbst nimmt an diesem Spiel teil und stellt die entstandenen Bilder wieder anderen Malern zur Verfügung, die weitere Versionen des Bildes anfertigen. Francis Alÿs untersucht in beiden Projekten das Verhältnis von Original, Kopie und Fälschung wie die Entwicklung einer ikonografischen Kette, in der sich Maler auf ein Ausgangsbild und entstandene Versionen dieses Bildes beziehen. Tatsächlich könnte dieses Thema Inhalt eines kunstwissenschaftlichen Projekts sein, aber man erkennt schnell die wesentlichen Unterschiede. Die Kunstgeschichte würde mit anderen Methoden arbeiten, dennoch kann man sich vorstellen, dass auch sie die Forschungsergebnisse in einem Museum ausstellt. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass die Kunstwissenschaft in dem Diskurssystem einer akademischen Disziplin arbeitet, während Francis Alÿs »Kunst« herstellt, in der man mit allen Fallen rechnen muss, die ein Künstler aufstellen kann. So weiß man nicht, ob Alÿs selbst Kopien von Fabiola gemalt hat. Er folgt künstlerischen Interessen in einem Diskurssystem »Kunst«, in dem er selbst als Künstler erscheint. Auch andere Künstler untersuchen Kunstwerke. Sie machen dies aber immer mit künstlerischen Methoden (z. B. durch die Anfertigung eines neuen Kunstwerks) und künstlerischen Zielsetzungen. Die kunstwissenschaftliche Untersuchung von Bildern grenzt sich hiervon deutlich ab. Sie hat andere Methoden, andere Darstellungsformen und vor allem ein anderes Interesse hinsichtlich der kulturellen Funktion ihrer Forschungsergebnisse. Es gibt viele Beispiele für Überschneidungen von kunsthistorischen und künstlerischen Projekten, die häufig in der Wahl eines gemeinsamen »Forschungsthemas« liegen.[5] Aber zwischen der kunsthistorischen Untersuchung eines Kirchenraums und der künstlerischen Betrachtung dieses Raums liegen Welten. Natürlich können beide Projektformen voneinander profitieren, und in der Regel tun sie es auch – mit einem unglaublichen Gewinn für jene Menschen, die sich für eine Sache interessieren, die wissenschaftlich untersucht und künstlerisch erfasst wird.[6]

Das Beispiel zeigt, dass man in einer didaktischen Perspektive die Unterschiede zwischen einer künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitsform markieren und ihre unterschiedlichen Ansprüche bezeichnen muss. Diese Eigenständigkeiten der Annäherung an Kultur erzeugen unterschiedliche Lerninhalte und Intentionen. Deshalb stellen das künstlerische Arbeiten und die kunsthistorische Untersuchung von Kunst die zwei Säulen des Unterrichtsfaches Kunst dar, aber tatsächlich werden sie an den Schulen von einer Person unterrichtet. In der Geschichte der Schulfachs und seiner Didaktik hat dies zu vielen integrativen Handlungsmodellen geführt, deren Nahtstellen immer dort platzen, wo Interessen übergriffig erscheinen. Es kann für eine kunsthistorische Position durchaus fragwürdig sein, wenn im Kunstunterricht Gemälde farblich verändert werden oder aus diesem Gemälde ein Puzzle gemacht wird, das man...