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Magisterium - Der kupferne Handschuh

Holly Black, Cassandra Clare

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN 9783732511815 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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ERSTES KAPITEL


Call pickte ein kleines Stück öliger Peperoni von seinem Pizzastück und steckte die Hand unter den Tisch. Sofort schnellte Mordos flinke Zunge hervor, und der chaosbesessene Wolf verschlang das Fressen mit einem Happs.

»Du sollst ihm nichts geben«, sagte sein Vater barsch. »Das Ding beißt dir demnächst sauber die Hand ab.«

Call tätschelte Mordos Kopf und zog es vor, nicht auf die Bemerkung zu reagieren. Er konnte es Alastair in letzter Zeit einfach nicht recht machen. Sein Vater wollte nichts über die Zeit im Magisterium hören, wahrscheinlich, weil er es immer noch nicht verkraftet hatte, dass Call von Alastairs früherem Lehrer Rufus zum Lehrling gewählt worden war. Und seit Call mit einem chaosbesessenen Wolf nach Hause gekommen war, war es endgültig vorbei.

Call war sein Leben lang mit seinem Vater allein gewesen, der ihm ständig schlimme Geschichten über seine ehemalige Schule erzählt hatte – die Schule, die nun auch Call besuchte, obwohl er alles dafür getan hatte, die Aufnahmeprüfung nicht zu bestehen. Als Call nach dem ersten Schuljahr vom Magisterium nach Hause gefahren war, hatte er damit gerechnet, dass sein Vater sauer auf ihn war. Doch er hatte sich nicht vorstellen können, wie sich diese permanente Wut anfühlen würde. Früher waren sie so gut klargekommen und jetzt war alles … schrecklich anstrengend.

Call hoffte, dass es nur am Magisterium lag. Andernfalls müsste er davon ausgehen, dass Alastair wusste, wie böse Call insgeheim war.

Böse zu sein und das auch noch vor allen geheim zu halten machte Call ebenfalls fertig. Im Stillen führte er eine Liste – jede Andeutung, er könnte tatsächlich böse, ein Kriegstreiber sein, wurde in einer Spalte vermerkt, und jeder Gegenbeweis in einer anderen. Er hatte sich angewöhnt, sich jedes Mal, wenn eine Entscheidung anstand, an der Liste zu orientieren. Würde ein Kriegstreiber, jemand, der durch und durch böse war, den letzten Schluck Kaffee aus der Kanne trinken? Welches Buch würde so jemand aus der Bibliothek ausleihen? War es ausnahmslos eine Tat des Kriegstreibers, wenn Call sich von Kopf bis Fuß schwarz kleidete, oder war es an den Tagen erlaubt, an dem der Rest seiner Klamotten in der Wäsche war? Zu allem Überfluss glaubte er, sein Vater würde das gleiche Spiel spielen und jedes Mal, wenn er nur in Calls Richtung blickte, die Punkte zusammenrechnen und überprüfen.

Doch Alastair konnte nur Vermutungen anstellen. Sicher konnte er nicht sein, denn einiges wusste nur Call.

Call musste ständig daran denken, was Master Joseph ihm erklärt hatte: Er, Callum Hunt, hätte die Seele des Feindes des Todes übernommen. Ja, er wäre nun der Feind des Todes und somit für Das Böse bestimmt. Sogar in der gemütlichen gelb gestrichenen Küche, in der er mit seinem Vater unzählige Mahlzeiten eingenommen hatte, klingelte es ihm in den Ohren, wenn er an die Worte von Master Joseph dachte.

Callum Hunts Seele ist tot. Nachdem sie aus deinem Körper vertrieben wurde, ist diese Seele verkümmert und gestorben. Constantine Maddens Seele hat Wurzeln geschlagen und ist gewachsen, neu geboren und gesund. Seitdem haben seine Anhänger allen vorgespielt, er wäre noch am Leben, damit du in Sicherheit bist.

»Call?«, fragte sein Vater mit einem sonderbaren Seitenblick.

Sieh mich nicht so an, hätte Call am liebsten gesagt. Gleichzeitig hätte er sich gern erkundigt: Was siehst du, wenn du mich anschaust?

Vater und Sohn teilten sich Calls Lieblingspizza mit Peperoni und Ananas und hätten sich normalerweise über Calls letzten Streich in der Stadt oder irgendein Reparaturprojekt von Alastair unterhalten, das in der Garage Gestalt annahm. Doch Alastair schwieg, und Call fiel nichts ein. Er vermisste seine Freunde Aaron und Tamara, doch darüber konnte er mit seinem Vater nicht reden, weil sie Teil der magischen Welt waren, die Alastair nicht ausstehen konnte.

Call stand auf. »Darf ich mit Mordo raus?«

Alastair sah stirnrunzelnd auf den Wolf herab, einen ehemals niedlichen Welpen, der mittlerweile zu einem langgliedrigen Ungeheuer jugendlichen Alters herangewachsen war, das unter dem Tisch viel Raum einnahm. Der Wolf sah Calls Vater mit seinen chaosbesessenen Augen an. Die Zunge hing ihm aus dem Mund, und er winselte leise.

»Bitte«, sagte Alastair mit einem leidgeprüften Lächeln. »Aber nicht lange. Und bleib für dich. Die Nachbarn machen nur dann keinen Ärger, wenn wir bestimmen, unter welchen Umständen sie Mordo zu sehen bekommen.«

Als Mordo aufsprang und zur Tür lief, kratzten seine Krallen über das Linoleum. Call grinste. Er wusste, dass die Tatsache, dass ein chaosbesessenes Tier ihn verehrte, ihm viele Punkte auf dem Konto des Kriegstreibers einbrachte, doch er bereute es keineswegs, ihn bei sich zu haben.

Selbstverständlich war das wahrscheinlich genau das Problem, wenn man zu den Bösen gehörte. Man bereute nichts.

Call drängte den Gedanken beiseite, als er nach draußen ging. Es war ein heller warmer Sommertag und jetzt kurz nach dem Mittagessen schien die Sonne auf das dichte grüne Gras; Alastair mähte es nur selten, weil er sich die Nachbarn lieber vom Leib hielt, als sich Tipps zum Rasenmähen anzuhören. Call machte sich einen Spaß daraus, Mordo einen Stock zuzuwerfen, den der Wolf ihm mit wedelndem Schwanz und glänzenden Augen zurückbrachte. Wenn er es gekonnt hätte, wäre Call gern neben Mordo hergelaufen, doch mit seinem schwachen Bein konnte er sich nur langsam bewegen. Er hatte das Gefühl, dass Mordo das verstand und deshalb nie richtig weit fortlief.

Nach dem Stöckchenwerfen überquerten sie die Straße. Im angrenzenden Park verschwand Mordo im Gebüsch, und Call suchte in seinen Taschen nach einer Plastiktüte. Da Bösewichte sicher nicht hinter ihren Hunden aufräumten, brachte jedes Gassigehen Punkte in der guten Spalte.

»Call?«

Überrascht drehte er sich um und staunte noch mehr, als er sah, wer ihn angesprochen hatte. Kylie Myles hatte ihre blonden Haare mit zwei Einhornspangen nach hinten frisiert und hielt eine pinkfarbene Leine in der Hand. Am anderen Ende befand sich eine Art kleine weiße Perücke, die offenbar ein Hund sein sollte.

»Du-äh«, sagte Call. »Du weißt, wie ich heiße?«

»Irgendwie haben wir uns lange nicht gesehen«, antwortete Kylie und beachtete seine Verwirrung nicht weiter. Sie senkte die Stimme. »Hast du es geschafft? An der Ballettschule?«

Call zögerte. Kylie hatte ebenfalls an der Eisernen Prüfung teilgenommen, doch er hatte bestanden, während sie durchgefallen war. Die Magier hatten sie in einen anderen Raum geführt, und seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen. Kylie sah ihn fragend an, und er hätte zu gerne gewusst, wie sie sich an die Prüfungen erinnerte. Ihr Gedächtnis war sicherlich manipuliert worden, ehe man sie wieder auf ihre normale Umwelt losgelassen hatte.

Einen unberechenbaren Augenblick lang war er kurz davor, ihr alles zu verraten. Zum Beispiel, dass sie sich an einer Magierschule beworben hatten, nicht beim Ballett, und dass Master Rufus ihn erwählt hatte, obwohl er viel schlechter abgeschnitten hatte als sie. Würde sie ihm glauben, wenn er die Schule beschrieb und wie es sich anfühlte, Feuer in den Händen anzufachen oder in den Himmel zu fliegen? Call hätte Kylie gern erzählt, dass Aaron sein bester Freund und noch dazu ein Makar war, was ein echt dickes Ding war, weil er deshalb als einer von wenigen lebenden Magiern Chaosmagie beherrschte.

»Die Schule ist schon okay.« Er zuckte die Achseln, weil ihm nichts anderes einfiel.

»Ich hätte nicht gedacht, dass sie dich nehmen«, sagte Kylie mit einem Blick auf sein Bein. Ein peinliches Schweigen folgte.

In Call stieg Wut auf und er erinnerte sich genau an das Gefühl an seiner früheren Schule, wo ihm auch niemand sportliche Erfolge zugetraut hatte. Seit er denken konnte, war sein linkes Bein kürzer und kraftloser als das andere. Gehen und Laufen taten weh, dagegen hatten auch die zahllosen Operationen, die er durchlitten hatte, nicht geholfen. Sein Vater hatte stets behauptet, er sei so auf die Welt gekommen, doch Master Joseph hatte ihm eine andere Geschichte erzählt.

»Die Kraft muss aus dem Oberkörper kommen«, konterte Call nun überheblich, ohne genau zu wissen, was das heißen sollte.

Doch Kylie nickte beeindruckt. »Und wie ist es da so? In der Ballettschule?«

»Total hart«, antwortete er. »Alle tanzen bis zum Umfallen. Es gibt nur Smoothies aus rohen Eiern mit Weizenproteinen. Freitags müssen wir alle etwas vorführen, und wer dann noch steht, bekommt einen Schokoriegel. Außerdem müssen wir uns permanent Tanzfilme reinziehen.«

Seine ehemalige Mitschülerin wollte gerade etwas erwidern, als Mordo aus dem Gebüsch stürmte. Er hatte einen Stock zwischen den Zähnen und seine aufgerissenen Augen strudelten in allen Schattierungen von Orange, Gelb und Höllenrot. Kylie fielen fast die Augen aus dem Kopf, und Call kapierte, wie riesig Mordo in ihren Augen aussehen musste und wie offensichtlich es war, dass er kein Hund oder ein normales Haustier war.

Kylie schrie. Bevor Call etwas Beschwichtigendes sagen konnte, schoss sie so schnell aus dem Park auf die Straße, dass ihr kleiner Wischmopp von Hund kaum hinterherkam.

So viel zum netten Austausch mit den Nachbarn.

Als Call nach Hause ging, rechnete er aus, dass die guten Punkte, die er dafür gesammelt hatte, dass er hinter Mordo saubergemacht hatte, alle wieder draufgegangen waren, weil er...